Zukunft ist Vergangenheit.

„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“ William Faulkner
Eden (Janelle Monáe – MOONLIGHT), eine junge schwarze Frau, lebt als Sklavin auf einer Südstaaten-Plantage, die von konföderierten Soldaten und einer sadistischen Gutsherrin (Jena Malone – SUCKER PUNCH) betrieben wird. Die Sklaven dürfen ohne Erlaubnis nicht sprechen. Fluchtversuche werden mit dem Tod bestraft und die Leichen werden in einem Krematorium auf dem Plantagengelände verbrannt. Eden weigert sich, auf diesen ihr von den Südstaatlern gegebenen Namen zu hören und gehorcht erst, nachdem der General sie vergewaltigt und mit einem Brandeisen malträtiert.
In diesem Moment wird Veronica Henley, ebenfalls von Monáe dargestellt, von ihrem Handy geweckt. Veronica ist eine bekannte Soziologin, die gegen die systematische Entrechtung von Schwarzen in den heutigen Vereinigten Staaten kämpft. Sie reist zu einer Konferenz nach New Orleans. Dort häufen sich eigenartige Vorkommnisse, wie ein Zusammentreffen mit der arroganten Südstaatlerin Elizabeth (auch Jena Malone) und eine merkwürdige Fahrt im Aufzug mit einem sehr weißen Mädchen. Zudem ist Veronica vielen subtilen rassistischen Mikroaggressionen ausgesetzt, angefangen vom Service im Hotel, über eher bösartige Komplimente, bis hin zu der Tatsache, dass sie mit ihren Freundinnen Dawn (Gabourey Sidibe – PRECIOUS) und Sarah (Lily Cowles – ROSWELL) in einem teuren Restaurant am schlechtesten Tisch platziert wird. Das Angebot des Kellners, einen Prosecco zu bringen, obwohl Veronica klar nach Champagner verlangt hat, ist da nur noch das i-Tüpfelchen.
Wie die beiden Geschichten zusammenhängen, ist das Thema des Thrillers des Regieduos Gerard Bush und Christopher Renz, das sich bisher mit stylischen Kurzfilmen und Videos einen Namen gemacht hat. Für ihren ersten Spielfilm haben sich die beiden ein besonders in den USA gerade brandaktuelles Thema gewählt – den allgegenwärtigen Rassismus, der sich durch die Geschichte der USA zieht. Wie schon in Jordan Peele´s GET OUT und US, deren Produzenten auch hinter diesem Thriller stehen, dient die Geschichte als Metapher für den systemischen Rassismus der amerikanischen Gesellschaft. Die Gegenüberstellung der Vorgänge auf der Plantage und dem aktuellen Leben von Veronica dienen als Sinnbild für den Zustand der heutigen Gesellschaft, auch wenn der Rassismus heutzutage erheblich subtiler daherkommt.
Wer genau hinschaut, wird allerhand Details erkennen, die den shyamalanesken Twist nach der Hälfte der Laufzeit erahnen lassen. Aber selbst, wenn die Überraschung vielleicht nicht so überraschend ist, so war für mich das eigentlich Interessante daran, dass ich diese Wendung, die der feuchte Traum eines jeden Rassisten sein dürfte, nicht mal sonderlich unwahrscheinlich fand. Bedenkt man, dass heutzutage QAnon-Anhänger bewaffnet in Pizzerien stürmen, um dort angeblich im Keller betriebene Pädophilenringe auszuheben, der orangefarbene Präsident Nazis als „good people“ bezeichnet und ein Cop auf offener Straße ungerührt einen schwarzen Mann acht Minuten lang ersticken lässt, warum sollte dann eine solche Ungeheuerlichkeit nicht auch passieren können?
ANTEBELLUM fehlt zwar die Subtilität und Cleverness von Peeles Filmen, dennoch haben Renz und Bush eine spannende Story in wuchtigen Bildern geschaffen, die der Gesellschaft ein unangenehmes Spiegelbild vorhält. Großen Anteil am Gelingen hat hier die Darstellung von Janelle Monáe, die damit erneut unterstreicht, dass sie nicht nur eine Sängerin mit gelegentlichen Ausflügen ins Schauspielfach ist, sondern eine Vollblutmimin. Sie bringt nicht nur das erforderliche Wechselbad der Gefühle überzeugend auf die Leinwand, sondern entpuppt sich im letzten Viertel des Films auch noch als patente Actionheldin.
Da sie der absolute Mittelpunkt des Films ist, fallen alle anderen Charaktere etwas eindimensional aus. Jack Huston (THE IRISHMAN) als Plantagenaufseher ist ein Sadist, der General (Eric Lange – WIND RIVER) nicht viel besser, Veronicas Mann (Marque Richardson – DEAR WHITE PEOPLE) ist perfekt und Jena Malone, die bei ihrer Rollenauswahl oft zwiespältige Charaktere zu bevorzugen scheint, ist ein rassistisches Miststück. Lediglich die wunderbare Gabourey Sidibe hat einen herrlichen Auftritt als Dawn, Veronicas feierfreudiger Freundin mit einem ausgesprochen losen Mundwerk.
Technisch ist der Film ein echter Hingucker. DP Pedro Luque (DON`T BREATHE) startet mit einer atemberaubenden fünfminütigen Plansequenz, die uns die gesamte Örtlichkeit der Plantage zeigt, im Vorbeigleiten alle Hauptcharaktere und ihre Stellung vorstellt und uns einstimmt auf das harte Leben der Sklaven, umgeben von einer traumhaft schönen Landschaft, deren Idylle allerdings nur die Herrschenden genießen dürfen. Optisch ist diese Sequenz sicher das Highlight, aber Luque hat hier durchgängig exzellente Arbeit abgeliefert und hat für Vergangenheit und Gegenwart jeweils eigene Akzente gesetzt, gut unterstütz von Cutter John Axelrad (AD ASTRA).
Das Duo Bush und Renz hat mit ANTEBELLUM einen polarisierenden Thriller abgeliefert, eine bittere Abrechnung mit dem Alltagsrassismus, die manchmal den Holzhammer herausholt, um einen offensichtlichen Punkt zu machen. Aber vielleicht muss man eben manchmal auf Fingerspitzengefühl pfeifen, um dem Publikum unangenehme Wahrheiten näherzubringen, die niemand wirklich sehen will oder für längst überwundene Relikte aus der Vergangenheit hält. Ungefähr so, wie manch seniler Rechter hierzulande nicht sehen will, dass Hitler und die Nazis eben nicht nur „ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte sind“.

___________________________________________________________________

Antebellum | USA 2020 | Regie: Gerard Bush, Christopher Renz | Darsteller: Janelle Monáe, Eric Lange, Jena Malone, Jack Huston, Tongayi Chirisa, Kiersey Clemons, Gabourey Sidibe u.a.

Anbieter: Leonine

Anbieter:

Leonine