Mit THE MAN IN THE HIGH CASTLE produziert Ridley Scott eine der außergewöhnlichsten Streaming-Serien in unserer an guten Serien nicht mehr armen Welt. Nicht bei Netflix, sondern bei Amazon Prime läuft die Serie nach Philip K. Dicks Dystopie, in der die Achsenmächte den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben und sich Großdeutschland und Japan die USA aufteilen.
All diese Wirren wirbeln auch private Beziehungen durcheinander. Aus Liebe und, um seine Stellung zu behalten (und einen Krieg abzuwenden), will Obergruppenführer Smith als höchster Amerikaner nicht zulassen, dass die Muskeldysthrophie seines Sohnes öffentlich wird: Sohn Thomas würde zum Euthanasiefall. Ein schlimmeres Los kann einen kaum treffen in einem faschistischen System. Juliana muss aus den japanischen Pazifikstaaten flüchten und soll bei Smiths Familie für den Widerstand spionieren. Gewissenskonflikte vorprogrammiert. Geschuldet ist ihre Verbindung zu Smith dem ehemaligen Widerstandskämpfer Joe, der sich als Sohn von Reichsminister Martin Heusmann entpuppt. Es bahnt sich die klassische Vater-Sohn-Problematik autoritärer Erziehungsstrukturen an – nur dass das Autoritäre auch die gesamte Gesellschaft bestimmt.
Doch in Berlin lernt Joe auch das Andere kennen, durch Nicole, die wie er ein Lebensborn-Kind ist. Sie führt ihn an Parties in junge, liberale Kreise ein, mit LSD-Trips, Gesprächen und Gesellschaftsvorstellungen, die so gar nichts mit Faschismus zu tun haben. Berlin als stylisher Geburtsort alternativer Hippies, mitten im Zentrum der Macht. Hier wird eine Alternativwelt plötzlich in die alternative Gesellschaft gepflanzt.
Der Filmstil ist weniger kalt und entfremdet als in der ersten Staffel, die Personenzeichnung entspannter und lebhafter, Amerika als faschistische Kolonie normaler. Die Historie und die Realität scheinen sich anzugleichen – und gerade deshalb fasziniert der Stil, den Produzent Ridley Scott der Serie auferlegt hat: oft unterkühlt, wortkarg und düster. Die US-Fifties ohne den unbeschwerten gesellschaftlichen Elan (und ohne die neu erwachsende Jugendkultur) und trotzdem so beseelt, dass die Botschaft (die man banal oder adäquat finden darf) durchkommt: Menschen gewöhnen sich durchaus schnell an ein barbarisches System. Und wenn er darin lebt, sind auch die Grenzen zwischen moralischem und bestialischem Verhalten nicht mehr klar zu ziehen.
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The Man in the High Castle, 2. Staffel | USA 2017 | Created by: Frank Spotnitz | Regie: Daniel Percival, Colin Bucksey, Daniel Sackheim u.a. | Darsteller: Alexa Davalos, Rupert Evans, Luke Kleintank, DJ Qualls, Rufus Sewell, Cary-Hiroyuki Tagawa | 10×60 min.