Im Spinnennetz.

Kaylee (Kali Reis) war eine erfolgreiche Boxerin indigener Abstammung, aber ihre siegreichen Tage liegen hinter ihr. Früher war Kaylees kleine Schwester Weeta (Mainaku Borrero) ihre größte Unterstützerin, aber nachdem die Teenagerin eines Tages auf dem Heimweg spurlos verschwand, geriet Kaylees Leben aus den Fugen. Sie wurde drogensüchtig, verlor ihre Freundin, hangelt sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben und nächtigt in einem Frauenhaus, wo sie zum eigenen Schutz mit einer Rasierklinge im Mund schläft.

Seit Jahren sucht sie nun nach ihrer verschwundenen Schwester, unter anderem aufgrund eigener Schuldgefühle, da Weeta nur deshalb allein unterwegs war, weil Kaylee noch eine letzte Runde Training absolvieren wollte. Ein Hinweis führt sie schließlich auf die Fährte eines Mädchenhändlerrings, der wahrscheinlich auch Weeta entführt hat. Um ihre Schwester zu retten – so unwahrscheinlich das auch sein mag – schleust sie sich selbst als „Ware“ ein, um so an die Hintermänner und schließlich zu ihrer Schwester zu gelangen. Ein riskanter Plan mit blutigen Folgen.
Auf dem amerikanischen Kontinent gibt es ein verbrecherisches Phänomen namens „Missing and murdered Indigenous women and girls“, kurz: MMIWG („Vermisste und ermordete indigene Frauen und Mädchen“). Die Mordrate für indigene Frauen in den Vereinigten Staaten ist zehnmal so hoch wie der nationale Durchschnitt, und obwohl Ureinwohner nur ungefähr ein Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachen, identifizieren sich vierzig Prozent der Opfer von Sexhandel in den USA und Kanada als amerikanische Ureinwohner.

Was sich nach einem plumpen Rachethriller à la TAKEN anhört, hat also tatsächlich mehr Gemeinsamkeiten mit Taylor Sheridans Reservatsthriller WIND RIVER, der eine ähnliche Thematik dramatisch verarbeitet. In dessen für dieses Jahr angekündigten Fortsetzung wird Hauptdarstellerin Kali Reis übrigens auch eine Rolle haben.

Reis, die selbst indigener und kapverdischer Abstammung ist, ist auch der Grund dafür, dass der sicher auch aus Budgetgründen betont einfach gehaltene Filme so gut funktioniert. Diese Rolle ist zwar ihr Leinwanddebut, aber sie scheint ein Naturtalent zu sein. Mit stoischer Entschlossenheit lässt sie allerhand unangenehme Dinge über sich ergehen, immer das Ziel der Befreiung ihrer Schwester vor Augen. Tätowiert, gepierct, sehnig und durchtrainiert, immer auf der Hut, scheint sie stets kurz vor einer Explosion zu stehen. Bei der überzeugenden Darstellung hilft sicher auch, dass sie im wahren Leben die erste gemischt indianische Boxerin ist, die zwei Weltmeistertitel errungen hat.

Regisseur Wladyka (THE TERROR, NARCOS) führt mit ruhiger und sicherer Hand durch die Geschichte und lässt keinen Zweifel daran, dass Kaylee keine Superheldin ist, sondern sich recht naiv in eine Gefahr begibt, deren Auswirkungen sie nicht einschätzen kann und über die sie keinerlei Kontrolle hat. Ihre Gegner sind Menschen, für die Gewalt gegen Frauen, insbesondere indigene Frauen, selbstverständlich ist. Und diese Menschen stellen sich als erschreckend normale Typen mit Haus, Frau und Kind heraus, die ihrem schmutzigen Geschäft nachgehen, so wie andere morgens zur Arbeit gehen.

Diese Sicht macht den realistischen Reiz des Films aus, der sich nach ruhigem Beginn in der zweiten Hälfte auch an handgreifliche und bleihaltige Action herantraut. Auch diese ist überwiegend realistisch dargestellt und hält spannungsmäßig immer offen, ob Kaylee lebend aus der Situation herauskommt.
Sowohl für Reis, die in der vierten Staffel der HBO-Serie TRUE DETECTIVE neben Jodie Foster agieren wird, wie auch für Wladyka dürfte dieser kleine, spartanische Rachethriller zu weiteren Projekten führen.

Catch the Fair One
USA 2021
Regie: Josef Kubota Wladyka
Darsteller: Kali Reis, Daniel Henshall, Michael Drayer, Kevin Dunn, Lisa Emery, Kimberly Guerrero, Tiffany Chu u.a.

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Meteor Film