Seitdem Abkömmlinge von Literaturwissenschaftlern das Feld okkupiert haben und Semiotiker vornehmlich auf Bildschirmen und Leinwänden Zeichen und Erscheinungen aller Art sehen, über die allein sie die Deutungshoheit beanspruchen zu können glauben, macht das Verfassen einer Filmkritik nur noch wenig Spaß. Schließlich ist alles so dröge geworden wie die, die darüber schreiben. Ich mag als „verkrustet“ gelten, aber dröge…? Da gab es natürlich noch die Nische des sogenannten Genrefilms, aber seitdem dieser überstrapazierte Begriff, an dem erst mal nichts falsch ist, weil ja alles „irgendwie“ Genre ist, auch Wissenschaftler und Semiotiker infiziert hat, die hier dem Spaß ihrer Jugend zu akademischen „Ehren“ verhelfen wollen, seitdem ist auch das, was aus dieser marginalisierten Nische quillt, nur noch Schleim. Ich habe, ehrlich gesagt, sprichwörtlich die Lust verloren, mir eine Erektion vorzumachen, wenn ich Schleimer-Sätze wie diesen hier lese: Dominant ist im Giallo wie im Gothic-Horror zudem die Emphase von Leiblichkeit. Beide Genres lassen sich in doppelter Hinsicht als charakteristische Spielart des Körperkinos begreifen: zum einen durch ihre Fokussierung auf die Darstellung von Körperlichkeit und deren lustvolle Destruktion im diegetischen Raum, zum anderen durch ihre Intention einer somatischen Affizierung des Zuschauersubjekts vor der Leinwand. Intellektuelle Samenergüsse mögen etwas Positives und auch Inspirierendes haben, sehr häufig sogar (siehe Nietzsche!), ja, ich gebe es gern zu, aber das hier ist nichts weiter als wertlose Wichserei und affektierte Schaumschlägerei. Gewöhnlich haben die Sammelbände, in denen solcher Schwachsinn auch noch auf unschuldiges Papier gedruckt wird, mehr Autoren als Leser. Warum müssen diese Leute ihre aus dem Gegenstand ihrer Forschung erwachsenen Minderwertigkeitskomplexe unter dem Tarnmantel der Literaturwissenschaft kompensieren, möglichst dafür noch einen Lehrstuhl beanspruchen?
Ich will und kann so etwas nicht schreiben. Also war ich schon drauf und dran, die ebenso freundliche wie brotlose Einladung, eine Rezension zum (ausgerechnet!) BISS DER SCHLANGENFRAU einzureichen, abzulehnen. Doch da ich dies schreibe, ereilt uns das Coronavirus, das seinen Ursprung in China hat, angeblich harmloser als eine Grippeepidemie (die Spanische Grippe forderte nach dem Ersten Weltkrieg Millionenopfer und beeinflusste einen der großen Vampirfilme, frei nach Bram Stoker: NOSFERATU). Und endlich ergeben die vom Kollegen aus der Abstellkammer der Filmsemiotik beschworene Körperlichkeit und deren lustvolle Destruktion wenigstens einen virologischen Sinn:
Nach Angaben eines chinesischen Forscherteams soll das Coronoavirus von zwei Giftschlangen auf den Menschen übertragen worden sein. Aber wahrscheinlicher ist, dass es sich um Fledermäuse handelt. So verhielt es sich jedenfalls beim Sars-Virus, mit dem das gegenwärtige offensichtlich verwandt ist. Die Zeitbombe einer Pandemie tickt: wenn nicht dieses Mal, wo bereits ganze chinesische Großstädte mit Millionen Einwohnern unter Quarantäne gestellt werden, erstmals in der Geschichte der Menschheit, dann beim nächsten oder übernächsten oder überübernächsten Mal. Die Angst vor Seuchen ist auch eine der Quellen gewesen, aus der die „klassischen“ Vampirgeschichten den Stoff für ihre Alpträume bezogen haben.
Und im BISS DER SCHLANGENFRAU wirken bekanntermaßen beide Tierarten im Hintergrund: Schlangen und Fledermäuse. Wenn das nichts ist! Nach ALTERED STATES (DER HÖLLENTRIP) und GOTHIC war diese Fabel mit dem Originaltitel THE LAIR OF THE WHITE WORM 1988 Ken Russells dritter Horrorfilm – und wahrscheinlich sein am wenigsten von Erfolg gekrönter. (Danach hat er, von Ausnahmen abgesehen, nur noch Fernsehfilme und kurze Sachen gemacht,) Schlangenfrauen waren beliebte Angstgestalten des Gruselfilms, von Ray Harryhausens animierten Halbwesen bis zu THE SNAKE WOMAN (VOM TEUFEL GEZEICHNET) und John Gillings unterschätztem Hammer-Beitrag THE REPTILE (DAS SCHWARZE REPTIL) von 1966, mit dem Russells Neuauflage auch ästhetisch am meisten gemein hat. Nicht nur für Russell war der Weiße Wurm so etwas wie ein filmisches Spätwerk, es war auch der letzte „große“ Roman, den Bram Stoker veröffentlichte, ein Jahr vor seinem Tod: deutsch bei Bastei Lübbe, Das Schloss der Schlange. Und nicht einmal Dracula war zu seinen Lebzeiten erfolgreich: Eine Sensation wurde Stokers Hauptwerk erst posthum. Aber Lair of the White Worm war kein Hauptwerk, es war ein konventionelles, schlecht geschriebenes Buch (Es gab Vermutungen, Stoker habe Dracula nicht allein geschrieben, sondern Hilfe in Anspruch genommen). Das musste auch Ken Russell erkennen, der nach der Lektüre angeblich sehr enttäuscht war: Dracula habe Klasse gehabt, diesen Stoff hätte er am liebsten verfilmt, der sei echt Gothic gewesen, aber Lair nichts weiter als britisch. Nur: wenn er enttäuscht war, warum hat er dann den Film überhaupt gemacht? Er hat versucht zu retten, was zu retten ist, und das Buch eines Russell (und nicht eines Stoker) würdig umgeschrieben. Geholfen hat es nicht viel. Er hatte sogar die geniale Idee, die Tilda Swinton zu – wie heißt es so schön – casten, aber die hat verständlicherweise abgelehnt, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatte, das so vordergründig war wie der deutsche Titel. Swinton war damals 28, wie Hugh Grant, der die männliche Hauptrolle annahm. Amanda Donohoe als verführerische Lady Sylvia Marsh, die später in STARSHIP TROOPERS 3 gewesen ist, war kein adäquater Ersatz für Swinton. Donohoe als verführerische Vampir-Schlangenfrau will eine jungfräuliche Nachbarin in eine Höhle locken, wo sie einem weißen SFX-Wurm, einer Drachenschlange, geopfert werden soll. Russell hatte alle Hände voll zu tun mit den Special Effects (Maske, technische und visuelle Effekte), aber für alles nur, Teil eines Package Deals, aus dem er nicht heraus konnte, ein mageres Budget von zwei Millionen Dollar.
Ich habe den Film seinerzeit, mit wenigen anderen Besuchern, im Kino gesehen und war, wie Russell von Stoker, von Russell enttäuscht, der aus dieser Geschichte nicht mehr herauszuholen wusste als eine phallische Farce, wie es ein englischer Journalist nannte. Als Hammer-Film wäre es durchgegangen, als Russell-Film war es Zeitverschwendung. Ich hätte nie gedacht, nach dreißig Jahren noch einmal darüber zu schreiben – und dann auch noch aktuelle Parallelen in dieser abstrusen Geschichte zu erkennen. So kann man sich nicht nur in Menschen, sondern auch Filmen täuschen.
Erschienen ist Ken Russells poppiger Schlangenhorror in einer exzellenten Blu-ray-Neuauflage bei cmv-Laservision. Bild und deutscher wie englischer Ton sind hervorragend und es finden sich ganze drei Audiokommentare. Neben einem launischen wie erhellenden Kommentar von Russell höchstpersönlich finden sich noch Kommentare von Lisi Russel und Matthew Melia wie auch von Christoph N. Kellerbach und Tom Burgas. Ganze drei ausführliche Featurettes geben einen guten Einblick in die Arbeitsweise des britischen Regieexzentrikers. Der Film liegt damit in einer schönen Referenzausgabe vor.
___________________________________________________________________
The Lair of the White Worm | Großbritannien 1988 | Regie: Ken Russell | Darsteller: Amanda Donohoe, Hugh Grant, Catherine Oxenberg, Peter Capaldi, Sammi Davis, Stratford Johns u.a.
Anbieter: cmv-Laservision