Obwohl vor dem hochgelobten PRISONERS entstanden, fand die erneute Kooperation Jake Gyllenhaal/Denis Villeneuve erst wesentlich später ihren Weg ins Kino. Anders als jener Ensemble-Mahlstrom ist ENEMY ein enigmatischer, düster brütende Arthaus-Alptraum, ein unheilvolles Doppelgänger-Psychodrama, das den Roman des Nobelpreisträgers José Saramago in einen sensationell surrealistischen Trip ins Unterbewusstsein verwandelt.
Von exzellenter Ästhetik geleitete Kompositionen tauchen Toronto in eitrig-gelbes, wie viragiert wirkendes Low-Key-Sepia, das eine irrsinnig aufgeladene Atmosphäre atmet. Die Kamera agiert selbst im Freien klaustrophobisch und folgt ihrem depressiven Protagonisten in seiner monotonen Monadenexistenz gerne ins Halbdunkel. Düstere Töne verleihen seinen desorientierenden Teufelskreisen mysteriöse Bedrohlichkeit.
Der mit Dasein und Freundin unzufriedene Geschichtslehrer Adam entdeckt auf einer DVD zufällig den Schauspieler Anthony, der ihm aufs Haar einschließlich körperlicher Besonderheiten gleicht. Nach einigem Zögern willigt der zu einem Treffen ein, unterstellt Adam aber ein Verhältnis mit seiner schwangeren Frau und macht sich zugleich ungeniert an dessen Freundin heran.
Das Psychogramm eines Neurotikers, der jäh von Bildern seines Alter Egos, Begegnungen mit sich selbst verstört wird: Die ominösen Verschränkungen beider Personen, eines schüchtern Verzagten und eines arrogant Aggressiven, stecken voll brodelnder, vibrierender Spannung. Die Irritationen, die diese Stalker und Schlafwandler auslösen, steigern sich immer mehr in schizophrene Fantasien, ohne je aufgelöst zu werden.
Denn so sehr Mauerblümchen und Verführer erzittern, Villeneuve fordert mit seinem schleppenden Tempo nicht nur Geduld ein, er verweigert sich auch jeder (schlüssigen) Erklärung. Was gerade die unheimliche Stärke seines ambigen und traumgleichen, subtilen und intellektuellen Blicks in den Kopf ist, der auf bestechende Art und zuweilen verstörend Lyncheske und Cronenbergsche Visionen mit Franz Kafka und Hitchcock vereint.
Lynchs Muse Isabella Rossellini (BLUE VELVET) hat einen kurzen Auftritt als Mutter. In diesem VERTIGO-Schwindel sind es die Frauen (Mélanie Laurent, Sarah Gadon), die der abgründigen, bedrückenden wie beklemmenden Kunstmetamorphose um Identitätsübernahme und -tausch, Begehren, Liebe, Tod und Katastrophe einen (über)sexualsymbolischen Anstrich verleihen, bei dem Sigmund Freud zufrieden genickt hätte.
Gipfel dieser Hypnose sind grandiose Alpträume, kurzen Zeitlupenstummfilme mit dämonischen Klängen. Doch das handlungsarme Gären und Graben in finsteren psychischen Gewölben, in denen Spinnentier krabbelt, erweist sich nicht erst im furchterregenden Schluss (nichts für Phobiker!) als einziges, rätselhaftes Nachtmahr. Das wie Saramagos Vorlage von DIE VERWANDLUNG beeinflusst ist und Kafka-Kino mit Suchtpotenzial birgt.
Erschienen auf Komm & Sieh
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Enemy, Kanada/Spanien 2013 | Regie: Denis Villeneuve, Drehbuch: Javier Gullón, Vorlage: José Saramago | Mit: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon , u.a. | Laufzeit: 90 Minuten, Verleih: Capelight.