Was passieren konnte, wenn eine Filmindustrie wie geschmiert lief, das Konzept von John Sturges‘ DIE GLORREICHEN SIEBEN (1960) nach wie vor attraktiv erschien und Robert Aldrichs DAS DRECKIGE DUTZEND (1967) gerade erfolgreich in den Kinos lief, ließ sich gut an TÖTE ALLE UND KEHR ALLEIN ZURÜCK erkennen. Denn dank fähiger Handwerker, motivierter Darsteller und eingespielter Produktionsmethoden entstand ein Western, der in punkto adrenalingeladener und actionorientierter Verve seinesgleichen suchte und bis heute nichts von seiner Power eingebüßt hat.
Clyde McKay (Chuck Connors) und fünf Verbrecherasse erhalten vom dubiosen Südstaatenhauptmann Lynch (Frank Wolff) den Auftrag, den Nordstaaten die schwer bewachten Goldvorräte abzujagen. Die Truppe ahnt nicht, dass McKay die zusätzliche Order hat, alle Mitwissenden nach Erledigung des Himmelfahrtskommandos umzulegen. Das Gold wird erbeutet, doch nun muss sich die Gruppe mit der persönlichen Gier jedes Einzelnen und mit dem verräterischen Lynch auseinandersetzen. Bei dem folgenden Kampf auf Leben und Tod wendet sich nicht nur mehrmals das Blatt, es setzt auch die ein oder andere faustdicke Überraschung.
Die damalige Marktlage – Italowestern wurden in Cinecittà wie Meterware produziert, da weder Produzenten noch Verleiher und schon gar nicht das Publikum genug vom Sujet kriegen konnte – war verantwortlich dafür, dass sich viele junge Regieassistenten auch als Oberspielleiter versuchen konnten. Enzo G. Castellari machte da keine Ausnahme und TÖTE ALLE UND KEHR ALLEIN ZURÜCK zeigte bereits, welche Meisterwerke von diesem Mann mit der beeindruckenden Physis und dem selbstironischen Understatement noch zu erwarten waren. Seine Inszenierung zeigte über anderthalb Stunden Action und Drive, die Kombination von Western- und Söldnerfilm zahlte sich aus. Das half auch über den kleinen Logikpatzer hinweg, dass das Dynamit, mit dem hier fleißig hantiert wird, zur Zeit des Sezessionskrieges noch gar nicht erfunden war. Die Darsteller sind allesamt eine Schau – neben dem reichlich kantigen Sonnyboy Chuck Connors und einem bärbeißigen Exil-Amerikaner Frank Wolff setzte es viele Italo-Akteure, die sich durch Stuntmantätigkeiten für Sprechrollen empfohlen hatten – und zeigen, dass „Typen“ an jeder filmischen Front gebraucht wurden.
Ganz ähnlich, wie es später REVENGERS (1972) auch noch mal durchexerzieren sollte, konnte man Brian G. Huttons Zweiter-Weltkriegs-Goldklau-Actioner STOSSTRUPP: GOLD (1970) wohl am Ehesten unterstellen, sich an den ohnehin abgeschriebenen Ideen von TÖTE ALLE UND KEHR ALLEIN ZURÜCK gut bedient zu haben – Parallelen ließen sich mühelos entdecken. Somit entwickelte sich der Export und Re-Import von Ideen und Filmmechanismen richtiggehend zum Kreisverkehr, der sich in den kommenden Jahrzehnten bis hin zu Gialli und Slashern immer wieder ergab. Castellari selbst inszenierte mit EIN HAUFEN VERWEGENER HUNDE (1978) mithin einen ‚culture clash‘, der sich als perfekter Hybrid aller Ingredienzien und aberwitzig auf die Spitze getriebenes Wildwest-Weltkriegs-Wunderwerk entpuppen sollte, späterer Ritterschlag durch Quentin Tarantinos INGLORIOUS BASTERDS (2009) inbegriffen.
Für die Filmmusik, die besser sitzt als jede Armeeuniform der Süd- und Nordstaaten, zeichnete Maestro Francesco de Masi verantwortlich, wobei, für den Komponisten typisch, speziell die Blechbläser in tiefen Lagen hervortreten durften. Neben den obligaten Streicherglissandi, dem Morricone-entliehenen Einsatz von Snare Drums und Jazzanleihen, war es vor allem die mit Hallgerät verstärkte Bassgitarre, die den Zuhörer erzittern ließ und in jene italophile Trance versetzte, die dem römischen Film einst innewohnte. Die teils höchst disharmonischen und Angst verbreitenden Choreinsätze wurden durch die Cantori Moderni di Alessandroni absolviert, wobei sich deren Frontsänger Raoul beim Titelsong auszeichnen durfte. Der vom Komponisten selbst dirigierte Soundtrack ist im Übrigen bei BEAT Records auf CD erschienen, für deren Erwerb nach wie vor keine Million Dollar in Goldmünzen vonnöten ist.
Für den Blu-ray-Release findet ein frisches Master Verwendung, dessen Restaurierung als beeindruckend gewertet werden kann und mit angenehmem Filmkorn die wunderbare Technicolor-Farbpalette bestens abzubilden vermag. Dank der Schärfe erscheint nun jede einzelne Schweißperle auf den Gesichtern glasklar und hochauflösend. Die in München entstandene, deutsche Synchronfassung punktet mit Sprecherheroen wie Wolfgang Hess und Herbert Weicker, die überschaubaren, vormals in Deutschland gekürzten Passagen werden in Italienisch mit Untertiteln wiedergegeben. Neben dem italienischen “Originalton“ – wobei Produktionen aus dem Land in Stiefelform grundsätzlich „übersprochen“ wurden und demnach nur einen Originalton mit Gänsefüßchen darstellen – ist die englische Exportsynchronisation enthalten.
Auch mit Dreingaben zeigt sich das Label großzügig: das zeitgenössische „Making of“ speist sich aus filmspezifischen Zusammenschnitten der einstigen Dokumentation „Western, Italian Style“, wobei neben Chuck Connors insbesondere Regisseur Castellari sich scheinbar direkt mit dem Zuschauer unterhält und eindrucksvoll zeigt, wie explizit er seine Vorstellungen den Schauspielern am Set erklärte. In einem fast fünfundvierzigminütigen Interview erzählt der sympathische Stuntschauspieler Giovanni Cianfriglia, welche abenteuerlichen Produktionsbedingungen es bei den Italowestern zu bewältigen gab, öffnet sein Nähkästchen voller Anekdoten und verrät, was es ihn gekostet hat, nicht mehr Ken Wood zu sein. Ein weiteres, kurzes Gespräch mit Alberto Dell’Acqua, der ebenso wie Cianfriglia als Stuntman begann und sich unter dem Pseudonym Robert Widmark langsam zum Nebendarsteller hinaufarbeitete, beleuchtet ebenfalls die Hintergründe der damaligen Gegebenheiten im staubigen Sand der Wüste von Almería. Weitere Extras wie der deutsche und zwei englische Kinotrailer und der teutonische Vorspann – der mit dem epochalen Signet des damaligen Gloria-Filmverleihs und Erwin Halletz‘ brachialsymphonischer Fanfare nostalgische Gefühle aufkommen lässt – sowie eine opulente Bildergalerie runden das Bonusmaterial ab, für dessen Umfang es mehr als einer Satteltasche bedarf.
Wer immer schon nach einem Western suchte, der handwerklich und künstlerisch großformatig unterwegs ist, dabei aber die ganze Zeit aufs Gaspedal drückt, hat ihn nun gefunden: TÖTE ALLE UND KEHR ALLEIN ZURÜCK ist bleihaltiger Actionwestern von hohen Gnaden. Kein Filmfreund des italienischen Kinos sollte sich dieses furiose Spektakel entgehen lassen – mit Enzo Castellari kann man noch jede Schlacht für sich entscheiden.
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Ammazzali tutti e torna solo! | I/ES 1968 | Regie: Enzo G. Castellari | Darsteller: Chuck Connors, Frank Wolff, Franco Citti, Leo Anchóriz, Ken Wood/Giovanni Cianfriglia, Robert Widmark/Alberto dell’Acqua u.a.
Anbieter: Koch Media