Von Bodo Traber
Während Jacques Tourneurs berühmte atmosphärische Grusel- und Kriminalfilme CAT PEOPLE, I WALKED WITH A ZOMBIE oder OUT OF THE PAST heute Legenden sind und in immer wieder neuen Editionen präsentiert werden (aktuell darf man sich auf eine edle Veröffentlichung von NIGHT OF THE DEMON aus dem Hause Anolis freuen), sind seine klassischen Western leider fast völlig in Vergessenheit geraten. Erst vor wenigen Jahren machte eine Retrospektive der Filmoteca in Madrid eine Wiederbegegnung mit Filmen wie GREAT DAY IN THE MORNING oder WAY OF A GAUCHO möglich, und mit der von Koch vorgelegten DVD von CANYON PASSAGE wird nicht nur ein verlorenes Kleinod des Hollywood-Erzählkinos wieder zugänglich, sondern auch ein Meisterwerk des frühen Drei-Farb-Technicolor, mit dem Tourneur ebenso expressive Tableaux gestalten konnte wie mit den Schwarzweiß-Filmen, für die er berühmt wurde.
Die Verfilmung eines erfolgreichen Fortsetzungsromans der Wochenend-Zeitschrift „Saturday Evenenig Post“ war eine für Universal hergestellte ‚Independent’ Produktion des ambitionierten Produzenten Walter Wanger, der – Jahre vor der Reifung des Genres in den Händen von Regisseuren wie John Ford oder Delmer Daves – den Klischees des typischen Studiowestern einen Film entgegen stellen wollte, der einen authentischen Blick auf die Lebensumstände der Pioniere des mittleren 19. Jahrhunderts erlaubte. Manche Passagen, etwa die Errichtung eines neuen Blockhauses für ein junges Ehepaar durch die Dorfgemeinschaft, sind entsprechend fast mit dokumentarischer Geste inszeniert und behielten eine solche Imposanz in ihrer Schilderung des eigentlich sozialen Grundgedankens der Siedler, der an den kriegerischen Umständen zerbricht, dass sie nahezu identisch etwa in William Wylers Film FRIENDLY PERSUASION über die Beschreibung einer Quäkergemeinschaft während des Bürgerkriegs wiederkehrt.
Gedreht wurde fast komplett an (eindrucksvollen) Originalschauplätzen, die Geschichte entspinnt sich um ein Kaleidoskop historisch glaubwürdiger Figuren und ihrer Konflikte – Oregon, 1856: Logan Steward versucht sich als Transport-Unternehmer in der Goldgräberstadt Jacksonville zu etablieren, obwohl er mehrere Probleme gleichzeitig lösen muss. Nicht nur, dass ihm der Halunke Bregg ans Leder will, weil er ihn eines Mordes bezichtigen kann, auch sein Freund Camrose, der die Vermögen der Goldgräber verwaltet, hat sich die Weste schmutzig gemacht, weil er gegen seine Spielleidenschaft nicht ankommt. Außerdem kann sich Logan nicht zwischen zwei bildschönen Frauen entscheiden, und der Frieden mit den Indianern ist auch überaus brüchig… – Besetzt mit einer exquisiten Darsteller-Riege – in der Hauptrolle der großartige Dana Andrews, der wieder in Tourneurs NIGHT OF THE DEMON zu sehen sein sollte – erlaubt der spielerisch zwischen Drama und Melodram balancierende Film gleichzeitig eine Reise in die große Zeit des klassischen Erzählkinos wie er eine für seine Entstehungsperiode erstaunliche Modernität atmet. Hier in integraler Version mit Untertitelung der in der deutschen Fassung (von 1953) nicht enthaltenen Szenen.
Ein fast verlorener Klassiker ist auch WELLS FARGO (FRISCO-EXPRESS – UM LIEBE, GOLD UND HEIMAT), die heroisierte Firmengeschichte der legendären Postkutschen-Linie, die sich zum größten Transportunternehmen der USA entwickelte, 1937 mit pompösem Aufwand von Frank Lloyd (MEUTEREI AUF DER BOUNTY) für Adolphe Zukors Paramount auf die Leinwand gebracht. Joel McCrea brilliert omnipräsent in der Rolle des fiktiven Tausendsassa Ramsey McKay, der 1840 mit frischen Austern für den Express-Service der Herren Wells und Fargo von New York nach Buffalo jagt, die erste Filiale in St. Louis eröffnet, rechtzeitig zum Ende des Kriegs mit Spanien in Texas und rechtzeitig zum Goldrausch in Kalifornien eintrifft, um eine firmeneigene Bank zu gründen, mit dem Ruderboot den in San Francisco eintreffenden Schiffen entgegen fährt, um aktuelle Zeitungen für seine Kunden zu ergattern, auf Abraham Lincolns Wunsch während des Bürgerkriegs Gold für die Union transportiert und mit der Waffe gegen die Südstaatler verteidigt, die erste Postkutschen-Verbindung nach Kalifornien einweiht und gegen Indianer und Banditen kämpft – und nebenbei noch Familien- und Ehekrisen meistern muss. Joel McCrea wiederholte die Bombenrolle des so sensiblen wie aufrechten Haudegens bald darauf als „Troubleshooter“ in Cecil B. DeMilles ungleich bekannterem UNION PACIFIC (DIE FRAU GEHÖRT MIR): Beide Filme gehören zu einem Paket großer New-Deal-Propagandafilme der Roosevelt-Ära, die angesichts der Wirtschaftskrise und der wachsenden Bedrohung des Weltfriedens Ende der 30er Jahre den unbeugsamen amerikanischen Pioniergeist feierten, wie er sich in der eigentlich unglaublichen Bewältigung solcher Makroprojekte wie Infrastruktur und Eisenbahnbau quer über den amerikanischen Kontinent während des 19. Jahrhunderts darstellte.
Als besonderer Glücksfall darf gelten, dass die noch in den 30er Jahren entstandene deutsche Fassung des Films erhalten geblieben ist und einen faszinierenden Einblick in die Frühgeschichte deutscher Synchronisation bieten kann, insbesondere, da der bedeutende Film hierzulande über Jahrzehnte nicht mehr zu sehen war. Die DVD bietet die integrale Fassung des Films mit optionaler Untertitelung der Szenen, die ohne deutschen Ton sind, sowie als Bonusmaterial die deutsche Kinofassung – offenbar in einer Reprise-Kopie aus den 50er Jahren – mit deutschen Zwischentiteln der Kapitel und deutschen Inserts. Ein besonderes Kuriosum ist dabei, dass der deutsche Ton, der an den Hauptfilm angelegt wurde, aus einer anderen Quelle bzw. von einer kürzeren Kopie stammen muss, denn einige Szenen sind hier untertitelt, die in der deutschen Kinofassung durchaus enthalten sind. Zudem enthält diese rund 15 Min. Filmmaterial, das in der Hauptfilm-Fassung fehlt, also offenbar von Paramount nach der Premiere aus Längengründen geschnitten und vermutlich vernichtet wurde, aber auf dem Umweg über die deutsche Fassung von 1938 ebenfalls erhalten geblieben ist. Eine Edition mithin, die der filmhistorischen Bedeutung dieses frühen Meilensteins des Pionier-Westerns auf außerordentliche Weise gerecht wird.
(Die Booklets lagen uns leider nicht vor.)
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Canyon Passage, USA 1946, R: Jacques Tourneur, D: Dana Andrews, Susan Hayward, Brian Donlevy, Ward Bond, Lloyd Bridges, u.a.
Wells Fargo, USA 1937, R: Frank Lloyd, D: Joel McCrea, Frances Dee, Bob Burns, Lloyd Nolan, Robert Cummings, Mary Nash, u.v.a.
Anbieter: Koch Media