Der Giallo lebt. Aber anders. Peter Strickland beschäftigt sich auf vielerlei Weise mit Exploitation-Filmen der Siebziger. Vor allem in BERBERIAN SOUND STUDIO kümmerte er sich ausgiebig um italienische Giallo-, Grusel- und Gewaltorgien. An diesen Film knüpft er nun mit IN FABRIC an – und in der Speciality-Reihe des abwechslungsreichen Zürich Film Festival gab‘s das Werk erstmals in Europa zu sehen.
„Dentley & Soper’s“ ist spektakulär seltsam: zweistöckig mit zwei achsensymmetrisch angeordneten Treppen; immer nur abends von unserer Heldin besucht, bedient hier ein Personal, das seinesgleichen sucht. Im Zentrum steht die dämonisch-überfreundliche Verkäuferin Mrs. Luckwood, die mit rätselhaften Verkaufs-Sentenzen, Barbara-Steele-Schminke und blutrot-hellen, langen Fingernägeln für ständiges, unterschwelliges Schaudern sorgt (Strickland-Regular Fatma Mohamed ist hier eine wahre Italogrusel-Augenweide). Was dann bei „Dentley & Soper’s“ so geschieht, ist durch und durch geheimnisvoll und wird von Strickland nie auch nur ansatzweise erklärt. Weshalb strahlt das Kleidergeschäft derart verstörende TV-Werbespots aus? Weshalb krümmt sich Mrs. Luckwood abends in einen kleinen Warenlift und wohin fährt sie? Weshalb vergreifen sich alle Verkäuferinnen derart an einer Schaufensterpuppe, dass die zwischen den Beinen zu bluten beginnt? Und warum masturbiert der unheimliche, vampirisch anmutende Chef dazu? Eine Sekte? Satanisten? Oder vielleicht eine Art Göttinnen, die vom Versagen gezeichnete Kleiderträgerinnen in ein Näh-Fegefeuer verbannen?
Mit der Story rund um Sheila wirft uns Strickland plötzlich in ein völlig anderes Genre, das parallel zum Giallo läuft: Wir befinden uns auch in einer britischen Independentkomödie. Die Bankangestellte Sheila lebt mit ihrem Sohn im Twen-Alter (Jaygann Ayeh) in einer kleinen Wohnung. Der junge Kunststudent nimmt oft seine dominante Freundin (Gwendolin Christie) mit nach Hause, die Sheila in einigen etwas tragikomischen Szenen immer wieder piesackt. Doch ob zuhause oder auswärts: Das roten Kleid führt zu Schrecken und Blut. Übrigens auch in der wohnungseigenen Waschmaschine. In einer hitchcockschen Wendung, allerdings ohne dessen Spannungsbogen, wechselt das rote Kleid plötzlich in eine völlig andere Geschichte. Zum Waschmaschinen-Mechaniker Reg Speaks (Leo Bill), der sich damit an seinem Junggesellenabend als Frau verkleidet. Dramaturgisch ein Schlenker zu viel. Aber als Fortsetzung des roten Reigens des Bluts, der kleinen Dramen, wenn sich Durchschnittsbürger mal etwas zu verrückt aufführen, vollführt Strickland hier ein hinterhältiges Nachdoppeln.
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In Fabric | Grossbritannien 2018 | Regie: Peter Strickland | Drehbuch: Peter Strickland | Kamera: Ari Wegner | Schnitt: Maryas Fekete | Darsteller: Marianne Jean-Baptiste, Fatma Mohamed, Gwendoline Christie, Sidse Babett Knudsen, Julian Barratt, Leo Bill, Richard Bremmer | Laufzeit: 118 min.