Selten werden im Westen Filme gedreht, die nicht im Westen handeln – ausser vielleicht Actionfilme des James-Bond-Mission-Impossible-Genres. Hier aber gehts um ein Drama, eine menschliche Katastrophe. In Thomas Vinterbergs auf wahren Ereignißen basierendem Drama KURSK steht ein russisches Atom-U-Boot im Zentrum. Zu Beginn von Putins Präsidentschaft im Jahr 2000 spielte sich in der Barentsee jener U-Boot-Unfall ab, der weltweit für Aufsehen sorgte und als Vorlage für diesen Film diente.
Im Rahmen einer großangelegten Militärübung der russischen Nordseeflotte explodierte im Innern des Atom-U-Boots „K-141 Kursk“ vermutlich ein überhitztes Torpedo, was – to cut the story short – ein Feuer und dadurch die Explosion weiterer Sprengköpfe verursachte. Vinterbergs Film beginnt bereits kurz zuvor in Murmansk, mit dem intakten Familienleben von Kapitän Mikhail Kalekov (Matthias Schoenaerts). Mit seinem Sohn und seiner schwangeren Frau Tanya (Léa Seydoux) führt er ein ebenso bescheidenes, aber zufriedenes Leben in einer der riesigen Plattenbauten direkt am Meer, nicht anders als die Familien seiner Mannschaft. Hätte Vinterberg die Plattenbauten nicht so abgewrackt, dürfte Murmansk definitiv als Traumdestination für die nächsten Sommerferien gelten.
Das Familienglück vermittelt uns auch gleich, wo die Crew ihr Zuhause hat. Nicht auf dem Meer wie Captain Ahab, sondern in einem Marineort, in dem Familien leben und sich kennen. Alte sowjetische Community – die aber leider nicht mehr so funktioniert wie früher.
Derweil ist das Atom-U-Boot lediglich symbolische Heimat: Es steht für mehr als nur einen Beruf, es steht für die Tradition, zur – inzwischen russischen – Marine zu gehören. Das sind die Bande, die durch die menschenverachtende Haltung der russischen Armeeführung zerstört werden. Das eben, das auf See und in der Sowjetunion nie denkbar war.
Auf die alte Loyalität unter Marinesoldaten vertraut auch die Crew, die auf dem Meeresboden der eisigen Barentsee im letzten ungefluteten Teil der Kursk ausharrt, zittert, singt und überlebt. Immer wieder tauchen Probleme auf, paßieren tragische Mißgeschicke und siegt der Überlebenswille. Der Teamgeist setzt sich durch. Doch es reicht nicht.
Es reicht nicht, weil die russische Seeführung (bis hin zum rußischen Präsidenten) lieber immer und immer wieder mit einem veralteten Tauchgerät Rettungsversuche startet, statt die westlichen Angebote anzunehmen. Und für die Crew wird je länger je klarer: Nirgendwo ist man so verlaßen und hilflos wie in den Tiefen des Meeres.
Vladimir Putin selbst wäre im Originalscript in etwa 5 Szenen zu sehen gewesen, doch Luc Besson, als Leiter der Produktionsfirma EuropaCorp, ließ die Szenen noch vor dem Dreh herausstreichen, weil er stärker die Tragödie als die politische Brisanz thematisieren wollte (selbst wenn Putin, dessen Vater in der Marine diente, angeblich mit Anteilnahme porträtiert worden wäre). Trotzdem verweigert Maikhails kleiner Sohn bei der Trauerfeier dem Flottenchef den Handschlag, die nachfolgenden Mädchen und Jungen tun es ihm nach. Das Vertrauen in die Marine ist gebrochen.
Trotz Alexandre Desplats durchaus guter Musik und berückenden und bedrückenden Bilderwelten von Kameramann Anthony Dodd Mantle (ein Vinterberg-Regular seit FESTEN, aber auch ein Danny Boyle Kamerafavourite) hat Vinterberg ein etwas actionarmes, harm- und mutloses Drama geschaffen, das dafür mehr der Wahrheit entspricht als Kathryn Bigelows K19-THE WIDOWMAKER (2002), bei dem es sich übrigens um eine Begebenheit in den Sechziger Jahren handelt.
Und im Gegensatz zum US-Kino betont KURSK statt eines individuellen Helden die Zusammengehörigkeit als Team – beinahe in der Tradition des frühsowjetischen Kinos. Trotzdem schade: Vinterberg ist einen langen Weg gegangen seit FESTEN. Nicht zu seinem Besten.
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Kursk, Frankreich/Belgien/Luxemburg | 2018 Regie: Thomas Vinterberg | Drehbuch: Robert Rodat | Kamera: Anthony Dod Mantle | Musik: Alexandre Desplat | Darsteller: Matthias Schoenaerts, Léa Seydoux, Colin Firth, Peter Simonischek, August Diehl, Max von Sydow | 117 min.