(K)Ein Mann für jede Jahreszeit.

Die Literaturgeschichte ist nicht arm an großen Autoren des Spionageromans. Jean Bruce erfand 1949 seinen französischen Spion OSS 117, vier Jahre später schuf Ian Fleming sein literarisches Alter Ego James Bond, Agent 007. John le Carré, für viele der große Meister dieser Romangattung, bot den genialen Geheimdienstbeamten George Smiley, später übernahmen Tom Clancy, der über den CIA-Analysten Jack Ryan schrieb, und Robert Ludlum, dessen Jason Bourne ein Agent ohne Erinnerung war, das Feld. Weniger bekannt ist dagegen der Autor Bill Granger, obwohl er über seinen Spion ganze dreizehn Romane verfasste. Der Name ist Devereaux. Peter Devereaux. Deckname: „The November Man“.

Grangers geringer internationaler Bekanntheit wegen dauerte es, bis sein 1979 geschaffener Devereaux den Sprung auf die große Leinwand schaffte. In Planung war ein Kinoauftritt des Novembermanns aber eine ganze Weile. Verantwortlich dafür war ein anderer Spion: James Bond, bzw. dessen fünfter Schauspieler: Pierce Brosnan. Als der irische Filmstar 2005 am Telefon erfuhr, dass sein Einsatz als 007 beendet ist, kaufte er gemeinsam mit seiner Business-Partnerin Beau St. Clair die Rechte an Grangers Buchreihe. „The November Man“ sollte sein Bond-Ersatz sein. Als Hauptquelle für den Film wurde Buch Nr. 7 ausgewählt: „There are no Spies“ (zu deutsch: „Es gibt keine Spione“). Eine passende Vorlage für Brosnans Situation: Zu Beginn dieses Buchs befindet sich Devereaux bereits im Ruhestand – und wird von seinem alten Boss wieder in den Dienst gerufen.

2014 also, einige gescheiterte Anläufe später, zwei Jahre nach Grangers Tod, war es an der Zeit. Als Regisseur holte Brosnan seinen Freund Roger Donaldson an Bord, mit dem er 1997 den Katastrophenfilm DANTE‘S PEAK drehte. Die Drehbuchautoren Michael Finch und Karl Gajdusek verlegten den Romanplot vom Kalten Krieg ins 21. Jahrhundert. Neben Brosnan als Ex-Bond kehrte zudem auch Olga Kurylenko ins Agentengeschäft zurück, sie kämpfte 2008 im James-Bond-Film EIN QUANTUM TROST an der Seite von Brosnans Nachfolger Daniel Craig. In derselben Größenordnung wie 007 konnte „The November Man“ aber von Anfang an nicht spielen: Kostengünstig drehte man in Belgrad und Montenegro, das ganze Projekt kostete nur 15 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Der zwei Jahre zuvor erschienene Bond-Film SKYFALL hatte ein Budget von 200 Millionen Dollar.

Seine Sparsamkeit steht THE NOVEMBER MAN allerdings nie im Weg. Die gesamten 108 Minuten packt Donaldson voll mit rasanten Verfolgungsjagden, harten Schusswechseln und auch der nötigen Menge Pyrotechnik, die das Publikum in so einem Film erwarten darf. Insbesondere sein Bildaufbau lässt den Film teuer und elegant wirken. Als Kameramann holte sich Donaldson den genreerfahrenen Romain Lacourbas dazu, der zuvor bei den harten Reißern COLOMBIANA und 96 HOURS – TAKEN 2 mitwirkte. Gemeinsam filmen sie ihre Actionszenen druckvoll, entscheiden sich aber auch, stets nah bei den Charakteren zu bleiben. Actionfilm-Standards, so etwa ein Feuergefecht über zwei Etagen, machen so den Anschein eines eng getakteten und streng choreographierten Kammerspiels.

Diese intime Herangehensweise ist bereits in den Vorlagen so angelegt. Granger beschreibt Peter Devereaux als introvertierten, blitzschnellen Denker, der auf den ersten Blick sehr viel weltgewandter wirkt als auf den zweiten. In erster Linie ist er kein Gentleman-Spion oder kühler Schreibtischhengst, sondern ein grausamer, abgestumpfter Mann, dessen tödliche Effizienz ihn von sich selbst entfremdet hat. Er fühlt sich berufsbedingt wohl im Pragmatismus. Als er gefragt wird, wie es sich vermutlich anfühle, erschossen zu werden, antwortet er nur: „Eine Kugel fliegt 1.200 Meter in der Sekunde, viermal schneller als der Schall. Die Wirkung bei diesem Tempo ist absolut. Man hört einfach auf zu existieren.“

In „There are no Spies“ und so auch in diesem Film wird er nach Moskau beordert, um seine Ex-Geliebte Natalia zu evakuieren, die dort Beweise gegen den russischen General Fedorow sammelte, der demnächst zum Präsidenten der Russischen Föderation ernannt werden soll. Bei der Evakuierung wird Natalia von einem Attentäter erschossen, der sich als David Mason herausstellt, einem jungen CIA-Agenten, den Devereaux vor seinem Ruhestand ausbildete und den er krachend durchfallen ließ, als dieser bei einer Mission die Nerven verlor und durch seinen nervösen Zeigefinger ein kleines Kind zu Tode kam.

Die Spur führt beide rivalisierenden Alphamännchen zur Asylbetreuerin Alice Fournier, die als letzte Kontakt zur untergetauchten Flüchtlingsfrau Mira Filipova hatte. Die wurde Zeugin von mehreren Menschenrechtsverletzungen, derer sich Fedorow schuldig gemacht hat und ist damit für alle Geheimdienste dieser Welt pures Gold. Was folgt ist eine Ansammlung vieler Gefechte zwischen Devereaux und Mason sowie mehrere der Wendungen und (Ver-)Wirrungen, die fest zur DNA der Spionagegeschichten gehören.

Dabei wird kaum jemand THE NOVEMBER MAN sehen, ohne fortwährend mit Déjà-vu-Eindrücken zu kämpfen: Pierce Brosnan als alternder Geheimagent wird vom aufmerksamen Zuschauer natürlich umgehend mit seinen Auftritten als James Bond verglichen. Von Natur aus bringt der Schauspieler eine große Portion Charisma und Charme mit in die Rolle, trotz der vermehrten Falten klingt seine Stimme noch sowohl suave als auch gefährlich. Die Routine, die Devereaux bei seinen Einsätzen hat, braucht Brosnan nicht zu spielen, sie steht ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

Das Drehbuch gibt ihm hier jedoch Möglichkeiten, sich von seinen 007-Facetten zu lösen und neue Akzente zu setzen. Devereaux ist nicht der Typ, der nach einem überlebten Einsatz lockere Witze macht und eine schöne Frau verführt. Stattdessen lebt er nach der Devise, persönliche Beziehungen würden einen nur angreifbar machen und hätten in der Geheimdienstwelt keinen Platz. Seinem Schüler führt er diese Maxime in einer beklemmenden Szene vor. Mason erwacht nach einem One-Night-Stand mit seiner Nachbarin und findet diese verängstigt in der Küche als Geisel von Devereaux vor. Der sagt ihm: „Du kannst ein menschliches Wesen sein oder ein Killer von Menschen. Aber nicht beides.“

Um zu testen, was auf seinen ehemaligen Protegé zutrifft, trennt er der schönen Blondine die Oberschenkelschlagader durch und flieht. Mason hat die Wahl: Folgt er seiner Mission und lässt die Frau sterben oder missachtet er seine Befehle und zeigt Empathie. In dieser mehrminütigen Sequenz addiert Brosnan zu seiner Bond-Interpretation eine gewaltige Menge an grimmiger Kaltschnäuzigkeit. Sein Schauspiel erinnert an seinen denkwürdigen Auftritt als sadistischer Geiselnehmer in SPIEL MIT DER ANGST von 2007. Donaldson und er riskieren also, hier die Sympathien des Publikums zum abgründigen Helden zu verlieren.

Solche Risiken hätte die Produktion gerne noch öfter eingehen können, statt gerade im Schlussakt auf ein konventionelles Standardmotiv zurückzugreifen. Der große Verschwörungsplot, der das Schicksal von Mira Filipova und die Gräueltaten von Fedorow um eine historische Dimension erweitert und mit dem Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs verknüpft, erzeugt genügend Spannung, spielt aber leider für das Finale keine allzu große Rolle mehr. Unglücklich auch, dass die Geschichte des Romans zwar in die Gegenwart versetzt wurde, aber viele Kalter-Krieg-Klischees immer noch allzu leicht auszumachen sind. Gemeint ist hierbei ganz besonders die Rolle einer stereotypen russischen Auftragskillerin, die inmitten des modernen Thrillertreibens reichlich angestaubt wirkt.

Das hohe Tempo und die angenehm intelligenten Schlagabtausche zwischen Brosnans Devereaux und dem von Luke Bracey gespielten Mason lenken dafür bis zuletzt von kleinen Unstimmigkeiten ab. Besonders schön fällt noch die Filmmusik auf, die der vielbeschäftigte Marco Beltrami komponierte. Beltrami, bekannt für seinen perkussiven Stil, vor allem für seinen regelmäßigen Einsatz von Bassdrums, verzichtet stilistisch gänzlich auf James-Bond-Assoziationen und mischt osteuropäische Klangteppiche mit westlichen Motiven. Das persuasive Ergebnis findet die passende Tonalität und macht selbst den Abspann hörenswert – nachdem dort der irritierend gut passende Soul-Rocksong „Ticking Bomb“ von Aloe Blacc verstummt ist.

Eine neue Filmreihe konnte THE NOVEMBER MAN nicht lostreten, als Konkurrenz zu anderen Langzeitagenten erst recht nicht dienen. Dennoch gelingt Donaldson ein angenehmer, spannender Film, der sein Versprechen einlöst und langjährigen Fans des Hauptdarstellers selbigen wieder in seiner Paraderolle präsentiert und ihn dabei trotzdem frisch und anders wirken lässt. Bill Granger wäre mit dieser Interpretation seiner Romanreihe wahrscheinlich einverstanden gewesen, adaptiert sie doch nicht nur seine Figuren und Geschichten, sondern teils direkt sein geschriebenes Wort. So stammt eine Passage wörtlich aus der Vorlage, als dem Zuschauer der titelgebende Deckname von Devereaux erklärt wird: „Wir nannten dich Novembermann – denn wo du vorbeikamst, lebte nichts mehr.“

Als Geheimtipp mit Kultpotenzial dürfte THE NOVEMBER MAN auch auf lange Sicht gute Chancen haben, wer Genre-affin ist, kann bedenkenlos einen Blick auf diese kleine Perle werfen. Wirklich gemacht ist der rasante Actionthriller aber für die Fans, die frei nach Andreas Möller auf folgende Frage immer so antworten würden: „Bond oder Bourne? Egal, Hauptsache Brosnan!“

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The November Man, USA/UK 2014 | Regie: Roger Donaldson | Drehbuch: Michael Finch, Karl Gajdusek, nach Bill Granger | Kamera: Romain Lacourbas | Musik: Marco Beltrami | Darsteller: Pierce Brosnan, Olga Kurylenko, Luke Bracey, Bill Smitrovich, Lazar Ristovski, Eliza Taylor, | Laufzeit: 108 Min.