Der Antikriegsfilm – ein Genre im Widerspruch mit sich selbst. Von Sam Fuller stammt die Aussage, dass dem Publikum nur dann ein ungefähres Bild von Krieg gegeben werden könne, wenn von der Leinwand aus das Feuer auf dieses eröffnet werden würde. Egal ob heroisch oder demaskierend intendiert, bleibt die kriegerische Auseinandersetzung im Film doch immer Action, Spannung und Dramatik. DAS-BOOT-Produzent Bernd Eichinger mutmaßte zur Premiere des Films, dass es einen Anti-Kriegsfilm genau so wenig geben könne wie einen Anti-Erdbeben-Film, da die Sichtweise des Publikums durchaus von der Absicht der Filmschaffenden abweichen könne. Bernhard Wicki zeigte sich seinerzeit vom jugendlichen Publikum teilweise enttäuscht, dass DIE BRÜCKE eher als Heldenepos annahm.
Immer wieder suchten Filmschaffende einen Ausweg aus diesem Dilemma, in dem sie den Krieg selbst aus dem Film verbannten. So unterschiedliche Werke wie JOHNNY ZIEHT IN DEN KRIEG (USA 1971, Dalton Trumbo), ONIBABA – DIE TÖTERINNEN (JAP 1964, Shindô Kaneto), DEATHDREAM (USA/GB/CAN 1974, Bob Clark) sowie DIE LETZTEN GLÜHWÜRMCHEN (JAP 1988, Takahata, Isao) und viele andere konzentrieren sich auf die Folgen des Krieges für die Soldaten selbst oder für die Bevölkerung. Auch in Elem Klimovs KOMM UND SIEH (1985) fehlen Bilder des direkten Kriegsgeschehens. Lediglich ein anonymisierter Bombenangriff dient dem Regisseur als Schockmoment und Initiationsritus für seinen jugendlichen Hauptprotagonisten.
Aufgrund seiner Unerfahrenheit wird der fünfzehnjährige Florja von der Partisaneneinheit, der er sich angeschlossen hat, im Camp zurück gelassen. Traum- und fast märchenhaft wirkt die Zeit hier, bis der Krieg, der noch eben weit weg schien, mit den detonierenden Einschlägen beginnt, seinen Würgegriff auf alles Menschliche anzusetzen. In der akustischen Betäubung, die Klimov auch den Zuschauer spüren lässt, beginnt Florjas nahezu apokalyptische Odyssee, die ihn binnen kurzer Zeit rapide altern lassen wird. Wie für ihn bricht das Grauen auch für das Publikum abrupt in den Film ein. Die Säuberungsaktion der Deutschen, der die gesamte Bevölkerung eines Dorfes zum Opfer fällt, trifft ins Mark und beraubt die Zuschauenden jeglicher Distanzierungsmöglichkeiten. Ohne auf grelle Effekte zu setzen dekliniert Klimov mit grimmiger Konsequenz das Wesen eines Vernichtungskrieges durch.
Laut eigener Aussage missfiel dem Regisseur die damalige Haltung vieler, vor allem junger Menschen zum Krieg. Auch die Filme zum Thema gaben sich aus seiner Sicht zu heroischen Überzeichnungen hin, auch vor dem Hintergrund des Afghanistan-Konfliktes, in den seit 1978 sowjetische Truppen involviert waren. Bereits zu Beginn der 1980er Jahre wollte Klimov den Film realisieren, es gelang ihm jedoch erst Jahre später. Eine gesunde Form Wut kann Filme hervorbringen, die in ihrer Kompromisslosigkeit ihr Publikum bis zum Äußersten fordern. Wenn wir Pier Paolo Pasolini noch dazu befragen könnten, würde er uns wohl zustimmen. IDI I SMOTRI ist gerade in seiner Schlüsselszene schwer erträglich. Er kommt damit den realen Geschehnissen, auf denen der Film beruht, so nah wie nur wenige, nein, so nah wie kein anderer Film. Er verstört, er macht wütend über die Dinge, die immer noch alltäglich auf dieser Welt passieren. Er findet Bilder für etwas, was mit Worten nicht beschrieben werden kann. Bilder, die man nicht vergessen kann.
Damit ist KOMM UND SIEH ein weiteres Exponat des ambitionierten Labels Bildstörung, dass schon für die Veröffentlichung einer ganzen Reihe an filmischen Extremerfahrungen (IM GLASKÄFIG, EIN KIND ZU TÖTEN, POSSESSION, LA BETE…) verantwortlich zeichnete. Ihre Neuveröffentlichung des Films in Deutschland, nun endlich im 4:3-Originalformat und mit zahlreichen, teilweise exklusiv produzierten Extras wird dem Film zum ersten Mal gerecht: Es gibt eine alte fünfzigminütige Dokumentation über den Regisseur, Interviews mit ihm, dem Hauptdarsteller Aleksei Krawtschenko, dem Szenenbildner und dem Regieassistent. Ebenso mit „Aus dem Feuerdorf“ drei Kurzfilme mit Interviews von Augenzeugen der damaligen Säuberungsaktionen. Ein Audiokommentar, ein Interviewfilm und ein zwanzigseitiges Booklet von Marcus Stiglegger ordnen den Film ein und geben Hintergrundkontext.
Idi i smotri | UdSSR 1985 | Regie: Elem Klimov | Darsteller: Alexei Krawtschenko, Olga Mironowa, Liubomiras Laucevičius, Vladas Bagdonas u.a.
Anbieter: Bildstörung