Style mit Substanz.

Denis Villeneuve demonstriert atemberaubend, wie die Fortsetzung eines Sci-Fi-Klassikers sein sollte: Jahrzehnte nach einem globalen Blackout jagt Blade Runner K. in Los Angeles 2049 noch immer alte Replikanten, derweil die neue Generation von Tyrell-Nachfolger Wallace störungsfrei den Menschen dient. Ein Knochenfund bringt K. auf eine Spur, die zu seinem abgetauchten Vorgänger Deckard führt.

Formidabel, freilich nicht fehlerlos: BLADE RUNNER 2049, mit dem Hollywood nach 35 Jahren den Kultfilm BLADE RUNNER weiterspinnt und Original-Drehbuchautor Hampton Fancher daran mitdichten lässt, zeigt, was möglich ist, wenn man die richtigen Leute akquiriert. Dann vereint sich das Beste beider Welten, eine Vision, die kein leeres Reboot-Spektakel ist, sondern eines mit Gravitas, Tiefgang, Tragik, Bedeutung und Reife.

BladeRunner2049Poster Villeneuve, der Blockbuster-Auteur des Kartell-Thrillers SICARIO und der Erstkontakt-Meditation ARRIVAL, bleibt seinem langsam getakteten Stil treu in einem Sequel, das nicht nur ästhetisch eigenständig wie TRON: LEGACY ist, sondern auch inhaltlich wie MAD MAX: FURY ROAD – nur, dass es Substanz aufweist. Und sogar ein Stück weit besser ist als Ridley Scotts überbewerteter (obgleich zweifellos bestechender und ikonischer) Klassiker.

BLADE RUNNER 2049 reißt die Mauer zwischen künstlichen und echten Menschen ein, dekonstruiert den humanen Kern, indem er fragt, ob Menschsein nur eine gefälschte Erinnerung ist, die sich authentisch anfühlt. Haben Replikanten (K. ist einer, gespielt von Ryan Gosling im kühlen DRIVE-Modus) eine Seele? Brauchen sie denn überhaupt eine? Auch diese Generation ist geschaffen um ‚more human than human’ zu sein.

Beziehungen, Emotionen und Erinnerungen sind holographische Trugbilder, die sich von echten nicht mehr unterscheiden und diese sogar ersetzen. Auch eine aus HER importierte Sexszene mit einer Prostituierten als Body Double zwischen K. und seiner virtuellen Gefährtin (Ana de Armas) transzendiert solche Grenzen. Wo alles virtuell ist, wird die Suche nach Authentizität existenziell. Sie wird zu einer Suche nach der Schöpfung.

So weit, so WESTWORLD. Aber dies bettet Villeneuve in eine umfassende religiöse Metaphorik ein, vom Auszug der Juden aus ihrer Gefangenschaft in Ägypten über einen grausamen Gott (Jared Letos Rolle enttäuscht als klischeelastige Größenwahn-Figur) bis zur Fahndung nach einem Erlöser, ein wenig wie in CHILDREN OF MEN. Das Potenzial, das im Original nur schlummerte, bringt Villeneuve zu voller, facettenreicher Entfaltung.

Bladerunnder2049_2 Das gelingt auch über anregende, unermessliche und bis ins Detail stimmig ausgearbeitete Bildwelten, eine (post)apokalyptische graue Erde, wüst und leer wie in der Genesis, unter grauem Dunst, Staubstürmen oder Regengüssen. Die Slums und Müll-Canyons im Zwielicht muten mitunter wie Dantes Höllenkreise an. Sie versetzen in (philosophisches) Staunen, lassen sinnieren über die Relation von realen und artifiziellen Menschen.

Ausbrüche roher Gewalt erschüttern einen regelmäßig, wie die Ermordung eines schlammmgeborenen Golems. Bevor wir wissen, was wir sind, haben wir Angst, es zu verlieren: Das treibt viele Figuren an, auch K., der wie eine Marionette agiert, den Job für andere erledigt und doch, verzehrt von Melancholie wie alle anderen, frei sein will. Dieser Drang nach Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung rührt immer wieder zu Tränen.

In seinen schlechteren Momenten wirkt BLADE RUNNER 2049 zäh und aufgeblasen, überdramatisiert und hyper-wichtig, im donnernden optischen Overdrive entweicht mitunter die Luft und vieles scheint hohl. Diese Phasen des Sinnvakuums gehen vorüber und passen zugleich zur Sinnsuche der Figuren, egal ob künstlich, echt oder virtuell. Wovon träumen Androiden denn nun? Eine Frage, die auch 2017 noch sehr bewegen kann.

Erschienen auf kommsieh.de.

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Blade Runner 2049, USA/GB/CDN 2017 | Regie: Denis Villeneuve | Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green, nach Motiven von Philip K. Dick | Kamera: Roger A. Deakins | Musik: Benjamin Wallfisch, Hans Zimmer | Mit: Ryan Gosling, Ana De Armas, Robin Wright, Dave Bautista, Wood Harris, Jared Leto, Edward James Olmos, Harrison Ford, u.v.a. | Laufzeit: 164 Min.