„Dieser Film basiert auf den tatsächlichen Ereignissen zwischen 1968 und 1985. Scheinbar perfekt geplant geschieht Mord für Mord. Man nennt den Mörder: DAS MONSTER VON FLORENZ. Die grauenvollen Verbrechen eines Wahnsinnigen versetzen die Menschen in Angst und stellen die Kriminalisten vor ein Rätsel“.
Tod-Toskana-Traurigkeit. Seit Jahrzehnten wütet ein Wahnsinniger in den Auen von Florenz. Unter Pinienwipfeln sterben junge Liebespaare – alle Jahre wieder kriecht die Angst in die Gesichter der Bevölkerung. Die Polizei tappt im Dunkeln, es gelingt ihr nicht, ‚Das Monster von Florenz‘ dingfest zu machen. Der Schriftsteller Andreas Ackermann (Leonard Mann), der seit einiger Zeit mit seinem Roman über das Geschehene nicht recht weiterkommt, wird 1985 durch einen weiteren Mord wachgerüttelt und spannt einen neuen Bogen Papier in seine Schreibmaschine: denn nun vertieft er sich in die Psyche des unbekannten Täters, er gräbt sich tief ein in das Seelenleben dieses ‚Monsters‘ – und mit jedem neuen Puzzleteil steigt er weiter hinab in ein Labyrinth aus Hass, Exzess und Paranoia!
Ruhe, unendliche Ruhe – in Anbetracht des Sujets gar ewige Ruhe. Dadurch besticht Cesare Ferrarios Inszenierung. Denn anstatt, der damals schon im Siechtum befindenden Filmindustrie Italiens lediglich ein weiteres ‚Metzgereiprodukt‘ hinterher zu werfen – was sich bei der zugrunde liegenden Thematik andere Regisseure kein zweites Mal hätten sagen lassen – geht er in medias res. Anhand der realen Ereignisse zieht Ferrario ein Opus über menschliche Abgründe per se aus dem Ärmel, wie man es in dieser Phase der Cinecittà nicht mehr erwartet hätte. Mit Ausdauer und geradezu entwaffnender Ruhe wird schichtweise die Psyche des Täters dechiffriert. Der Schriftsteller – den Leonard Mann mit einer unterkühlt-präzisen Leinwanddarbietung personifiziert – wird zum Medium eines Mannes, der seit frühester Kindheit Traumata, sexuelle Störungen und ödipale Komplexe mit sich herum trägt. Bis zu einem gewissen Punkt ein Mitglied der Gesellschafft, beherrscht und unerkannt lässt. Doch von Zeit zu Zeit brechen die Dämme und es geschieht das Unvermeidliche: der Hass kanalisiert sich in den Lauf einer Beretta; jedes Mal, wenn der Finger am Abzug zuckt, drängt er seine Dämonen zurück – bis zum nächsten Ausbruch. Psychologisch geht es sattsam bekannt zu, wer sich als Filmfan etwas im Genre auskennt, wird wenig überrascht sein. Doch die Art und Weise, wie der Regisseur hier eine Aufbereitung vornimmt, enthält sich jeglicher Unsicherheiten und wildert nicht in plumpem Effektgehasche. Der Film will uns verstehen lassen, warum es so kommen konnte wie es kommen musste – und warum ein Mensch auch immer ein Mörder sein kann.
DAS MONSTER VON FLORENZ erzählt uns viel; durch seine Langsamkeit. Viel über die Angst einer Stadt. Angst vor einem Menschen, dessen Grenze zwischen Normal und Abnormal genauso schmal ist wie bei uns allen. Über Florenz, das hier so gar nichts von der sonnendurchfluteten Postkartenurlaubsidylle hat, wie es die Reiseführer uns stets glauben machen wollen. Über die terrakottabraunen Häuser, die engen Gassen, die windschiefen Brücken – darüber hängen Schleier von Nebel und Tristesse; die allgemeine Verunsicherung legt sich wie ein Leichentuch über die einstige Wirkungsstätte der Medici. Über die Liebe in dieser Zeit, geprägt von überkommener Moral und aus dem Katholizismus gespeisten Vorbehalten. Über die gelähmte Justiz und Polizeigewalt, deren Wirkungskraft wieder einmal sehr mit Vorsicht zu genießen ist. Über eine Enge und Kälte im Eltern-Kind-Verhältnis, über eine Empathielosigkeit, gegen die kein mit Lametta behängter Weihnachtsbaum, kein Kuscheltierbataillon, kein festgefügtes Contenancekorsett etwas ausrichten kann – irgendwann legt das Leben den Schalter um.
Als Grundierung dieses Psychogramms fungiert die atmosphärische Filmmusik von Paolo Rustichelli, wobei sich der Sohn in den Fußtapfen seines berühmten Vaters Carlo als treuer Erbe erweist. Über unendlich elegische Fetzen einer Klaviermelodie schieben sich obsessive Streicher in hohen Lagen, mit verfremdeten Chorpassagen koloriert Rustichelli die von Ferne dräuenden Stimmen, die ‚Das Monster‘ in seinem Kopf immer wieder zu hören scheint – und die vereinzelten Paukenschläge lassen zusammenfahren, sitzen wie Messerhiebe in den Gehörgängen des Zuschauers.
Wieder einmal ist es filmArt im Rahmen der in gelbe Amarays gepackten ‚Giallo Edition‘ gelungen, einen vergessenen Schatz zu heben. Als #006 der Reihe erscheint DAS MONSTER VON FLORENZ weltweit erstmals in HD, wobei es sich bei der für die Comboveröffentlichung verwendeten Materialabtastung wiederum um Qualitätsarbeit handelt. Dass die Schärfewerte manchmal schwanken, hat auch mit den Optiken der 1980er Jahre zu tun, in denen Weichzeichner gerne verwendet wurde. Neben der ungekürzten Kinofassung wird die kürzere, alternative italienische Fassung in HD präsentiert, die sich speziell in den Rückblenden anders geschnitten zeigt, jedoch auch vieles vom psychologischen Unterbau vermissen lässt. Da dieser ‚Cut‘ einst vom Verleih auf Drängen der damals noch ermittelnden Polizei erstellt wurde und somit unrunder geraten ist, sei von mir stets zur längeren, atmosphärisch dichteren Fassung geraten, wobei beide Filmfassungen in deutscher Synchronisation sowie dem ‚Originalton‘ vorliegen. Ein zwölfseitiges Booklet von Heiko Hartmann liegt bei, der mit den vier Essays „Based on true events – vom Einzug des Serienmörders in den Film“, „Das Monster im Film – Gratwanderung zwischen Spekulation und Anklage“, „Das reale Monster – 1968/1985: Florenz in Angst“ und „Die Chronik des Monsters“ einen faktenreichen Rundumschlag liefert und die Hintergründe des Filmes sehr gut aufbereitet.
Und genauso immerwährend der Arno seine trüben Wasser durch das florentinische Tal schieben wird, so ewig werden wohl junge Liebende in seinen Auen von der Angst heimgesucht – von der Angst, dass sie die nächsten sein könnten, über die DAS MONSTER VON FLORENZ seinen dunklen Mantel aus Vergänglichkeit decken wird. Denn sie denken an die Worte, durch die der jüngst abberufene Norbert Gastell uns mit sonorer Stimme aus dem Film entlässt:
„Wer das Monster ist, wurde nie endgültig geklärt. Sicherlich ist es unter jenen, die diesen Film gesehen haben. Die Frage ist nur: wann schlägt es wieder zu?“
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Il mostro di Firenze, I 1986, R: Cesare Ferrario, D: Leonard Mann, Bettina Giovannini, Gabriele Tinti, Francesca Muzio, Federico Pacifici, Alberto Di Stasio
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