Robert Eggers ist einer der kommenden US-Regisseure, der das Potenzial besitzt, richtig Neues zu erschaffen. Mit dem stilisierten Horrorfilm THE WITCH gab er 2015 beim Sundance-Festival einen beachtlichen Einstand. Sein zweiter Film THE LIGHTHOUSE ist in vielerlei Hinsicht noch überragender.
Zuvorderst in ästhetischer Hinsicht bedient THE LIGHTHOUSE höchste Standards. Die historische Story, die Ende des 19. Jahrhunderts zwei Leuchtturmwärter in Maine für einen üblichen, dreimonatigen Arbeitsaufenthalt auf eine einsame Insel mit Leuchtturm versetzt, erschafft auch eine bildgewaltige visuelle Welt, die den Zuschauer auf raffinierte Art in die Zeit vor der Jahrhundertwende versetzt. Das kontrastreiche Schwarzweiss verdeutlicht nicht nur die rauhen, widrigen Verhältnisse der beiden Protagonisten, sondern reflektiert auch die Anfänge der Filmgeschichte, die in dieselbe Epoche fallen. Das Widescreen-Format kippt Eggers dabei immer wieder über Bord und arbeitet phasenweise mit einem quadratischen Filmbild. Die Ausstattung der Filminsel (der Leuchtturm wurde für den Film gebaut) ist gekonnt detailreich, düster und gibt die klaustrophobe Enge wieder, sowohl auf der Insel wie im Inneren des Wohnhauses. Und nicht zuletzt überzeugen die beiden Leuchtturmwärter, unerkennbar und trotzdem unverkennbar dargestellt von Willem Dafoe und Robert Pattinson. Als dunkel gekleidete und geschminkte Seebären Thomas Wake und Ephraim Winslow, die – im Gegensatz zu den üblichen Kostümfilmen – in ihrem Stummfilm-Styling überhaupt nicht verkleidet wirken, versuchen sie zusammen den harten Alltag zu bewältigen und geraten sehr schnell an ihre psychischen Grenzen.
Die hohe Künstlichkeit der Personen, Sets und des Kinematographischen verleihen dem Film dabei eine hohe Glaubwürdigkeit. Alles an Eggers‘ Film scheint in einer Art historischer Authentizität aufzugehen. Man wähnt sich in einem großen Roman der Zeit, „Moby Dick“ liegt als Referenz auf der Hand.
THE LIGHTHOUSE ist kein Feelgood-Kostümfilm, es ist eine düstere Erzählung aus der Zeit, in der die USA aufhörten, Wilder Westen zu sein. Die Disziplinierung des „Land of the Free“ beginnt. Thomas Wake und Ephraim Winslow geraten in eine pathologische Beziehung, ein neurotisches System, angetrieben vom alten Wake, der dem jungen Winslow verbietet, nachts das Licht oben im Turm zu bewachen bzw. überhaupt den obersten Bereich des Leuchtturms zu betreten. Winslow wird damit nicht nur ein Recht vorenthalten, er wird auch zu niedrigen Arbeiten wie putzen, flicken, abwaschen abkommandiert. Und streng beurteilt. Es dauert nicht lange, bis Winslow seinen älteren Partner zu hassen beginnt. Wake lässt das kalt: Er kritisiert weiter das Essen oder den nicht perfekt gescheuerten Boden. Ihre Streitereien sind selten rational, sondern mörderisch mürrisch und vergiftet. Nur im Vollsuff beginnen die beiden zusammen zu singen und zu tanzen, in geradezu witzigen Szenen.
Doch der Film macht nicht vor dieser sadomasochistischen, leicht homoerotischen Beziehung Halt, denn THE LIGHTHOUSE entpupppt sich auch als Geistergeschichte, wie man sie aus dem späten 19. Jahrhundert kennt. So wie „The Turn of the Screw“ von Henry James (1898, wunderschön verfilmt von Jack Clayton in Jahr 1961 als THE INNOCENTS), nur eben nicht in der Welt der englischen Landhäuser, Gouvernanten und unschuldigen Kinder. Bei Eggers geht es handfester zur Sache, eine ätherische Erscheinung aus dem Meer taucht auf. Erst findet Ephraim Winslow ein kleines Figürchen, eine Meeresnixe, das ihn zum Onanieren anregt. Möglicherweise stammt die Figur von Wakes geheimnisvoll verstorbenem Assistenten und trägt damit den Nucleus des Verderbens bereits in sich. Winslow gerät in eine erotische Traumwelt, in der die Meeresjungfrau (Valeriia Karaman) real erscheint. Gleichzeitig steht auch sie für eine Verdrängung – ertränkt im Wasser. Die psychologischen Dimensionen werden mehr und komplexer, während sich das Verhältnis der beiden Männer immer mehr in eine Gewaltbeziehung steigert.
Eggers kommentierte seinen Film ironisch „Bad things happen when two men are trapped in a giant phallus.“ Denkt man die Spitze des Phallus als Leuchten, als Ort der Erleuchtung (die Wake Winslow verweigert), so erhält die Story eine tief freudianische Dimension – und (auch) nicht zufällig spielt THE LIGHTHOUSE ja in derselben Epoche, in der Freud die Theorien der Psychoanalyse aufstellte. Das ist etwas, das Eggers in seinem Film bis ins Sprachliche hinein verfolgt. So lässt sich beispielsweise die Namensgebung im Film detailliert (und teilweise freudianisch) aufschlüsseln. Thomas Wake „erweckt“ die gesamte psychotische Situation, während die „schwachen Winde“ (Winds low) durch die ständige Psychose eine Veränderung erfahren. Denn im Verlauf des Films ergibt sich eine überraschende Namensänderung. Der alte Thomas Wake quält und unterdrückt den jungen Ephraim Winslow derart, dass aus seinem aktuellen Ich ein vorheriges Ich wird, mit dem Namen Thomas Howard (vermutlich der Freund und Mitarbeiter, den Ephraim Winslow selbst einst umbrachte). Dann haben wir Thomas Wake vs. Thomas Howard, zweimal Thomas. Dass der Name Thomas „Zwilling“ bedeutet, ist auf einmal kein Zufall mehr: Ephraim nimmt die Rolle seines Opfers ein. Und wird vom unterdrückerischen Thomas Wake in die Position gedrängt, die bereits seinen letzten Assistenten in den Wahnsinn trieb.
THE LIGHTHOUSE ist ein Film zweier Männer mit Vergangenheit und komplexen Psychosen im sich zivilisierenden Osten der USA (vor der Küste New Englands). Atemberaubend gefilmt und spannend, wenngleich manchmal etwas zu viel der Hinweise, Symbole, Ereignisse und dramaturgischen Stränge (die dann oftmals nicht zufriedenstellend weiterentwickelt werden).
The Lighthouse
USA 2019
Regie: Robert Eggers
Drehbuch: Max Eggers, Robert Eggers
Musik: Mark Korven
Kamera: Jarin Blaschke
Darsteller: Willem Dafoe, Robert Pattinson, Valeriia Karaman
Laufzeit: 110 min.
Der Film lief am ZFF 2019.