Von Jochen Plinganz
Einst wurde Vlad als Kindersoldat von den Türken misshandelt und zur brutalen Mordmaschine hochgezüchtet. 1462 fordern diese von dem tributpflichtigen Fürsten und friedensaffinen Familienvater 1000 Knaben plus seinen Sohn. Um deren brutales Riesenheer aufzuhalten, schließt Vlad einen Pakt mit einem Höhlendämon, um von ihm Superkräfte zu erhalten. Diese haben die eine oder andere Nebenwirkung.
Das Zeitalter der Comic-Superhelden zieht auch am Dracula-Mythos nicht spurlos vorüber. Bram Stokers legendäre Figur wird unter der Produktionsfirma, die THE DARK KNIGHT schuf, zur gravitätischen Graphic Novel, zum Prequel – quasi Dracula Begins. Das mittelalterliche Fantasy-Actiondrama mit B-Besetzung hat Werbeclipper/Debütant Gary Shore kontur- und handschriftslos routiniert-uneigenständig ausbedungen.
Gleichwohl ist diese tragische Heldengeschichte um einen treu liebenden Mann und Friedensfürst auch nicht lächerlicher als Coppolas Barock-Edition von 1992. Weit davon entfernt, in Krampf wie I, FRANKENSTEIN auszuarten, ist für Romantiker ohne Berührungsängste darin das starke Melodram spürbar und die nachfolgende Seelensehnsucht. Auch wenn Nüchterne diese Bedeutungsverschiebung wohl zum Schmunzeln finden.
Gleichsam ist es mit allem Ernst dargebotener Pulp, ein sehr heutiges Familiendrama, das (amerikanische) Familienwerte hochhält, die nicht unerhebliche Tragik aber hinter holprigen Dialogen und mittelprächtigen Figuren versteckt. Die Dramatik hat nicht die Kraft, die der mediokre Shore vergeblich daraus herauszukitzeln versucht. Merke: Inbrünstige „Nein!“-Schreie sind keine Emotionsverstärker. Vieles lässt einen unbeteiligt.
Auffälliger ist anderes: Oft mutet dies wie GAME OF THRONES light an, wovon ohnehin schon der Komponist, Art Parkinson als Vlads Sohn und Charles Dance als Höhlen-Urvampir (ein wenig wie der Tod aus Bergmans DAS SIEBENTE SIEGEL) stammen. Dazu kommen diverse HERR DER RINGE-Schlachten, bei denen jedoch jemand das Licht ausgeknipst hat – die verschwommen-hektische Fantasyaction findet im lichtschwachen Halbdunkel statt.
Luke Evans (DER HOBBIT: SMAUGS EINÖDE), die Taschengeld-Ausgabe von Orlando Bloom, gefällt als Balkan-Fürst. Sein Faustischer Pakt als ein Orpheus in der Unterwelt mit der Kreatur im (ernsthaft:) Reißzahngebirge wiederum entfaltet so wenig Potenzial wie die Liebe zu seiner Gattin (Sarah Gadon, ENEMY), obwohl sich Shore redlich damit abmüht. Schlachten und flatterhaftes CGI – nicht nur bei Fledermäusen – sind eher seine Sache.
Womit wir bei den Türken wären: Das historische, christliche Transsylvanien wird von diabolisch-unmenschlichen Horden bedroht, sardonische Kinderräuber mit Großmachtphantasien. Im verzweifelten Versuch, das Abendland gegen eine erbarmungslose Übermacht zu verteidigen und sie auf dem Weg nach Wien aufzuhalten, bringt ein sorgenvoller Vaterlandsschützer ein großes Opfer. Das hätte sich kein deutscher Regisseur getraut.
Obwohl der eigentliche Bösewicht der osmanische General ist (fies: Dominic Cooper, NEED FOR SPEED), bleibt die Intention unpolitisch. Immerhin geht es um den gerechten Krieg, der nicht nur ein, sondern gleich viele Monster erschafft, um einen brutalen Feind, Okkupanten und Aggressor abzuwehren, wo zum Zwecke der Vergeltung eine Armee der Finsternis geschmiedet wird, die sich anschließend nicht mehr kontrollieren lässt. Eine mittelalterliche Atombombe gewissermaßen.
Der Fluch der guten Tat: Das weckt spezielle US-Erinnerungen an die Mudschaheddin, die später zu Taliban und al-Quaida wurden. Auch mit der IS, ausgerüstet mit schweren US-Waffen aus irakischen Beständen, verhält es sich ähnlich. Da hat die kalte Poesie des Totenvogel eines NOSFERATU oder die Magie der Nacht eines ONLY LOVERS LEFT ALIVE in dieser eher versehentlichen militärischen Kulturkampf-Allegorie natürlich keinen Platz.
Bevor man dann doch lieber Vlad, das Kaninchen mit den Keksen (aus HORTON HÖRT EIN HU!) präferiert, kann der unverzagte Gefühlsmensch unter all dem Fantasy-Bombast und anderen Versatzstücken ein für Sensible überaus spürbares Treue-Melodram finden, das den Fürst der Finsternis als missverstanden wie MALEFICENT, als Lichtgestalt auf Höllenfahrt ausweist und ihn abschließend einem Zyklus aus Verdammnis und Hoffen aussetzt.
Erschienen auf Komm & Sieh
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Dracula Untold, USA 2014 | Regie: Gary Shore, Buch: Matt Sazama, Burk Sharpless | Mit: Luke Evans, Dominic Cooper, Sarah Gadon, u.a. | Laufzeit: 92 Minuten, Verleih: Universal (Kinostart: 02.10.2014).