Vampir(e) einmal anders

Vampir(e) einmal anders

Mit einer Laufzeit von nur 76 Minuten fällt IMMER BEI ANBRUCH DER NACHT (OT: THE VAMPIRE, 1957) für heutige Verhältnisse ungewöhnlich kurz aus. Doch dieser Umstand erweist sich als äußerst angenehm, da der Film keinen Platz für Längen lässt und seine Geschichte kompakt und fokussiert erzählt. Der Film überzeugt durch eine effektive Mischung aus Horror, Wissenschaft und moralischen Fragen. Unter der Regie von Paul Landres wurde er in nur einer Woche abgedreht – ein Indiz für das pragmatische und auf Effizienz bedachte Filmemachen der späten 1950 er Jahre.

Ein Doktor wird zum Monster

Im Zentrum der Handlung steht Dr. Paul Beecher (gespielt von John Beal), ein ruhiger und pflichtbewusster Landarzt, der sich unwissentlich ein experimentelles Serum verabreicht, das ihn in eine vampirähnliche Kreatur verwandelt. Anders als die klassischen Vampire des Kinos, wie der ikonische Dracula, ist der Antagonist hier kein metaphysisches Wesen, sondern ein Mensch, dessen Schicksal durch die Wissenschaft besiegelt wird. Die Drehbuchautorin Pat Fielder, bekannt für ihre Skripts zu kultigen B-Movie-Monsterfilmen, schuf damit eine moderne Variante des Vampir-Mythos, in dem das Böse durch wissenschaftliche Hybris entsteht.

Dr. Beechers Verwandlung in ein Monster führt zu einer Serie von Morden, die die kleine Stadt erschüttern. Sheriff Buck Donnelly (Kenneth Tobey) ermittelt fieberhaft, während Beecher zunehmend gegen die wachsende Gefahr in seinem Inneren ankämpft und seine ahnungslose Tochter (Lydia Reed) vor sich selbst schützen möchte. Carol Butler (Coleen Gray), Beechers Assistentin, spielt schließlich eine zentrale Rolle im Kampf um die Rettung des Doktors und der Stadt …

Das Duo Landers (Regie) und Fielder (Drehbuch) tat sich nicht einmal ein Jahr später wieder zusammen und lieferte einen weiteren Monster- bzw. Vampirfilm ab: DRACULAS BLUTNACHT (1958). Diesmal jedoch am ganz klassischen Vampirhorror orientiert.

Vampirismus als Seuche

In IMMER BEI ANBRUCH DER NACHT wird der Vampirismus nicht als übernatürliches Übel dargestellt, sondern als eine Art Seuche, die durch wissenschaftliches Experimentieren verursacht wurde. Dies brachte damals und bringt heute immer noch eine frische Interpretation des Vampir-Mythos auf die Leinwand. Historisch betrachtet lässt sich der Film in die Tradition des Seuchenfilms einordnen, ähnlich wie schon F. W. Murnaus NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922), der den Vampir als Symbol für die Schrecken des Ersten Weltkriegs und die darauf folgende Seuchenangst inszenierte. Der Filmhistoriker Philipp Stiasny interpretiert NOSFERATU als „Heimkehrerfilm“ – der Vampir sei ein Sinnbild für die traumatisierten Männer, die von der Front nach Hause kamen und in der bürgerlichen Welt keinen Platz mehr fanden: „Diesen todbringenden Mann verkörpert der bleiche und ausgemergelte Vampir, dessen Aussehen dem eines Tieres ähnelt. (…) Der Blutsauger ist der Inbegriff der Unreinheit“ (hier zitiert nach Rolf Giesen in seinem Booklet-Text zu IMMER BEI ANBRUCH DER NACHT). Auch in Paul Landres’ Film wird der Vampir als eine Bedrohung dargestellt, die das Alltagsleben zersetzt – allerdings hier in Form eines fehlgeschlagenen medizinischen Experiments als Ersatz für die Seuche.

Zeitgeist und filmischer Kontext

Ein zentraler Unterschied zu den Vampirfilmen mit Bela Lugosi oder Christopher Lee liegt darin, dass der Film den Vampirismus nicht als uraltes, metaphysisches Phänomen behandelt, sondern als eine moderne, wissenschaftlich bedingte Krankheit. Die alte Dracula-Legende wird zu Science-Fiction. Dieser Hintergrund macht die Geschichte besonders für die 1950er Jahre, in denen das Vertrauen in die Wissenschaft zunehmend hinterfragt wurde, zeitgemäß. Der Kalte Krieg, die Atomangst und der rasante technologische Fortschritt spiegeln sich in der Darstellung der unkontrollierbaren Folgen wissenschaftlichen Handelns wider.

Pat Fielder stellt in ihrem Drehbuch eine bürgerliche, fast alltägliche Bedrohung dar: Dr. Paul Beecher ist kein aristokratischer Blutsauger, sondern ein gewöhnlicher Mann, der durch äußere Umstände zu einem Monster wird – ein Mann, dessen innere Zerrissenheit und moralische Verzweiflung den Horror des Films erst richtig lebendig werden lassen.

Gerade in den späten 1950er Jahren rückten die traditionellen Gruselgeschichten in den Hintergrund, und es kam die Zeit der Monsterfilme, in denen Wissenschaft und Technologie oft die Quelle des Schreckens bildeten. IMMER BEI ANBRUCH DER NACHT ordnet sich nahtlos in diesen filmischen Kontext ein, in dem Monsterfilme wie PANIK IN NEW YORK (1953) oder THEM! (1954) das Publikum mit Kreaturen aus wissenschaftlichen Experimenten in Angst und Schrecken versetzten.

Landers’ Film ist jedenfalls noch immer ein sehenswertes Stück Filmgeschichte – und ein Geheimtipp für Fans des Genres!

The Vampire

USA 1957

Regie: Paul Landres

Drehbuch: Pat Fielder

Kamera: Jack MacKenzie

Musik: Gerald Field

Darsteller: John Beal, Coleen Gray, Kenneth Tobey, Lydia Reed u.a.

Laufzeit: 76 Min.

Fotos: ©
Anolis Entertainment