Von Friederike Grabitz
Es ist Nordeuropa, kaum 150 Jahre her und doch eine andere Welt, wenn die Bauersfrau Anna am Tag ihrer Niederkunft am hölzernen Küchentisch Stullen schmiert und sagt: „Wo ich heute im Sitzen arbeite, das ist ja gar keine Arbeit“. Es sind Details wie diese, die AS IN HEAVEN zu einer echten Zeitreise machen. Die Geschichte dieses Films beruht auf dem autobiografischen Roman „Eine Todesnacht“ von Marie Bregendahl und spielt auf einem dänischen Vierkanthof Ende des 19. Jahrhunderts, auf dem eine Großfamilie mit ihrem Gesinde lebt. Der Vater ist samt Kutsche meistens abwesend, mit den Nachbarhöfen ist man verwandt, die Erbfolge ist geregelt: Die älteste Tochter Lise soll später den Hof führen. Doch die 14-jährige möchte stattdessen lieber zur Schule gehen.
Wir sehen den Hof durch ihre Augen. Der ländliche Mikrokosmos, zum großen Teil gefilmt in einem Freilichtmuseum auf der Insel Fünen, tritt ganz nah heran, wenn sie im Leinenkleid die Brosche der Mutter aus dem fast leeren Schrank nimmt, mit dem Nachbarsjungen Heiratspläne schmiedet oder mit der unübersichtlich großen Schar der jüngeren Geschwister spielt. Wir spüren mit ihnen das Stroh unter den unbeschuhten Füßen und können die Furcht der Cousine vor dem Dachboden nachfühlen. Die Felder sind zu üppig bewachsen für die Zeit und der Feminismus der Lise vielleicht einen Ticken zu modern, aber die Ausstattung, die Charakterzeichnung der Figuren und vor allem das Spiel der jungen Darstellerin Flora Ofelia Hoffmann Lindahl sind so sorgfältig und detailreich, dass man den Film gleich noch einmal sehen könnte.
Betonung auf „könnte“, denn die Handlung schlägt um, als die Wehen der Mutter einsetzen; eine Geburt, bei der es um Leben und Tod geht. Für Lise steht nicht nur die Beziehung zur geliebten Mutter auf dem Spiel, sondern auch ihr geplanter Schulbesuch. Visionen von brennenden Betten und Blutregen verkünden Unheil. Die Mutter weigert sich noch aus Aberglauben, ärztliche Hilfe holen zu lassen.
Spätestens jetzt ist klar, dass der Titel nicht als Reminiszenz an die schwedische Musikkomödie WIE IM HIMMEL gemeint ist. Die gefühlt sehr zahlreichen Geburtsszenen, in denen die vorher so sanfte Anna animalische Züge bekommt, sind nur schwer zu ertragen. Unbestritten waren Geburten ohne das Backup der Gerätemedizin gefährlicher als heute und die Müttersterblichkeit ein reales Risiko für Frauen (die in der Mehrzahl allerdings nicht bei der Geburt, sondern wegen hygienischer Mängel im Wochenbett starben). Trotzdem: Welchen Mehrwert hat es für die Geschichte, wenn hier einmal mehr eine Geburt als ein archaischer, grausamer und blutiger Vorgang dargestellt wird, in dem die Frau nichts zu melden hat? Haben wir nicht genug Filme gesehen, in denen Geburten auf eine Weise gezeigt werden, die ein Gefühl der Angst und Wehrlosigkeit hinterlassen? Schade, dass dadurch beim Verlassen des Kinos vor allem das Gefühl bleibt: Wie gut, dass wir in besseren Zeiten leben.
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As in Heaven | Dänemark 2021 | Regie: Tea Lindeburg | Drehbuch: Tea Lindeburg | Kamera: Marcel Zyskind | Musik: Kristian Leth | Darsteller: Flora Ofelia Hoffmann Lindahl, Ida Cæcilie Rasmussen, Palma Lindeburg Leth, Anna-Olivia Øster Coakly | Laufzeit: 90 Min.