„Viele Menschen suchten Amerika, doch konnten es nirgends mehr finden.“
Zwei Männer, Wyatt (Peter Fonda) und Billy (Dennis Hopper), brechen nach einem Drogen-Deal zu einer Reise quer durch die Vereinigten Staaten auf. Ihr Ziel, der Mardi-Gras-Karnival in New Orleans, deutet bereits darauf hin, dass es um den Ausbruch aus einer verkehrten Welt geht. Wyatt wirft zu Beginn seine goldene Armbanduhr weg – Geld und Vorgaben wie Arbeitszeit werden unbedeutend. Unterwegs schließt sich ihnen der Rechtsanwalt George Hanson (Jack Nicholson) an. Gemeinsam versuchen sie nahe Louisiana, sich in ein Hotel einzumieten und in einem Restaurant etwas zu bestellen. Alles scheitert an der offenen Feindseligkeit, die ihnen die meisten der dortigen Bewohner entgegenbringen.
Woher kommt der Hass auf im Grunde wehrlose Menschen, denen man sich in jederlei Hinsicht – moralisch wie ökonomisch – überlegen fühlt? In einem der längsten Dialoge des Films – das ursprüngliche Skript umfasste lediglich 21 Seiten – erläutert George: „Sie haben keine Angst vor dir. Sie haben Angst vor dem, was du für sie repräsentierst. (…) Freiheit! Es ist schwer, frei zu sein, wenn man verladen und verkauft wird, wie eine Ware. Aber wehe, Du sagst jemandem, er sei nicht frei, dann wird er dich sofort töten oder zum Krüppel schlagen, zum Beweis, dass er frei ist.“ Genau dies geschieht: George wird im Morgengrauen von mehreren Männern mit einem Baseballschläger getötet – und so schrecklich es ist, auch das ist eine pervertierte Form von Freiheit.
EASY RIDER stellt das Lebensgefühl der 68er-Generation dar, er handelt von Aufbruch, Freiheit und Selbstbestimmtheit. Er bedient zwar gewisse Klischees und Standards des damals beliebten Motorradfilms und natürlich auch eines Road Movies, ist aber beides im engeren Sinne nicht. Vielleicht wurde das von einigen damals auch anders verstanden. Man könnte sagen, er ist ein sozialpolitisches Dokument der Zeitgeschichte. Und das bei einem Budget von nicht einmal 400.000 Dollar!
EASY RIDER ist auch ein Film, der zeitgenössische Philosophie zitiert wie die Kritik am „Eindimensionalen Menschen“ von Herbert Marcuse (erstmals erschienen 1964), die obwohl heute aktueller denn je, sich auch wie Science Fiction liest: „Als die Freiheit zu arbeiten oder zu verhungern bedeutete sie für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Plackerei, Unsicherheit und Angst. Wäre das Individuum nicht mehr gezwungen, sich auf dem Markt als freies ökonomisches Subjekt zu bewähren, so wäre das Verschwinden dieser Art von Freiheit eine der größten Errungenschaften der Zivilisation. Die technologischen Prozesse der Mechanisierung und Standardisierung könnten individuelle Energie für ein noch unbekanntes Reich der Freiheit jenseits der Notwendigkeit freigeben. Die innere Struktur des menschlichen Daseins würde geändert; das Individuum würde von den fremden Bedürfnissen und Möglichkeiten befreit, die die Arbeitswelt ihm auferlegt. Das Individuum wäre frei, Autonomie über ein Leben auszuüben, das sein eigenes wäre.“ George stellt Grundzüge einer Utopie vor, die Außerirdische von der Venus bereits praktizieren: „Sie sind Menschen wie wir, genauso – aus unserem eigenen Sonnensystem. Nur mit dem Unterschied, dass ihre Gesellschaft höher entwickelt ist. Sie haben keine Kriege mehr, es gibt kein Geldsystem, sie haben keine Regierung, weil da jedermann regiert. Ich meine jeder Mensch – weil sie sich durch ihre Technologie in der Lage befinden zu wohnen, sich zu ernähren, sich zu kleiden und sich fortzubewegen – alle ohne Unterschied und Mühe.“
Am Schluss des Films werden auch Wyatt und Billy getötet, die Kamera entfernt sich immer mehr von einem Brandherd, die letzten Szenen zeigen eine traumhaft schöne Landschaft. Diejenigen, die in der modernen Welt wahre Freiheit einfordern, erleiden am Ende den Ketzer-Tod.
EASY RIDER entstand im Fahrwasser von einer Reihe von Filmen, in denen die Gegenkultur der 1960er Jahre thematisiert wurde. Peter Fonda verkörperte bereits 1966 die Rolle des Anführers einer Motorradgang in DIE WILDEN ENGEL (THE WILD ANGELS, Regie: Roger Corman) – der Titel soll von Jack Nicholson vorgeschlagen worden sein. Ebenfalls unter der Regie von Roger Corman spielten Peter Fonda und Dennis Hopper die Hauptrollen in DER TRIP (THE TRIP: A LOVELY SORT OF DEATH, 1967) nach dem Drehbuch von Jack Nicholson. Die Sängerin Marianne Faithfull trat 1968 in NACKT UNTER LEDER (LA MOTOCYCLETTE, Regie: Jack Cardiff) als Motorradfahrerin auf, die auf dem Weg zu ihrem Geliebten in erotischen Visionen schwelgt und schließlich tödlich verunglückt.
EASY RIDER ist auch deswegen ein Kultfilm geworden, weil er durch seine Ablehnung von normgerechtem Verhalten identitätsstiftend wirkt. Die USA waren bereits in den 1960er Jahren kein „Land der Freiheit“ und der unbegrenzten Möglichkeiten mehr, sondern eine gespaltene Gesellschaft, zerrissen durch Engstirnigkeit und der Ablehnung von allem, was als fremd oder anders wahrgenommen wurde. Es ist unheimlich, wie brisant EASY RIDER vor dem Erstarken populistischer und rechtsextremistischer Kräfte heute noch ist, gerade jetzt nach der aktuellen Präsidentschaftswahl.
Verwendete Literatur:
Kurz, Robert (1999): Die Diktatur der abstrakten Zeit – Arbeit als Verhaltensstörung der Moderne. In: ders., Ernst Lohoff und Norbert Trenkle (Hrsg.): Feierabend! Elf Attacken gegen die Arbeit. Hamburg.
Marcuse, Herbert (1982, zuerst 1964): Der eindimensionale Mensch – Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Neuwied.
Easy Rider
USA 1969
Regie: Dennis Hopper
Drehbuch: Dennis Hopper, Peter Fonda, Terry Southern
Kamera: Laszlo Kovacs
Darsteller: Peter Fonda, Dennis Hopper, Jack Nicholson u.v.a.
Laufzeit: 95 Min.