Schon zum 18. Mal fand diesen Juli das Neuchâtel International Fantastic Film Festival statt, das Filmfestival am Neuenburger See in der französischen Schweiz, das alljährlich Alpträume und Horror in die beschaulichen Gassen und Kinosäle des 33.000-Seelen-Städtchens trägt. Dass nicht ausschließlich Horrorfilme, Gewaltorgien und Martial Arts über die Leinwände flimmern, versteht sich dabei von selbst. Auch die Poesie findet ihr Publikum.
Selbst wenn in einer der ersten Szenen vor einem Wahrheitsausschuss Barry Sonnenfeld und MEN IN BLACK namentlich Erwähnung finden, schließt der Film in Stil und Absurdität doch eher an Terry Gilliams BRAZIL an. Adam (Piotr Polak) hat sein Gedächtnis verloren und erhält einen Job als Putzkraft in einem privaten/staatlichen Corporate-Gebäude. Auf der Rückseite seines Arbeitsoveralls prangt ein riesiger QR-Code, sein Arbeitskollege Bernhard wohnt in einem kleinen Zimmerchen im Building und alle Arbeiten und Regulierungen der beiden scheinen etwas seltsam. In der Wohnung indes, die Adam zugeteilt wurde, steht ein altes Radiogerät aus den Fünfzigern, dessen klingendes Programm aus derselben Zeit stammt: schmachtende polnische Torchsongs, die eine Sehnsucht nach der alten Zeit wecken und das Gerät zum subversiven Objekt machen.
Bald einmal wird Adam von Büromanagerin Goria (Olga Boladz) angesprochen, die – trotz ihres höheren Status – von ihm angezogen zu sein scheint. Im Gegensatz zu den Arbeits-Overalls von Adam gehört Goria einer Schicht an, die gewisse Freiheiten ausleben kann. In exaltierten Kleidern (schwarze Catsuits, Op-Art-Röcke) und forschem Vorgehen setzt sie einen vitalen Kontrapunkt zum scheuen Adam. Lediglich ihre Liebe zu beteuern fällt Goria nicht leicht. Schenkt Adam ihr eine Rose, bemerkt sie „My Grandma would call you a romantic.“ Sex ist einfacher. Ausgerechnet als neben dem Gebäude ein Hochhaus explodiert (ein Terroranschlag oder staatliche Angstmache à la 1984?), treiben es die beiden in einer leeren Büroetage, und Goria muss keinen sprachlichen Umweg über ihre Großmutter nehmen: „Thanks for the orgasm.“
Regisseur Bodo Kox’ THE MAN WITH THE MAGIC BOX ist ein atmosphärischer Science- Fiction-Film, düster und skurril, ein Kammerspiel- BLADE RUNNER mit einer starken Prise Jean-Pierre Jeunet (DELICATESSEN). Es steht zu hoffen, dass auch im Polen der Zukunft solche Filme noch möglich sein werden.
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Człowiek z magicznym pudełkiem, Polen / Italien 2017 | Regie: Bodo Kox | Drehbuch: Bodo Kox, Paulina Krajnik | Kamera: Dominik Danilczyk | Darsteller: Piotr Polak, Agata Buzek, Arkadiusz Jakubik, Olga Boladz | 103min.