Claire Denis erzählte Anfang des Jahres auf dem Filmfestival in Rotterdam, dass es in HIGH LIFE um Vertrauen, Treue und Ernsthaftigkeit geht. Na dann: Ein schäbiges Raumschiff ist auf dem Weg nach Alpha Centauri. Es soll Schwarze Löcher erforschen. Aus diesen lässt sich Energie gewinnen. An Bord eine Gruppe verurteilter Verbrecher, denen das System eine letzte Chance gegeben hat: Entweder Schwarze Löcher oder lebenslang ins Gefängnis. Über die Länge der Reise oder die Art der an ihnen durchzuführenden Experimente wurden sie im Unklaren gelassen. Zur Länge: Angesichts knapper Lichtgeschwindigkeit wird im Falle einer Rückkehr auf der Erde niemand mehr am Leben sein, den sie kennen. Und was die Experimente betrifft: Die führt Dibs durch. Dibs sollte auch ins Gefängnis wegen ihrer Versuche auf der Erde. Hier im All in den beengten Verhältnissen des schuhkartonförmigen und ziemlich schmuddeligen Raumschiffs darf Dibs aber. Sie braucht vor allem Sperma. Viel davon. Nach Jahren der Ödnis sind die männlichen Astronauten nur zu bereit für einige von Dibs Pillen Hand anzulegen. Die Pillen trösten über die unendliche Langeweile hinweg. Auch die Astronautinnen, die nach Rauschmitteleinnahme zu Empfängerinnen der Proben werden, lassen sich trösten. Doch es wird einfach keine schwanger. Vielleicht liegt es an der Qualität der Samenzellen, die nach Jahren kosmischer Bestrahlung gelitten haben. Der einzige, der sich einer Spende widersetzt, ist der Bordgärtner Monte. Er lebt wie ein Mönch und nimmt auch keine Pillen. Er hütet das einzig Lebendige an Bord, den Gemüsegarten. Aber Dibs hat Geduld und kennt alle Tricks und so kommt doch noch etwas Lebendiges dazu.
Nach langer Vorbereitungszeit und Beratung durch den isländischen Medien- und Technikkünstler Olafur Eliasson drehte die Ausnahmeregisseurin Claire Denis ihren ersten englischsprachigen Film in einem Studio in Köln, das ich mir genauso hermetisch und bedrückend vorstelle wie das Raumschiff, in dem sich die Teilnehmer dieses interplanetarischen Himmelfahrtskommandos gegenseitig aushalten müssen. Wir sehen fast nur Schlafkojen mit Plastikverkleidung und einen Flur mit einer Ecke. In diesem klaustrophobischen Setting mit scheußlichen Farben entspinnt sich ein philosophisches Melodram, das die von Denis eingangs erwähnten Themen Vertrauen, Treue und Ernsthaftigkeit mit beunruhigendem Sex und großartigem Mad-Scientist-Schlock verbindet. Juliette Binoche, die in Denis‘ letztem Film MEINE SCHÖNE INNERE SONNE ganz nahbar eine erfolgreiche, aber unentschlossene Künstlerin spielte, ist als gierige, manipulative, verletzte, aber auch lustige Dibs fast nicht wiederzuerkennen. Allein die nonverbale Kommunikation zwischen ihr und Monte, dem Objekt ihrer Begierde, ist die halbe Miete von HIGH LIFE.
Monte wird asketisch zurückhaltend von einem tollen Robert Pattinson gespielt. Auch André Benjamin, Mia Goth und Lars Eidinger sind Teil dieser dysfunktionalen Zwangsgemeinschaft. Die Entscheidung, auf unendliche Weiten des Alls weitgehend zu verzichten und fast nur Innenaufnahmen dieses hässlichen Gefängnisses zu zeigen, lässt jahrelang abgestandenen Schweiß förmlich riechbar werden. Auch die ungelösten Konflikte zwischen den Besatzungsmitgliedern finden sich in der Ekelarchitektur wieder. Sexuelle Entladungen sind hier nur durch Selbstbefriedigung oder Vergewaltigungen möglich. Aber es gibt ja die Pillen.
An Vorbildern wäre vielleicht der tschechische Raumfahrtklassiker IKARIE XB 1, aber vor allem John Carpenters Erstling DARK STAR zu nennen. Auch damals machten sich gelangweilte und verwahrloste Astronauten im Angesicht Schwarzer Löcher das Leben zur Hölle. Claire Denis erzählte in Rotterdam, dass Robert Pattinson eigentlich zu jung für die Rolle sei, aber als dieser ihr bei einem Treffen sagte, dass er jeden Monat etwas älter würde, habe sie ihn in ihre verschworene Gemeinschaft aufgenommen. Genau wie Binoche habe er keine Angst vor ihr gehabt. Einen Film über familiäre Banden habe sie drehen wollen und tatsächlich: Wenn man die dicke Schicht von Gewalt, Schmerz, Trauer, Humor und Beigetönen wegkratzt, ist HIGH LIFE ein absolut rührender Film über Vaterliebe. Und damit ganz nah an einigen ihrer früheren Filme wie zum Beispiel dem völlig entwaffnenden 35 RHUMS, den man gerade in der Claire Denis Retrospektive des Deutschen Filmmuseums sehen konnte.
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HIGH LIFE, Deutschland, Frankreich, UK, USA, Polen 2018 | Regie: Claire Denis | Drehbuch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau, Geoff Cox | Kamera: Yorick le Saux, Tomasz Naumiuk| Schnitt: Guy Lecorne | Musik: Stuart Staples, Tindersticks | Darsteller: Juliette Binoche, Robert Pattinson, André Benjamin, Mia Goth, Lars Eidinger, Claire Tran, u.a. | Laufzeit: 113 Min.