SICARIO ist eine Reise ins Unbekannte. Eine Expedition in die unbekannte Welt der Drogenkartellbekämpfung. In SICARIO ist dieser Trip nicht nur eine Sache des Drehbuchs, sondern der visuellen Umsetzung. Der Film ist es definitiv wert, etwas genauer betrachtet zu werden.
Drehbuchschreiber Taylor Sheridan schrieb SICARIO als modernen Western, doch Regisseur Denis Villeneuve (BLADE RUNNER 2049) benutzte diese Grundidee nicht als visuelles Sprungbrett, sondern stellte dem Film das Unbekannte voran – weshalb der auch schon mit APOCALYPSE NOW verglichen wurde (nicht zuletzt ist auch ein Drogenkrieg längst ein Krieg).
Doch eigentlich treibt Villeneuve das Ganze einen Schritt weiter: Sein Meisterwerk hat er als Science-Fiction-Film angelegt. Die ersten 20 bis 30 Minuten wirken oft, als ginge es um einen Einsatz auf einem anderen Planeten. Das SWAT-Team im Einsatzwagen, unwissend, was es erwartet, dieses Wissen um den Ausstieg ins Unvorhersehbare. Dazu repetitive, düstere Klangwolken, die eine fremdartige neue Welt ankündigen. Der Einsatz bietet eine Überraschung, wie sie sonst nur von fremden, bösen Planeten geliefert werden: Wie von Aliens verpuppte Menschen hängen die mumifizierten Leichen hinter den Wänden der Schreckensranch. Überhaupt: In den dichten Sandwolken nach der Explosion wirkt die Szenerie wie auf einem fernen Planeten.
Auch später noch zeigt uns Villeneuve Helikopteraufnahmen von fremdartigen (Wüsten-) Landschaften, ohne Ton – die wirken, als würde ein unerforschter Planet abgesucht. Dabei handelt es sich lediglich um Gebiete in den USA oder im nahen Grenzbereich Mexikos. Aber um Orte, die nach Sheridans Philosophie inzwischen derart gesetzlos sind, dass die alten Wild-West-Verhaltensweisen wieder in Kraft getreten sind (Regionen, wie er sie auch in HELL OR HIGH WATER und WIND RIVER ausgemacht hat).
Die Reise in den Drogenkrieg treten die Zuschauer zusammen mit einer Frau an. Kate Mercer (Emily Blunt) wird als hochtalentiertes Mitglied des FBI-Geiselbefreiungsteams gebeten, bei der neu gegründeten CIA-Taskforce und deren Leiter Matt Graver (Josh Brolin) gegen den Drogenkrieg mitzumachen. Kate ist die einzige Frau in dieser Welt – und als Frau ist sie nicht nur, wie so oft in ähnlichen Filmen, der Mensch, der uns mit „Frauenperspektive“ zeigt, wie brutal die Welt der Drogenkartelle ist. Sondern am Ende kann sie als Frau umso klarer die Moral der Truppe hinterfragen. In einer unglaublichen Schlussszene: Der von Graver angeheuerte Söldner Alejandro Gillick (Benicio del Toro) zwingt Kate mit ihrer eigenen Waffe, das Papier zu unterschreiben, dass die Operation vorschriftsmäßig durchgeführt wurde. Das hätte sie nämlich nicht getan. Dann schraubt Alejandro Kates Waffe auseinander, damit sie ihn nicht erschießen kann, wenn er verschwindet. Kaum ist er weg, beginnt sie so schnell wie möglich, ihre Waffe wieder zusammenzusetzen…
Im Gegensatz zu üblichen Actionfilmen wird hier nicht einfach akzeptiert, dass sich ein Einsatzteam im Namen der „guten Seite“ mit Bodycount und Menschenverachtung über das Gesetz hinwegsetzen darf. Den ganzen Film hindurch hinterfragt Kate die Taten des CIA-Undercoverteams, und Alejandro durchschaut ihr Zweifeln: „You will doubt everything you do but in the end you will understand.“
Mit Kates zunehmender emotionaler Beteiligung erfahren auch die Landschaftsbilder eine Umdeutung. Die Flugbilder von oben sind nicht mehr stumm oder mit einem dröhnenden Sound unterlegt, sondern mit schluchzenden Streichern. Vor der Erstürmung des Schmuggeltunnels zieht ein phantastisches Gewitter auf, das mit visueller Dramatik die bedeutsame Aktion ankündigt. Tatsächlich spitzt sich in der Tunnelszene – durch Restlichtverstärker-Ästhetik und schwarzweiße Subjektiven vorbereitet – erstmals der Konflikt zwischen Kate und Alejandro zu.
Moral hin oder her, Gravers Team agiert oft erfolgreich. In einer atemberaubenden Szene wird ein Gefangener in einer mexikanischen Grenzstadt abgeholt, begleitet von einem pompösen Begleittrupp mexikanischer Polizisten, in offenen Jeeps stehend und mit angeschlagenen Waffen. Die Rückfahrt an der Grenze gerät zur gänsehautproduzierenden, bewaffneten Auseinandersetzung mit mexikanischen Gangmitgliedern. Im Verlauf der Story wird Kate selbst auf persönlicher Ebene zum Opfer der Kartellmachenschaften, denn die Verstrickungen des Kartells verästeln sich immer tiefer in die US-amerikanische Behördenstruktur. Dieser Durchdringung allen Alltagslebens kann die Undercovertruppe nur entgegen stellen, den mexikanischen Drogenbaron umzubringen, um dem kolumbianischen Medellinkartell wieder die Vorherrschaft zu sichern. Dominiert nur ein Kartell, sollte das für mehr Ordnung und weniger Gewalt sorgen.
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Sicario | USA 2015 | Regie: Denis Villeneuve | Drehbuch: Taylor Sheridan | Kamera: Roger Deakins | Musik: Johann Johannsson | Darteller: Emily Blunt, Benicio Del Toro, Josh Brolin, Victor Gaber, Jon Bernthal u.a. | Laufzeit: 121 min.