Mario Bava Exkurse (8): Bava und die starken Männer. 

Im Jahr 786 n.Chr. landen Wikinger in England. Wir befinden uns gleich in einer Schlacht zwischen den beiden Nationen, und erst nach dem hinterhältigen Mord am Wikingerkönig Harald und dem radikalen Niedermetzeln der Wikinger wird klar, dass der englische Gesandte Sir Rutford (Andrea Checchi) eigenmächtig statt zu verhandeln (wie es sich sowohl Harald wie auch der englische König Lotar wünschten) das Massaker wählte. Ein Kriegstreiber genügt, um eine lang anhaltende Feindschaft zwischen zwei Völkern herzustellen. Zumal in der Folge auch der englische König von einem überlebenden Wikinger ermordet wird. Neu geht die Krone an Lotars Frau Alice (Françoise Christophe), die ein kleines Kind am Strand findet, welches das Massaker überlebt hat – nicht wissend, dass es sich um einen von Haralds Söhnen handelt, Erik. Sein Bruder Eron wird sich derweil zum Anführer der Wikinger mausern.

20 Jahre nach dieser Begebenheit beginnt Mario Bavas tief humanistischer Wikingerfilm – der natürlich mit genügend Kampfszenen angereichert wurde. Bava inszeniert den Clash of Cultures als Verständigungs- und Wahrnehmungsproblem. Hätte Rutford nicht interveniert und würde er sich auch 20 Jahre danach nicht als macht- und geldgierige Schlange auszeichnen, wäre das Auskommen wohl zwischen den unterschiedlichen Lebensweisen und Religionen möglich. Bava stellt Burgen Holzhäusern gegenüber und das Christentum einer seltsamen Art von Odin-Kult. Dabei stellt er in keiner Weise die christlichen Briten über die Wikinger. Beinahe im Gegenteil: Gezeigt wird vor allem die Welt der Wikinger, und die ist äußerst seltsam.

Erst einmal dominiert von einem irren Setting, das zwischen Druidencharme (eine riesige Baumwurzel, vor der alles stattfindet), Grusel (alles mit Totenköpfen verziert), nordischen Römerinnen (blonde Vestalinnen, die es so natürlich nie gab bei den Wikingern) und einem Touch Südpazifik-Exotik angesiedelt ist. Die tanzenden Vestalinnen, von denen ein Zwillingspaar besonders hervorsticht, sind wie Römerinnen in Sandalenfilmen in weiße Gewänder gekleidet und passen so gar nicht zum Bild der wilden Wikingerhorden. Auch wenn sich das Konzept der Liebesheirat noch nicht ganz durchgesetzt hat, sind sonstige Regelungen untereinander doch sehr fair. Wenn etwa Eron (Cameron Mitchell) gegen einen anderen Anwärter um die Anführerschaft bei einer erneuten Landung in England kämpft, lässt er seinen Konkurrenten wider der alten Bestimmungen am Leben.

Daya und Rama, die wunderschönen Zwillinge in weiß – dargestellt von den damals populären Real-Life-Zwillingen Alice und Ellen Kessler – sind die Pendants zu den Brüdern Erik (Giorgio Ardisson) und Eron und natürlich deren Love-Interests. Ihre weißen Gewänder wurden von Bava noch speziell in Szene gesetzt. Die beiden sind Idealfrauen, die in jeder Situation menschlich und mitfühlend reagieren und die nicht nur visuell zu Engeln stilisiert werden. Als Erik, inzwischen bei den Wikingern gestrandet, von Rama am Strand entdeckt und gerettet wird, fragt er erst: „Are you real? Or an angel?“ (Hier schafft Bava eine psychologische Verbindung zwischen (Ersatz-)Mutter und Geliebter: Beide retten Erik vor dem Tod an einem Meeresstrand.) Bei Erik und Eron auf der männlichen Seite und bei Daya und Rama auf der weiblichen dringt Bavas Interesse an Dualitäten, Parallelfiguren in anderen Welten etc. durch, die Verwirrungen und kognitive Täuschungen hervorrufen. Erik wird eifersüchtig, als er Dayas Hochzeit Eron sieht, weil er sie mit Rama verwechselt. Erik kann Sir Rutfords böse Absichten nicht lesen. Und nicht zuletzt erkennt Erik auch in seinen Todesmomenten nicht, dass ihn Rama in den Tod begleitet – und nicht Daya, wie er glaubt.

Ganz nach der antiken Vorstellung lassen sich hier die Doppelgänger auch „als Versicherung gegen den Untergang des Ichs“ (Freud) sehen: Eron stirbt, doch Erik ist noch da. Für den Sieg des Guten braucht es zwei tatkräftige Männer und zwei Frauen, die für die Ideale stehen. Beide tragen Zeichen, um sich zu erkennen: Die Männer erkennen ihre Bruderschaft erst, als sie die Tätowierungen auf Höhe ihres Herzen sehen. Die Frauen sind in ihrer Standfestigkeit durch die Kreuze am Hals erkennbar.

Nebst dem grosßen Melodram um die beiden Doppelgängerpaare gibt es auch Szenen der Gewalt und des fetischisierten Grauens. Am direktesten, wenn Sir Rutford mit einer großen Vogelspinne vor Daya steht, die hochästhetisch mit zerrissenem Kleid an eine Wand angekettet ist. Inszenierungen wie diese finden sich allerdings oft in den Sandalen- und Historienfilmen der Zeit – bei Bava einfach noch besser inszeniert.

Im Nachgang des Erfolgs von Richard Fleischers DIE WIKINGER (1958) zeigte sich Mario Bava als überaus zuverlässig darin, erfolgreiche Genrefilme zu drehen und schaffte es tatsächlich auch, einige seiner Ingredienzien einzuflechten. Heute dürfte der Film als völlig kitschig gelten, doch damals entpuppte sich DIE RACHE DER WIKINGER als weltweit erfolgreicher Genrefilm – der aber visuell wie inhaltlich durchaus auch als Bavafilm identifizierbar ist.

Gli Invasori (Erik the Conqueror)
Italien / Frankreich 1961
Regie & Kamera: Mario Bava
Drehbuch: Oreste Biancoli, Piero Pierotti, Mario Bava
Musik: Roberto Nicolosi
Darsteller: Cameron Mitchell, Giorgio Ardisson, Alice Kessler, Ellen Kessler, Andrea Checchi, Folco Lulli, Françoise Christophe u.a.
Laufzeit: 98 min.

Fotos: ©
Galatea Film / Neue Film Allianz