Trotz Erfolgen von Animationsfilmern wie Ralph Bakshi (FRITZ THE CAT, DER HERR DER RINGE), Picha (TARZOON – SCHANDE DES DSCHUNGELS, DAS FEHLENDE GLIED) oder des japanischen Studios Ghibli (PRINZESSIN MONONOKE, DAS WANDELNDE SCHLOSS) gilt der Zeichentrickfilm meist als Kindersache. Der Franzose René Laloux (1929 – 2004) war ein weiterer Kämpfer für die Sache des „erwachsenen Trickfilms“, sein bekanntester Film ist DER WILDE PLANET, in Deutschland bislang nicht ganz sauber übersetzt als DER PHANTASTISCHE PLANET bekannt gewesen. Er ist hierzulande jetzt endlich erstmals legal und in einer mustergültigen Ausgabe erhältlich, die selbst Zweiflern klarmachen dürfte, dass auch für ein erwachsenes Publikum ein Animations- einem Realfilm in nichts nachstehen muss. Im Gegenteil.
DER WILDE PLANET spielt auf dem Planeten Ygam, der von den blauen Draags, einer amphibisch anmutenden, hochzivilisierten Rasse bewohnt wird. Neben vielen phantastischen Tierkreaturen leben auf Ygam auch die winzigen Oms, eine menschliche Spezies, die von den im Vergleich riesenhaften Draags als Haustiere und Spielzeuge gehalten werden. Wilde Oms werden dagegen als Schädlinge betrachtet und gnadenlos gejagt. Der Om-Junge Terr wächst in der Obhut des Draag-Mädchens Tiwa auf und kann durch geheime Benutzung eines Lerngerätes des Mädchens seine Intelligenz im Gegenzug zu seinen Artgenossen voll entwickeln. Er schließt sich freilebenden Oms an und wird Teil eines Aufstandes gegen die Draags, der am Ende den Planeten verändern wird.
Wer den 1973 herausgekommenen Film als junger Mensch oder gar als Kind gesehen hat, dem dürften sich viele Bilder geradezu eingebrannt haben. Szenen voller Angst und Gewalt kontrastieren mit einer barocken, teilweise niedlichen, teilweise skurrilen Bildwelt. Die blauen Draags mit ihren roten, starren Augen vergisst man nicht so bald, hat man sie einmal gesehen. Die Geschichte des Aufstandes eines unterlegenen Volkes gegen seine Unterdrücker wird mit aufwühlenden, aber immer beide Positionen ausleuchtenden Szenen erzählt. Die Draags sind keineswegs nur brutale, sondern kluge und spirituelle Wesen. Die Oms behandeln sie im Grunde nicht anders als wir Menschen Tiere behandeln – mit dem Unterschied, dass sie diese nicht verspeisen. In der Vielzahl der möglichen Assoziationen die der Film bietet, liegt sein Reiz.
LA PLANÈTE SAUVAGE ist eine französisch-tschechoslowakische Koproduktion, die technische Umsetzung entstand in einem der berühmten tschechoslowakischen Trickfilmstudios, basierend auf Entwürfen des bildenden Künstlers und Schriftstellers Roland Topor. Nach dem Roman „Oms en série“ des französischen Science-Fiction-Autors Stefan Wul schuf das exzentrische Multitalent, unter anderem auch als Autor von Polanskis DER MIETER und des Puppenfilms MARQUIS DE SADE, sowie als Darsteller des Renfield in Werner Herzogs NOSFERATU bekannt, als Co-Autor und Bildgestalter phantastische Welten zwischen Utopie und nostalgischem Zeichenstrich. Statt sich im Pop-Art-Stil der Jahre zu bewegen, erinnern Topors Figurinen und Hintergründe eher an Illustrationen der Jahrhundertwende. Zusammen mit der Musik des Jazz- und Pop-Arrangeurs Alain Goraguer, die manchmal allerdings etwas zu modisch und „groovy“ für das Sujet daherkommt, vielleicht aber gerade deshalb inzwischen auch Kultstatus genießt, entsteht eine eindrückliche Melange, die ohne Vergleich in der Filmwelt ist. Dass die Animation eher etwas steif und minimalistisch ausfiel, unterstützt den Bilderbuchcharakter des Filmes und kommt ihm so zugute. Die deutsche Synchronfassung glänzt mit markanten Stimmen wie denen von Klaus Miedel, Heinz Petruo und Christian Rode, simplifiziert allerdings einige Details, beispielsweise indem die Oms (ein Wortspiel mit „hommes“) von den Draags „Menschen“ genannt werden.
Laloux feierte mit dem Film damals einen großen Erfolg und wurde u.a. bei den Festspielen in Cannes mit einem Preis ausgezeichnet. Jahre später kooperierte er mit dem berühmten Comiczeichner Moebius bei dem SF-Film LES MAÎTRES DU TEMPS (1982) und dem Künstler Caza bei GANDAHAR (1987). DER WILDE PLANET erfreut in dieser Ausgabe mit brillanter Bildqualität durch aufwendige 2K-Restauration, wobei man interessanterweise zwischen zwei Farbkorrekturen auswählen kann. Im reichhaltigen Bonusmaterial des Sets (eine Blu-ray + zwei DVDs) finden sich vier Kurzfilme von Laloux, sowie zwei hochinteressante Portraits über Laloux und Topor. Das auf nur 2.000 Stück limitierte Mediabook beinhaltet einen Text von Marcus Stiglegger, der mit einigen schlüssigen Deutungen den Sehgenuss des Filmes noch erhöht.
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La planète sauvage, Frankreich/Tschechoslowakei 1973 | Regie: René Laloux | Deutsche Sprecher: Klaus Miedel, Horst Schön, Heinz Petruo, Christian Rode u.a.
Anbieter: Camera Obscura