Von Rudi Specht
Der kanadische Regisseur Ian Kessner, der sich mit diesem Erstlingswerk vor seinen filmischen Einflüssen in Form der Slasher-Filme der 1980er verbeugen möchte, tut dies leider dermaßen tief, dass er neben dem Blickkontakt auch den Halt verliert und kopfüber in jener Grube landet, in der sich bereits Hunderte andere schlecht gemachter Fließbandfilmchen dieser Spielart auftürmen. Und eben hier wird dieses Werk wohl auch bleiben und in Frieden ruhen, schnell erlöst, unbeachtet und unbeweint.
Merkmal jedes klassischen Slasher-Films ist das Schema jener Gruppe von Teenagern, die von einem Killer bedroht und in der Regel bis auf eine, meist weibliche Person dezimiert wird. Nicht anders hier: Vier Jungs, die allesamt seitens der Drehbuchautoren Bo Ransdell und ebenfalls Ian Kessner unglaublich kreativ mit den Vornamen von Regiegrößen dieses Genres ausgestattet wurden, und deren vier weibliche Ergänzungen, die allesamt ebenso unglaublich kreativ mit den Vornamen der Schauspielerinnen ausgestattet wurden, die in den Filmen der Regiegrößen das Final Girl gaben, schleichen sich von einer Party in der Highschool davon, nehmen einen Schulbus in Besitz, bleiben mit diesem in unbewohnter Gegend mitten in der Nacht liegen, suchen Hilfe in einem scheinbar verlassenen Haus, welches aber – wer hätte das gedacht! – von einem geistesgestörten Schlitzer mit Vorliebe für Menschenfleisch bewohnt wird, der dann alle, bis auf ein weibliches Gruppenmitglied, darnieder meuchelt. Und das war es dann auch schon. Alles unglaublich kreativ.
Unglaublich kreativ ist es auch, den Film 1984 spielen zu lassen und ihn mit Anleihen und Zitaten aus all seinen zahlreichen filmischen Vorbildern nicht nur zu über- sondern so lange komplett zuzuschütten, bis von ihm selbst als filmischem Werk mit einer Geschichte und/oder Dramaturgie nichts mehr übrigbleibt. Die allesamt wenig talentierten Darsteller der Teenieansammlung stapfen eher verkleidet als zeitgemäß ausstaffiert durch einen Film, der vor logischen Brüchen, Rissen in der Dramaturgie, Schnittfehlern, ständigen Achsensprüngen und nicht nachvollziehbaren Handlungsfäden nur so strotzt. Dazu kommt eben das Problem, dass der Film 1984 spielen soll, er aber, trotz unglaublich kreativer digitaler Effekte wie Filmstaub, -kratzer und -risse, eben einfach nicht danach aussieht. Und auch nicht so klingt. Manchmal reicht es eben einfach nicht aus, einem Teenager Rubiks buntes, mechanisches Geduldsspiel in Würfelform in die Hand zu geben, um das Flair der goldenen Slasher-Filmära herbeizuzaubern. Genau so wenig lassen sich damit, wie hier eindrucksvoll bewiesen wird, eigene Ideen oder dramaturgische Finesse herbeirufen. Ungewöhnlich ist nur der fatale Einfall, die sympathischsten möglichen Identifikationsfiguren der Filmhandlung als erste auf wenig kreative Weise ableben zu lassen. So nimmt der Zuschauer das Hinmetzeln der weiteren Filmfiguren beiläufig zur Kenntnis, während er sich an die Zimmerdecke starrend die Frage stellt, ob diese nicht wieder einmal einen neuen Anstrich vertragen könnte. Hinzu kommt, dass der Film dermaßen dunkel, duster und schummrig ist, dass es stellenweise einfach nicht mehr möglich ist, zu, was da vor den Augen des Zuschauers vor sich geht. Einzig und allein der „T-1000“ Robert Patrick als Direktor der Highschool – ein Ärsche tretender, fluchender Vietnamveteran, der Discomusik hörend in einem gelb-schwarzen Geschoss von Automobil durch die Dunkelheit flitzt – vermag von Zeit zu Zeit den Bildschirm und die Miene des Zuschauers zu erhellen.
Am Ende fühlt man sich allein gelassen mit seiner Nostalgie und dem frustrierten Wissen, dass die 1980er-Jahre doch ganz anders, viel cooler und spannender und innovativer und vor allem unglaublich kreativ waren. Und dann geht man in den Keller, unbewaffnet, mit Pantoffeln an den Füßen, findet den alten Pappkarton und wühlt in alten Fotos, findet eine Lavalampe, die alte Atari2600-Konsole, den alten Schülerausweis, drei bis fünf He-Man-Figuren, mehrere Fünf-Freunde-Hörspielkassetten, natürlich einen Zauberwürfel und da…endlich…die alten VHS-Kassetten. Die Kopien, die man damals mit dem Nachbarsjungen gemacht hat, zu dem man dann mit dem Videorecorder, einem Toplader von Blaupunkt, unterm Arm rübergehen musste. Und man erinnert sich. An die Slasher-Filme der 1980er, die auch immer ein Initiationsritus waren. An die falsch eingestellte Bildspur, den leiernden Ton, den echten Staub und die echten Kratzer. Man erinnert sich an das Original.
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Lost After Dark, Kanada 2015, R: Ian Kessner, D: Sarah Fisher, Mark Wiebe, Jesse Camacho, Kendra Leigh Timmins, Robert Patrick
Anbieter: Mad Dimension