Bis uns das Wasser zum Hals steht.

Todd Haynes macht seit den 1990er Jahren all das, was heute links und Subkultur ist – oder sein könnte: tolle Musikfilme wie VELVET GOLDMINE oder I’M NOT THERE, Filme über Geschlechteridentitäten wie FAR FROM HEAVEN und CAROL und nicht zuletzt die längst fällige Dok über eine der bedeutendsten Bands der Rockgeschichte, THE VELVET UNDERGROUND. Alles identitätspolitisch, und in weiterem Sinne kann man gar den misslungenen Kinderfilm WONDERSTRUCK noch darunter subsumieren. Vor der Velvet-Dok drehte er aber noch seinen ersten (sozial-)politischen Film DARK WATERS (2019). Er sprengt dabei stilistisch zwar nicht das Genre, doch nicht zu Unrecht wird der Film im selben Atemzug mit Steven Soderberghs ERIN BROCKOVICH und Michael Manns THE INSIDER genannt. Insofern ist DARK WATERS ein richtig (politisch) korrekter Film, ein Anwaltsfilm, in dem ein erfolgreicher Anwalt seine Karriere aufs Spiel setzt, um gegen ein grosses Chemieunternehmen zu kämpfen.

Rob Bilott (Mark Ruffalo) ist ein erfolgreicher Anwalt in Ohio in den 1990er Jahren, der jäh in seiner aufsteigenden Karriere vom (rüden) Bauern Wilbur Tennant (Bill Camp) gestört wird, weil er, seine Familie, Menschen in der Umgebung und nicht zuletzt seine Tiere seltsame Krankheiten und Missbildungen an Körper und Organen entwickeln. Aufgezeichnet hat er seltsame Vorkommnisse auf unzähligen VHS-Tapes und sein Verdacht fällt auf das vergiftete (Ab-)Wasser der nahe gelegenen Chemiefirma Dupont.

Ein Anwalt wie Bilott würde diesen armen Schlucker von einem Bauern wohl nicht weiter beachten, wäre er nicht ein Nachbar und Freund von Bilotts Grossmutter. Nur so entsteht die Verbindung zwischen der Klasse der Abgehängten und der Klasse der Erfolgreichen, zwischen Ab- und Aufsteiger. In der Folge porträtiert Haynes Bilott auch nicht als slicken Eliteanwalt, sondern als leicht schwitzigen, manchmal in sich zusammengesunkenen und zittrigen Anwalt, dem man seine Herkunft aus einer niedrigeren Schicht durchaus ansieht. Das gibt dem Film die Würze: Wird Bilott irgendwann von seiner Edelkanzlei fallen gelassen, als er immer tiefer in die Ungereimtheiten und Geheimnisse von Dupont eintaucht?

Was folgt, ist eine klassische Aufdeckungsgeschichte, die spannend wird und einen durchaus zu fesseln vermag – und die ein unschätzbares Asset hat: Die Story ist relevant für uns alle. Denn wer den Skandal um Dupont nicht kennt (und das sind überraschend viele Menschen), wird plötzlich erschreckt sein darüber, wie der Fall unser aller Leben beeinflusst hat oder beeinflussen wird. Und nicht wenige werden nach dem Film googeln, um zu erfahren, wie bedrohlich sich die Situation heute darstellt. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Stilistisch agiert Haynes im Vergleich zum anderen, etwas früheren identitätspolitisch umtriebigen US-Regisseur Gus Van Sant oftmals konservativer. Während Filme wie I’M NOT THERE oder die Dokumentation THE VELVET UNDERGROUND stilistisch aus dem Normalen ausbrechen, lehnen sich seine Geschichten wie FAR FROM HEAVEN oder CAROL an den heute eher konservativen Stil von 50ties Melodram-Maestro Douglas Sirk an. Haynes sucht nicht die unverwechselbare Filmsprache, sondern sucht sich eine stilistische Vorlage nach dem jeweiligen Thema. DARK WATERS ist dementsprechend ein konventioneller Thriller mit einem düsteren Filter drüber, stilistisch dem Genre angepasst und nicht außergewöhnlich. DARK WATERS ist auch kein antikapitalistischer Film, sondern ein Konsumentenschutz-Thriller.

Dark Waters
USA 2019
Regie: Todd Haynes
Drehbuch: Mario Correa, Matthew Michael Carnahan, nach einem Bericht von Nathaniel Rich
Kamera: Edward Lachman
Musik: Marcelo Zarvos
Darsteller: Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Camp, Victor Garber, Bill Pullman u.a.
Laufzeit: 120 min.