Motel ist Mordmotel.

Drei Freunde spielen zu nächtlicher Stunde Karten in einer bereits geschlossenen Bar. Ein Mann betritt die Bar, verlässt sie jedoch nach einem kurzen, ziemlich befremdlichen Wortwechsel mit einem der Kartenspieler. Wenige Augenblicke später kehrt der Mann zurück und erschießt die drei Männer, plündert die Kasse und verschwindet seelenruhig. Elwood (Christopher Abbott – A MOST VIOLENT YEAR), so der Name des Killers, bezieht am nächsten Morgen ein Zimmer im örtlichen Motel „Sweet Virginia“, das der ehemalige Rodeo-Champion Sam Rossi (Jon Bernthal – SICARIO) betreibt. Äußerlich ein harter Kerl, ist Sam jedoch ein innerlich zerrissener Mann, der unter einer früheren Tragödie leidet. Elwood erkennt Sam aus dessen vergangenen Rodeo-Tagen. Beide Männer haben Wurzeln in Virginia und so freundet sich Sam mit dem mysteriösen Elwood an, ohne zu ahnen, in welche Gewaltspirale er damit hineingezogen wird…

SweetVirginia_Poster Wir erfahren, dass Elwood von Lila (Imogen Poots – GREEN ROOM) für den Mord an ihrem Mann angeheuert wurde. Der Tod der beiden anderen war nicht geplant, aber Elwood hatte schlicht keine Lust noch länger draußen vor der Bar auf Lilas Ehemann zu warten, denn Elwood ist nicht gerade die Geduld in Person. Da Lila ihn erst nach Auszahlung der Versicherungssumme bezahlen kann, muss Elwood seinen Aufenthalt im „Sweet Virginia“ verlängern. Er und Sam verbringen daher hin und wieder Zeit miteinander. Sams Freundin Bernadette (Rosemarie DeWitt – PROMISED LAND) ist die Witwe eines von Elwoods Opfern, daher halten die beiden ihre Beziehung geheim. Sie hat genug Geld für ein sorgenfreies Leben geerbt, während Lila nach der Testamentseröffnung feststellen muss, dass ihr Mann bankrott war. Damit wird die Bezahlung von Elwood ein Problem und Elwoods Geduld ist begrenzt…

SweetVirginia_2 Ein Killer, ein gebrochener Held, eine Geliebte, eine Frau, die ihren Mann loswerden will – alles klassische Zutaten eines Film Noir. Regisseur Jamie Dagg (RIVER) hat daraus einen leise vor sich hin brodelnden Thriller gemacht, der vielleicht auf den ersten Blick nicht die originellsten Zutaten beinhaltet, aber durch das nuancierte Spiel der Darsteller, die ruhige, mitunter etwas zu dunkel ausgeleuchtete Kameraführung und einen stimmungsvollen Score besticht.

Jon Bernthal hat sich in den letzten Jahren zu einem ausgesprochen wandlungsfähigen Darsteller entwickelt, besonders seit seinem Ausstieg aus der Serie THE WALKING DEAD, die ihn einem größeren Publikum bekannt gemacht hat. Auch wenn die meisten seiner Rollen eine körperbetonte und gewalttätige Komponente haben (THE PUNISHER, THE ACCOUNTANT, SHOT CALLER) schimmert doch immer erheblich mehr unter der durchtrainierten Oberfläche durch, als das bei solchen Rollen sonst der Fall ist. Das macht ihn zu einer Leinwandpräsenz, die auch in dieser eher passiv angelegten Rolle ihre Wirkung zeigt. Dahinter muss sich Christopher Abbott keinesfalls verstecken. Sein Killer Elwood, durchaus höflich und wortgewandt, hat eine ziemlich kurze Lunte, die im Verlauf des Films mehrfach zu explosionsartigen Gewaltausbrüchen führt. Imogen Poots überzeugt als naive Lila, deren eigentlich einfacher Plan ihr schnell über den Kopf wächst.

SweetVirginia_1 Hätte Regisseur Dagg Typecasting betrieben, so hätten Bernthal und Abbott problemlos die Rollen tauschen können, was allerdings weniger effektiv gewesen wäre. Verlässlich wie immer agiert Rosemarie DeWitt als Witwe, die ihrer Freundin Lila gesteht, dass sie keine einzige Träne um ihren erschossenen Ehemann vergossen hat. Obwohl sonst eher zurückhaltend, ist sie die treibende Kraft in der heimlichen Beziehung zu Sam. Und als es im Verlauf des Films zu einer gefährlichen Situation kommt, weiß sie sich besser zu wehren als der passive Sam in einer Auseinandersetzung mit einem renitenten Motelgast.

Nicht jede Frage wird beantwortet, vieles wird nur angedeutet, die Dialoge sind sparsam, Blicke und Gesten dafür umso bedeutsamer. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem atmosphärischen, toll gespielten Thriller belohnt.

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Sweet Virginia, USA 2017 | Regie: Jamie M. Dagg | Darsteller: Jon Bernthal, Christopher Abbott, Rosemarie DeWitt, Imogen Poots, Odessa Young, Jonathan Tucker, Jared Abrahamson, Joseph Lyle Taylor

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