Ménage-à-trois surréaliste et colonialiste.

Leidenschaft ist, was Leiden schafft; oder wie es einst Baudelaire ausdrückte „Unter den Verrücktheiten der Lüste wohnt der Henker ohne Gnade“. Die Verknüpfung von Pein und Begierde ist wohl fast so alt wie die Menschheit selbst – und die Faszination für dieses eigentümliche Gebilde scheint bis heute nicht abgeebbt. Denn von Liebe kann bei DIE FRÜCHTE DER LEIDENSCHAFT nicht die Rede sein, es geht direkt ans Eingemachte unterhalb der Obilinie – gegen Thanatos wird Eros hier nur zweiter Sieger.

O (Isabelle Illiers) ist von Sir Stephen (Klaus Kinski) in ein asiatisches Ausländerfreudenhaus gebracht worden; durch das Anbieten ihrer Dienste soll sie ihm ihre hörige Liebe beweisen. Dort führt Madame (Peter) ein straffes Regiment, der Dienst am Kunden hat oberste Priorität. Während sich Stephen parallel mit Nathalie (Arielle Dombasle) vergnügt und versucht, mit seinem Casino das süße Leben zu genießen, formiert sich im Shanghaier Untergrund die Rebellion gegen die europäischen Besatzer … und einer der Revolutionäre erkennt in O seine große Liebe. Eine todbringende Abwärtsspirale aus Begehren und Verderben, aus Macht und Ohnmacht setzt sich unaufhaltsam in Gang.

Susan Sontag bezeichnete den skandalumwitterten Roman „Geschichte der O“ einst als anspruchsvolle Pornographie, für die Leserschaft unterschiedlichster Couleur wurde das Büchlein – samt seinem weit weniger bekannten Nachfolger „Rückkehr nach Roissy“, auf denen beiden DIE FRÜCHTE DER LEIDENSCHAFT in freier Weise basiert – zum Standardwerk der modernen, sich befreienden Gesellschaft. Immer etwas anrüchig, doch stets auf eine seltsam spröde Weise charmant genug, um nicht als lüstern-delektabler Schmuddel abgefertigt zu werden. Einen anderen Impetus scheint Shūji Terayama mit seinem Film zu verfolgen, der mit avantgardistischen Werken weit über die Grenzen seines japanischen Heimatlandes Erfolge feiern konnte.

DIE FRÜCHTE DER LEIDENSCHAFT ist für die regenmantelgewandeten Liebhaber dulliger Kleinstadterotik oder klemmiger Hinterlandnackedeifantasie eine kapitale Fehlinvestition an vergänglicher Lebenszeit. Denn nichts dergleichen wird von Terayama aufs Schild gehoben, es umflirrt uns stattdessen „Die kleine Händlerin der Zeit“. Neben der weiblichen Unterwerfung, die naturgemäß portraitiert wird – wobei diese Szenen in ihrer trancehaften Morbidität nie ins Klischee des puren Zeigewillens abgleiten – entspinnt der Regisseur ein schwer ausleuchtbares Tableau an sadomasochistischen Versatzstücken, exzentrischem Interieur und Federboa schwingenden, androgynen Gestalten. Die Handlung, die immer wieder von avantgardistischen, mit Farbfiltern verfremdeten, assoziativen Zwischenschnitten und Bildmontagen unterbrochen wird, ist im Grunde zu vernachlässigen, ebenso die Charaktere, deren Schicksal uns Zuschauer aufgrund der mitunter kryptischen Bildsprache kaum recht anzurühren vermag.

Doch neben diesem unzweifelhaft betörenden, mit all seiner weichzeichnerischen Bondage-Faszination gesättigten Grundtenor ist DIE FRÜCHTE DER LEIDENSCHAFT auch die Verknüpfung einer männerdominierten Ausbeutergeschichte mit der zum Teil auch schlicht sexuell konnotierten Auflehnung der unterdrückten Ethnie gegen die Kolonialherren. Klaus Kinski – „Uns‘ Klaus“, der Erdbeermundwilde mit dem Sinn fürs Groteske – spielt den klassischen Kolonialisten, der „Das Beste beider Welten“ für sich anstrebt, dessen Gras auf beiden Seiten des Zauns immer grün ist. Sein Sir Stephen ist ein Spieler, Besitzer eines Casinos, der an der „guten, alten Kolonialzeit“ hängt und mit seinem Vater-Komplex der blassen O allzu viel abverlangt. Für Kinski ist es die perfekte Möglichkeit der maximalen, auch optischen Entblößung – er ’spielt‘ mit vollem Körpereinsatz; immer dann, wenn er nicht gerade seinen wohl vom letzten Fitzcarraldo-Außendreh mitgebrachten, weißen Südhalbkugelanzug zur Schau trägt. Werner Uschkurat – niemand synchronisierte Kinski in deutscher Sprache öfter – platziert derweil verträumte, innere Monologe auf die deutsche Tonspur, während im Original der Weltbürger aus Zoppot selbstverständlich selbst charmiert.

Für den früh vollendeten, leider ebenso zeitig von uns gegangenen Shūji Terayama bildet DIE FRÜCHTE DER LEIDENSCHAF eine Projektionsfläche ureigener Themen und Vorstellungen. „Das Klavier am Grunde des Flusses“ stellt ebenso ein wuchtiges Menetekel für die aufbegehrende Kraft der Befreiungsbewegung jugendlicher Untergrundkämpfer dar, wie die japanischen Tonfolgen des Filmkomponisten, die mal auf stilechtem Instrumentarium, mal auf lyrischen Fender Rhodes präsentiert werden. Während die Franzosen – Sir Stephen – sich gewohnt eher den Reizen des Lebens verschreiben, zieht die studentische Arbeiterbewegung der 1920er Jahre mit allerlei explosivem Blendwerk und geölter Handfeuerwaffe gegen die im Auftrag der Krone versumpftem Kolonialbriten zu Felde. All dies serviert Terayama mit hypnotischer Kraft und surrealistischen Versatzstücken, die mitunter dem sozialistisch-kommunistischen TEOREMA-Instrumentariumskasten eines Pasolini entsprungen zu sein scheinen. Der Schleier fällt; während O sich durch die Fehde zweier Männer in die Freiheit erniedrigt, tönt der Morgengruß des aufziehenden Endes des Kolonialismus durch die zugigen Ritzen des mit Bretterbudencharme verzierten Exilantenbordells.

Einige Kunden, die sich einst ob des zeigefreudig-marktschreierischen Covers die schrabbelige EuroVideo-VHS aus der Schmuddelecke der Videothek gefischt haben, dürften wohl bitter enttäuscht gewesen sein, ist doch DIE FRÜCHTE DER LEIDENSCHAFT keineswegs die bloße Zurschaustellung subjektiver Lustbarkeiten. Vielmehr bettet Terayama – wie es etwa Nagisa Ōshima mit seinem für viele berüchtigten IM REICH DER SINNE ähnlich tat – die Lust und Erotik als Mittel zum Zweck in jeder Hinsicht in seine vielschichtige, zeichendeutend herumirrlichternde Inszenierung ein.

Erschienen ist DIE FRÜCHTE DER LEIDENSCHAFT in Form kleiner Hartboxen mit zwei verschiedenen Covermotiven, wobei sich das Bild im anamorphen 1,66:1-Format sehr plastisch und farbenfroh ausnimmt. Akustisch ist neben der deutschen Synchronisation die englische Exportsprachversion enthalten, sowie der französische Originalton, bei dem Klaus Kinski mit eigener Stimme zu hören ist. Eine selbstlaufende, mit Filmmusik unterlegte Bildergalerie, die internationale Plakatmotive und Aushangfotos enthält sowie eine Trailershow zu anderen Titeln des Labelprogramms sind zwar die einzigen Extras, dies ändert jedoch nichts an der Wichtigkeit der Veröffentlichung dieses sonderbaren, entschlüsselungsbedürftigen Filmwerks.

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Les Fruits de la passion/Shanghai Ijin Shōkan/China Doll | Frankreich/Japan 1981 | Regie: Shūji Terayama | Darsteller: Isabelle Illiers, Klaus Kinski, Arielle Dombasle, Peter, Keiko Niitaka, Sayoko Yamaguchi

Anbieter: CMV Laservision