Takashi Miike könnte bei seiner Produktionswut locker jährlich an drei, vier Festivals Filme vorstellen – auf jedem Festival einen neuen wohlgemerkt. Auf einschlägigen Festivals taucht er jedenfalls immer wieder auf und bringt etwas Neues mit. In Neuchâtel hat Miike einen Film aus eigener Feder gezeigt, der zwar bereits in einem Nocturne in Cannes lief, aber doch eigentlich brandneu ist. Als skurrile, gewaltvolle Komödie aus dem Miikeschen Universum überzeichnet FIRST LOVE denn auch das Leben so, wie es ist: skurril, voll grotesker Gewalt, nur mit schwarzem Humor zu ertragen – und wer sich ein Happy End wünscht, erhält es auch. Höchst ironisch als Verfremdung im Anime-Stil.
Der Film beginnt mit einem jungen, talentierten Boxer und einem frivolen Matchcut. Er boxt in ein Gesicht – und auf die Straße hinaus fliegt ein Kopf, gerade eben von einem Yakuza in der Nähe abgeschlagen. Die Geschichte verharrt anfangs auf dem jungen Boxer Leo (Masataka Kubota), dem ein Hirntumor diagnostiziert wird. Einsam im Shinjuku-Distrikt umher flanierend, wird er in einen Konflikt um einen langsam angezettelten Drogenkrieg zwischen Yakuza und chinesischer Mafia verwickelt und lernt dabei die Sexarbeiterin Monica (Sakurako Konishi) kennen. Monica, als Kind von ihrem Vater missbraucht, fühlt sich stets von einem halbnackten Geist verfolgt (ihren Vater repräsentierend) und in der Realität von einem soziopathischen, mafiösen Punk: Kase (Shôta Sometani) ist eine dieser megalomanen Loserfiguren des japanischen Kinos, die meinen, sie können das organisierte Verbrechen austricksen und meist scheitern. In diesem Fall löst Kase einen veritablen Bandenkrieg aus. Leo, der wegen seiner Krankheit nichts mehr zu verlieren hat, beschließt Monica zu helfen. Die beiden sind schnell mal auf der Flucht vor dem soziopathischen Kase und den Wirrungen des Bandenkriegs. Zu diesem irren Einstieg gesellt sich – wir ahnen es, bei Miike – noch allerlei anderes Personal mit psychotischen Störungen hinzu, vom säbelschwingenden Gangsterboss bis zur rachsüchtigen Femme Fatale.
Und dann kommt Takashi Miikes Können zum Zug: Wo sonst ein Regisseur dieses Personal langsam und dramaturgisch gut entwickelt aufeinander zukommen und aufeinanderprallen lassen würde, legt Miike einfach zwei Gänge mehr ein. Die Ereignisse der Nacht, in der alle um ihr Leben kämpfen, entfalten sich im Schnellzugtempo und vermögen die Spannung zu halten. Auch hier fühlt man sich in einen Manga hineinversetzt – Manga als eine der ästhetischen Grundingredienzien in Miikes wilden Mischungen von Genres. In FIRST LOVE bezieht sich Miike nicht wie in seinen Samuraifilmen oder (eindeutigeren) Gangsterfilmen postmodern (bzw. tarantinomäßig) auf bekannte Genres und lässt das Blut spritzen, sondern orientiert sich viel eher an Mangastories und schafft eine fast schon indimäßige Geschichte, wie sie sich Kevin Smith auf Speed ausdenken würde. Die Story besticht immer wieder durch unerwartete Wendungen und irre Einfälle. Wie üblich bei Miike.
Lediglich der Schlussszene im Baumarkt widmet er etwas zu viel Zeit, obwohl sie gut inszeniert ist. Dass dazwischen Autos durchs Parkhaus sausen zu irrer freejazziger Musik ist wiederum musikalischer Wahnsinn pur und ein toller, ungewöhnlicher filmischer Einfall, der funktioniert. Dass er kurz darauf eine Anime-Sequenz einsetzt, um ein Happy End zu erzählen, ist dagegen etwas billig. Aber so ist er eben, der Meister Miike.
Hatsukoi
Japan, UK 2019
Regie: Takashi Miike
Drehbuch: Masaru Nakamura
Darsteller: Sakurako Konishi, Masataka Kubota, Nao Omori, Shôta Sometani, Sakurako Konishi u.a.
Laufzeit: 108 min.
Der Film lief am Neuchâtel International Fantasy Film Festival.