Bring on the Noyce.

Seine Filme sind so verschieden wie die Meinungen, die man von ihnen haben kann. Ob man nun Filme wie TODESSTILLE oder SLIVER so schätzt wie ich oder Regisseur Phillip Noyce eher an DIE STUNDE DER PATRIOTEN, SALT oder DER KNOCHENJÄGER misst – immer wieder dreht er Filme, die das eine oder andere an sich haben. Jetzt, mit über 70 Jahren, verfilmt er mit ABOVE SUSPICION das gleichnamige True Crime Buch von Joe Sharkey, einem Journalisten mit pointierten Stellungnahmen.

Die alleinerziehende Mutter Susan Smith (Emilia Clarke / Daenerys aus GAME OF THRONES) suckelt gerade an ihrem Hustensirup, den sie als schwache Good-Morning-Droge konsumiert, als sie Mark Putnam das erste Mal sieht. Ein Lichtblick in der abgewirtschafteten US-Kleinstadt Pikeville in Kentucky, deren Sozialfälle und Landschaften von Noyce mit einem harten Blaufilter überzogen werden: „Ich dachte, er sieht aus wie ein Bild aus einer Zeitschrift“. Der verheiratete Undercover FBI-Agent Putnam (Jack Huston) strandet mit Frau und Kind, um einem Serienbankräuber das Handwerk zu legen. Er ist nicht nur gutaussehend, sondern auch äußerst ambitioniert. Und er bemerkt Susans Verbindungen und verführt sie dazu, gegen Geld Auskünfte zu den Einbrechern zu geben. Sie entdeckt darin die größte Chance, ihrer abgefuckten Welt der Trailerparks, der gewalttätigen Männer und ständigen Drogenparties Goodbye zu sagen.

Die Story von ABOVE SUSPICION trug sich zwar in 1988-89 zu, sie fühlt sich jedoch wie im Hier und Jetzt an. Der Eskapismus in Drogenkonsum, Sex und Gewalt, aber auch die Tattoos und die dröhnende Rockmusik erinnern stimmungsmäßig viel mehr an die aktuelle Sozialverelendung und Opioidkrise in den USA, die jährlich rund 70 000 Amerikaner das Leben kostet (Stand: 2017) und zur häufigsten Todesursache der Unter-50-jährigen Amerikaner avancierte. Zugleich erinnert uns der Film daran, dass die soziale Verelendung und Perspektivenlosigkeit in den USA bereits in den 80er Jahren dramatische Ausmaße annahm (und auch dann bereits in Filmen zu sehen war, wie z.B. RIVER‘S EDGE). Susan Smith lebt zusammen mit ihrem Ex-Mann (Johnny Knoxville) in der Vorhölle zum vorprogrammierten Untergang und sieht in der unverhofften Verbindung zu diesem Strahlemann von einem FBI-Agenten die Hoffnung auf Flucht aufkeimen.

Doch der Deal ist ein anderer. Während er lediglich einen Tauschhandel zwischen ihrem „big risk“, Geheimnisse zu verraten, und seinem „big money“ sieht, verliebt sie sich in ihn. Und verführt ihn – als sexuell offensive Frauenfigur fasst sie ihn einfach an die Hose („Du verdienst eine Belohnung.“) und bricht damit sofort seinen Widerstand. Dabei gerät natürlich seine Ehe aus dem emotionalen Gleichgewicht, während sie derweil um ihr Leben fürchten muss, falls auch nur eine verräterische Information durch einen FBI-Einsatz zu ihren Freunden durchsickert.

ABOVE SUSPICION ist keine Story, die mit liebenswerten Menschen operiert. Selbst Susan, aus deren Perspektive und mit deren Gedankenstimme wir die Story (meistens) erleben, verfolgt einfach ihren Plan, von dem (natürlich) klar ist, dass der sich auch nicht so einfach verwirklicht. Ihre Begegnung mit Mark Putnam entlässt sie nicht einfach so aus der Vorhölle Pikevilles. Im Gegenteil: „So tritt der Teufel auf: Er kommt als das zu dir, was du jemals wolltest.“ Wer dabei aber einen erotisch aufgeladenen Neo-Film-Noir-Thriller erwartet, wie er in der Nachfolge von U-TURN oder RED ROCK WEST in den 90er Jahren gehäuft Gänsehaut erzeugte, wir von ABOVE SUSPICION enttäuscht. An Emilia Clarke liegt‘s nicht – sie spielt ihren ambivalenten Charakter mit Differenziertheit und Sex Appeal. Vielmehr schafft es Regisseur Noyce nicht, aus seinem penetranten Blauschleier über der Stadt auszubrechen und die wahre Story so zu inszenieren, dass sich die Spannung zuspitzt. Dazu wäre insgesamt eine bessere Charakterisierung der Personen nötig gewesen, vor allem auch der blass bleibenden Fieslinge aus Susans Umfeld. So dümpelt der Film im Mittelmaß herum und suhlt sich irgendwie ständig in verpassten Chancen. In diesem Sinne sicher ein Noyce-Film, der in Vergessenheit geraten wird.

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Above Suspicion, USA 2019 | Regie: Phillip Noyce | Drehbuch: Chris Gerolmo | Musik: Dickon Hinchcliffe | Kamera: Elliot Davis | Darsteller: Emilia Clarke, Jack Huston, Sophie Lowe, Johnny Knoxville, Thora Birch | Laufzeit: 104 min.