Vom Zodiac Killer zu Daniel, dem Zauberer.

SEPTEMBER SONG (2001), eine Reflektion über Faschismus, zeigte wieder alte Weggefährten vor der Kamera: Rudolph Waldemar Brehm, Katrin Schaake und auch Robert Fischer, jenen einflussreichen Filmhistoriker, welchem herausragende Verdienste unter anderem in der Aufarbeitung des „Fassbinder-Komplexes“ zukommen und der ein wenig später seinerseits Lommel in seiner Doku FASSBINDER IN HOLLYWOOD vor die Kamera setzen sollte.
ULLI LOMMELS ZODIAC KILLER (2001), wieder teilweise mit deutschen Schauspielern (und David Hess!) besetzt, wurde komplett auf Video gedreht und sollte den Stil für weitere Filme Lommels vorgeben.
ZodiacKiller_Poster „Die Videokamera eröffnet uns Möglichkeiten, von denen wir Filmemacher jahrzehntelang nur träumen konnten. Selbst mit einer ganz einfachen, kleinen Kamera, welche auf Autofocus gestellt ist, kann man heute mit gutem Ergebnis Filme drehen. Fassbinder hätte sofort die Möglichkeit ergriffen, wenn er sie gehabt hätte, er war Innovationen gegenüber immer voll aufgeschlossen. Er hat auch damals zwei Filme mittels Magnetband aufgezeichnet und hat die einfache Handhabung und das Ergebnis geliebt.“
Gedreht wurde ULLI LOMMELS ZODIAC KILLER noch in Amerika. Und als Lommel daraufhin endlich wieder nach Deutschland kam, sah er das Land von einer merkwürdigen, unkonventionellen Gestalt begeistert, welche die Schlagzeilen füllte und sowohl Mädchen als auch Jungs Tränen der Begeisterung in die Augen trieb: Daniel Küblböck, androgyner Misfit aus Bohlens Superstarschmiede.
DanielDerZauberer_3 Den ganz großen Coup witternd, holte Lommel mit Peter Schamoni seinen alten Weggefährten ins Produzentenboot, und auch die Besetzungsliste des Muscial-Märchens mit Warhol-Anleihen DANIEL – DER ZAUBERER (2004) liest sich wie ein „Who-is-Who“ der noch lebenden Künstler aus dem einstigen Fassbinder- und Neuen Deutschen Film- Umfeld.
Dass die Beliebtheit seines Stars an einem seidenen Faden hing und sich die Medienpräsenz zum guten Teil aus blankem Hass gegen ihn nährte, konnte Lommel, der Vorgeschichte Küblböcks nicht gewahr, nicht ahnen. Die Premiere seines Films, auf Video gedreht und in den Arri-Studios auf 35mm kopiert, geriet noch zum Großereignis. Doch ein Gurkenlaster beförderte Küblböck ins Krankenhaus, zog ihn damit vorübergehend aus dem Verkehr und beendete seine „Karriere“.
„Ich habe Daniel damals im Krankenhaus besucht, ich habe ihm meine Bedenken mitgeteilt, meine Sorge, seine Karriere könnte nun an einem Punkt angelangt sein, an welchem alles zu kippen droht. Das gleiche Schicksal würde dann auch den Film treffen…“
DanielDerZauberer_1 Lommels durchaus feinfühlig inszenierter, poetischer Film erwies sich als unspielbar, wurde aus den Kinos abgesetzt, bedeutete die Pleite von Schamoni und das Platzen des Traumes seines Regisseurs. Das Comeback war gescheitert. Im Nachgang zeigte sich Lommel jedoch stolz auf den Film:
„DANIEL – DER ZAUBERER steht auf der Liste der schlechtesten Filme aller Zeiten –zusammen mit Klassikern wie PLAN 9 FROM OUTER SPACE, ZABRISKIE POINT oder HEAVEN’S GATE – ist das nicht toll!! Welch‘ eine Auszeichnung!!!?“
Küblböck hatte versagt. So blieb es nun dem bewährten BOOGEY MAN vorbehalten, wieder für Geld zu sorgen. Das tat er auch – indem eine Klage gegen die geplante gleichnamige Sony/Sam Raimi-Produktion auf Verletzung des Urheberrechts Erfolg hatte.
Das Geld wurde in den nächsten Film investiert – ZOMBIE NATION (2004). Irgendwo zwischen Michael Jacksons THRILLER und der ROCKY HORROR PICTURE SHOW angesiedelt sollte das ungewöhnliche Werk sein. Gedreht wurde wieder in L.A. und auf 35mm, das letzte Mal in Ulli Lommels Leben.
Der geplante Musicalanteil geriet während des Drehs zunehmend in den Hintergrund, das erhoffte Schockmoment durch graphische Effekte wollte sich, auch bedingt durch entsprechende Schnittvorgaben seitens der MPAA, schließlich ebenfalls nicht einstellen. Der Erfolg blieb auch diesmal versagt. Das Publikum konnte zu wenig mit der eigenwilligen Konzeption der „Zombies“ anfangen und versagte dem Film seine Gunst. Lommel legte die Zelluloidkamera für immer auf die Seite. Fortan produzierte er ausschließlich kostengünstig auf DV.
Das Geld war verloren. Doch wieder tat sich eine neue Türe auf:
GreenRiverKiller_Poster Ein Deal mit LionsGate, welche mit AMERICAN PSYCHO und SAW große Erfolge verbuchen konnten, verpflichtete Lommel zu lukrativen Konditionen, zahlreiche billig zu produzierende Serial-Killer-Adaptionen abzuliefern, welche sich zumindest teilweise an andere aktuelle Erfolgsfilme in Titel und Thematik anhängen sollten.
All diese Filme wurden auf DV gedreht, einige verwendeten Archivmaterial, andere Szenen aus eigenen Filmen oder den Filmen weiterer Regisseure, auf welche Lommel Zugriff hatte. Angefangen mit GREEN RIVER KILLER (2005) (mit George Kiseleff, dem Terroristen aus Petersens AIR FORCE ONE, als Killer), welcher wie der nachfolgende B.T.K. (2005) erst nach ganz erheblichen Schnittauflagen eine Freigabe bekam, mit KILLER PICKTON (2006), welcher wie der nachfolgende Film THE RAVEN (2006), einem kurzen E.A. Poe-Abstecher, teilweise wieder in Deutschland gedreht wurde, führte der Weg über den Abu Ghraib/Lynndie England-beeinflussten BLACK DAHLIA (2006) (welcher sich natürlich an das gleichnamige De Palma-Werk hing und daher erfolgreichster Film der Serie blieb), die Meiwes-Variation DIARY OF A CANNIBAL (2006), die ZODIAC„Fortsetzung“ CURSE OF THE ZODIAC (2007), den Lovecraft-beatmeten THE TOMB (2007), den die Juarez-Morde verarbeitenden BORDERLINE CULT (2007), den Kampusch-inspirierten DUNGEON GIRL (2008), die Berkowitz-Verfilmung SON OF SAM (2008), den BASELINE-KILLER (2008) aus Phoenix, die Charles Cullen-Morde mit KILLER NURSE (2008), den Fall Ramirez mit NIGHTSTALKER (2008) bis hin zur D.C. SNIPER (2009)-Verfilmung mit Ken Foree.
DungeonGirl_Poster Den Schnitt der Filme besorgte diesmal nicht Lommel selbst, sondern Assistent und Produktionsleiter Christian Behm.
„Das war ganz Fassbinder: Einen Film abdrehen, das Material zum Schneiden abgeben und den nächsten Film beginnen“.
Sowohl für LionsGate als auch für Lommel, dessen Salär pro Film weit oberhalb des tatsächlichen Budgets lag, hat sich das Unternehmen in klingender Münze ausgezahlt. Nahezu alle Filme dieser Reihe wurden weltweit veröffentlicht. Das Vermarktungskonzept von LionsGate konnte jedoch nur als Etikettenschwindel bezeichnet werden, und entsprechend verheerend war die Reaktion der Zuschauer. Ulli Lommel schlug blanker Hass der verärgerten Fans entgegen, und schnell wurde sein Name als einer der schlechtesten Filmregisseure der Welt genannt.
Lommel, welcher zunächst von der professionell-marktschreierischen Präsentation seiner Minifilme durch LionsGate begeistert war, kam im zeitlichen Abstand zu einer ähnlichen Einschätzung:
„Die Filme wurden völlig falsch angepriesen. Das konnte nur zur Enttäuschung führen. Tatsächlich sind die Filme politische Kommentare, die viel über den Zustand der Nation und auch über mich aussagen. Sie wären in OFF-Kinos oder entsprechenden Festivals besser aufgehoben gewesen…“.
Insgesamt bleibt die Reihe, trotz aller berechtigten Kritik, vor allem in der Gesamtbetrachtung eine durchaus interessante Episode im Gesamtwerk Lommels, wenn die Filme als das gesehen werden, was sie tatsächlich sind: Kleine, mit minimalem Budget in wenigen Tagen auf DV gedrehte, stellenweise schon in Richtung „Underground“ tendierende Werke, welche zuweilen hinter den Bildern mehr Persönlichkeit verraten als manche Großproduktion.
Jedenfalls war nun wieder Geld vorhanden, um es in einen Star zu investieren: David Carradine.
Für ihn wurde die Tarantino/RoadMovie-inspirierte Meditation über Liebe, Rache und das Böse an sich verfasst: ABSOLUTE EVIL (2009).
AbsoluteEvil_Poster Seine Premiere erhielt der Film auf der Berlinale und brachte Ulli Lommel abermals ins Rampenlicht zurück. Doch die Reaktionen blieben gespalten, technische Defizite wurden kritisiert, und der erhoffte Erfolg sollte sich nicht einstellen.
Lommel erklärte seine amerikanische Schaffensphase als beendet. Eine Sichtung von Romano Vanderbees THIS IS AMERICA (1978) („Ein wirklich gut gemachter Film. Ich habe das damals gar nicht wahrgenommen, als ich den Kommentar gesprochen habe. Damals hatte ich allerdings auch noch keine Kenntnisse vom alltäglichen amerikanischen Wahnsinn…“) inspirierte ihn noch einmal zur kurzfristigen Rückkehr, um mit der interessanten und persönlichen, überaus reichen filmischen Kollage MONDO AMERICANA (2014) Abrechnung zu halten (Der Film wurde bislang nicht veröffentlicht und nochmals umgeschnitten, um zukünftig als AMERICA – LAND OF THE FIRE(AX) zu erscheinen…).
In Deutschland nutzte Lommel seine derzeitige Medienpräsenz, um sein bisheriges Leben mittels Autobiographie, Theaterstücken an der Berliner Volksbühne und Ausstellungen in der Münchner Aurora-Bar zu reflektieren. Dort wurde ihm auch der Münchner Extremkünstler Wolfgang Flatz vorgestellt, welcher in einem großen Loft hoch über der Stadt zahlreiche Künstler um sich versammelt („Eine unfassbare Neuauflage von Warhols Factory…!“). Lommel drehte ein beachtenswertes 3-D-Porträt über Flatz sowie den Film JULIA 17 mit seiner damaligen, 17-jährigen Lebensgefährtin in der Hauptrolle. Beide Werke harren noch ihrer Veröffentlichung.
In diesem Umfeld sollte Lommel die Bekanntschaft mit dem einflussreichen Unternehmerehepaar Hirmer machen, welche für seinen weiteren Lebensweg ebenso wie für sein weiteres künstlerisches Wirken entscheidend sein sollten („Es war schon immer in meinem Leben so, dass die Dinge sich von ganz alleine fügten. Das hat etwas mit Energien zu tun, welche sich außerhalb unserer direkten Beeinflussung befinden, sich jedoch sehr wohl indirekt durch unsere Einstellung lenken lassen…“).
Fußballfan Lommel ließ sich nicht das Angebot entgehen, in Vorbereitung der Fußball-WM 2014 nach Bahia zu reisen und dort das Bauvorhaben des Ehepaares, des „Campo Bahia“, welches schlussendlich Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft werden sollte, filmisch zu begleiten. Seite an Seite mit Joachim Löw („Ein großartiger Mensch, hochinteressant, mit einer ganz, ganz dunklen Seite…“) und unter Produktion des ehemaligen Eckhart Schmidt- Mitarbeiters Frank Dragun entstanden nun vor und während der WM Aufnahmen, welche, durch weitere, in Deutschland nachgedrehte Szenen ergänzt, zu einem visuell gefällig konzipierten Dokumentarfilm montiert wurden. Lommels Tagebuch über seine Zeit in Brasilien wurde ausformuliert, sollte den Film flankieren und erschien noch in Juni 2014. Der günstigste Vermarktungszeitpunkt unmittelbar nach dem deutschen Erfolg wurde jedoch verpasst, weshalb der Film bislang nicht erschien und in Folge noch zahlreiche Bearbeitungen erfuhr.
Doch Ulli Lommel war in Gedanken schon bei seinem nächsten Projekt. Die Zeit war reif, einen lang gehegten Traum zu verwirklichen: Ein Remake/Weiterführung seines größten Erfolges, BOOGEY MAN. Auf dem neuesten Stand der technischen Möglichkeiten und unter guten Produktionsbedingungen. Kein „Etikettenschwindel“ wie bei den bisherigen „Fortsetzungen“. Eine Verbeugung zudem vor Klassikern wie THE EXORCIST, LA NOCH DEL TEROR CIEGO oder SHINING.
Unter Koproduktion zwischen Frank Dragun und dem kanadischen Produzenten David Bond (THE PROFANE EXHIBIT) begannen, diesmal wieder jenseits des Atlantiks, die Dreharbeiten, welche mehr Zeit beanspruchten, als bisher jemals für einen Film von Lommel notwendig gewesen war. Weitere Dreharbeiten in Deutschland schlossen sich an. Im Rahmen der Postproduktion kippte das Vorhaben einer Kinovermarktung jedoch. Der Film wurde schließlich als Pilotfilm einer entsprechenden Fernsehserie konzipiert, welche nach dem Tod Ulli Lommels jedoch durch andere Regisseure realisiert werden muss.
Weitere Projekte über Marilyn Monroe und Andy Warhol wurden begonnen. Auch die Dreharbeiten eines schon lange geplanten Science-Fiction-Films („Ich will die Terrormomente von JAWS oder HALLOWEEN durch die Möglichkeiten der Drohnentechnik ins Unerträgliche steigern!“) wurden unter der Produktion eines Esslinger Teams in Angriff genommen, als das Schicksal Ulli Lommel aus seinem atemlos kreativen Leben riss.
So facettenreich waren sein Lebenslauf, so schillernd seine Wegbegleiter, dass man versucht war, den Wahrheitsgehalt mancher Erzählung anzuzweifeln. Zahlreiche Reaktionen auf Lommels Autobiographie drückten prägnant eben dieses Misstrauen aus. Doch Ulli Lommel war ein grundehrlicher Mensch. Er widersprach sich nie, er prahlte nie, kokettierte lediglich in seinen Büchern, niemals jedoch im persönlichen Gespräch. Allein seine filmischen Hinterlassenschaften liefern Beweise genug und sollten jeden diesbezüglichen Skeptiker überzeugen können. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet jene die Anschuldigung der Hochstapelei laut werden ließen, welche sich niemals tiefergehend mit seinem Gesamtwerk befasst haben.
Man mag darüber streiten, worin sich Ulli Lommel die meisten Meriten erworben hat – als Schauspieler, als Filmemacher oder als Katalysator des deutschen Films. Rückblickend auf sein Leben und seine Karriere gab Lommel zu, dass sehr viel Glück im Spiel war. Immer sei er zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Unzweifelhaft hatte er aber zudem die Gabe, mit seiner herzlichen und positiven Art mühelos Menschen zu überzeugen und für sich einzunehmen.
„Ich bin… Extremist!“ war die Antwort auf die Frage nach seiner politischen Orientierung. Politisch war Ulli Lommel immer interessiert, aktuelles Geschehen wurde verfolgt und engagiert kommentiert.
„Deutschland kriegt es wohl im Moment nicht zusammen? Alles in Einbahnstrasse gelandet…AFD hat die Chose total aufgemischt…und das zu recht…bin gespannt wie das nun weitergeht…ein seltsamer Krimi…“ (Mail vom 20.11.2017).

Boogeyman Ulli Lommel blieb lebenslang ein „Showman“. Wer ihn bei entsprechenden Veranstaltungen als Redner erlebt hat, weiß, wie sehr er in dieser Rolle aufging, und wie perfekt er sie tatsächlich auch ausfüllen konnte.
Als Filmemacher wollte er die Zuschauer niemals schockieren. Er sah sich als Entertainer, und auch die Momente des Schreckens in seinen Filmen sollten positive Gefühle hinterlassen. Selbst wendete er den Blick ab, wenn er mit Szenen konfrontiert wurde, welche seine diesbezüglich recht enge Grenze überschritten. Filmische Vorbilder blieben nicht die Werke eines Fassbinder, sondern JAWS, THE EXORCIST, SHINING und natürlich HALLOWEEN. Letztendlich blieb sein Bestreben nach der großen „Show“ folgerichtig. Aus einer Familie, welche im Mittelpunkt des damaligen Showbusiness stand, führten ihn seine ersten Wege von durchaus publikumsträchtigen Rollen hin zum Hinterhoftheater in der Münchner Müllerstrasse und den Miniatur-Filmversuchen des jungen Fassbinder. Die Anerkennung des Künstlers in Kritikerkreisen freute zwar auch Ulli Lommel, war jedoch letztendlich kein Ausgleich zur erhofften Begeisterung eines möglichst großen Publikums.
Lommel liebte die große Bühne. Er wollte die Massen begeistern und im Rampenlicht stehen. Letztendlich jedoch blieb er im innersten Künstler und stand sich damit selbst im Wege. Die merkwürdige Synthese zwischen Kunst und Kommerz führte zu eigenwilligen Konzeptionen seiner Filme, welche die Massentauglichkeit in den meisten Fällen verhinderten. Am ehrlichsten blieben seine Werke dann, wenn er dem Künstler in der Seele freien Lauf ließ. Dann entstanden, unbemerkt von Öffentlichkeit und Kritik, teilweise unveröffentlicht, Filme wie SUNSET BOULEVARD, ein 74-minütiger Film, gedreht in 74 Minuten in einem Auto während der 40-km-Fahrt den kompletten Sunset Boulevard entlang.
Sein Blick war stets nach vorne gerichtet. Und doch gab es Momente der Melancholie, wenn es um die vergangenen Jahre ging. Die Szenen der Revolution in Edels BAADER-MEINHOF-KOMPLEX trieben ihm Tränen in die Augen. „So war es, genau so war unsere Zeit“. Melancholisch war sein Blick zurück auch im Rahmen der stellenweise brillant geschriebenen Autobiographie, welche Lommel 2010 verfasste. Und seine Stimme wirkte zerbrechlich, wenn er von seinem Sohn sprach, dessen Mutter Lommel stets konsequent im Verborgenen hielt.
Rastlosigkeit war hervorstechendes Persönlichkeitsmerkmal, aber auch Sprunghaftigkeit, was die Realisierung von Projekten anging. Ständig ging Ulli Lommel mit mindestens zehn Filmideen schwanger. Die Prioritäten wechselten täglich und machten es für Mitarbeiter schwer, sich thematisch oder terminlich einzustellen. Für viele, welche sich hoffnungsvoll an seinen Projekten beteiligt hatten, musste die Zusammenarbeit oft in Enttäuschung enden. Manch einer wandte sich ab, wie z.B. der jahrzehntelange Freund Rudolph Waldemar Brehm, von welchem böse Worte über Ulli Lommel noch immer im Netz zu finden sind.
Fiel jedoch endlich eine Entscheidung zugunsten eines Filmsujets, wurde dieses überaus zielstrebig realisiert. Effizienz – das hatte er bei Fassbinder gelernt und in Amerika perfektioniert. Hatte er einen Kameramann, blickte er nur selten durch den Sucher. „Mach kein Meisterwerk draus“ war seine häufigste Anweisung. Seine Inszenierung sah nur selten längere Plansequenzen vor. Ganz wie Fassbinder verzichtete auch Lommel darauf, eine Szene in mehreren Einstellungen zu filmen. Einem Mastershot folgten noch wenige Detailaufnahmen, welche er sich, wie auch die Auswahl des geeigneten Objektivs, entweder vorab überlegt hatte oder spontan entschied. Schwierige Aufnahmen wurden aus den Dreharbeiten ausgelagert und oftmals erst Monate später als Inserts nachgedreht.
„Ich liebe Inserts. Ich habe mir eine Zeitlang ernsthaft überlegt, ob ich in Hollywood als reiner „Insertregisseur“ für andere Produktionen arbeiten sollte…“.
Durch diese Arbeitsweise war es möglich, auch aufwendige Produktionen wie z.B. BRAINWAVES, im für Ulli Lommel üblichen Zeitrahmen zu realisieren.
„Meine typische Drehzeit beträgt 21 Tage. Ausnahmen gab es so gut wie nie. Lediglich meine Serial-Killer-Filme für LionsGate wurden in kürzerer Zeit, meist eine Woche pro Film, abgedreht. Und BOOGEYMAN RESURRECTION – mit sechs Wochen Drehzeit mein bislang aufwendigstes Projekt“.
Unannehmlichkeiten des Lebens, welche zudem noch der Verwirklichung seiner Projekte im Wege standen, wurden von ihm ignoriert:
„Wenn ich mich vom Stress eines Tages freikaufen kann, ist mir das zehntausend Dollar wert!“
Besitz bedeutete ihm nichts. Zeitweise führte er seine Habseligkeiten in einem Koffer mit sich. Anderes stellte er bei Freunden unter, wo er es vergaß und niemals abholte. In Amerika nannte er zahlreiche Häuser (in Traumlage!) sein eigen, welche er jedoch im Zuge der Finanzierung von Filmprojekten wieder zu Geld machte. Nachgetrauert hat er verlorenem Besitz nie. In den letzten Jahrzehnten fand er meistens bei Freunden Unterkunft. Sein Lebenswandel blieb jedoch auch in diesen Jahren stets glamourös, soweit es die Umstände erlaubten. Wo Bescheidenheit gefordert war, konnte sich Lommel problemlos fügen. Grelle Kleidung, welche ihn oft als „Paradiesvogel“ erscheinen ließ, zog er Anzug und Krawatte stets vor. All das entsprach seiner Persönlichkeit und Denkweise, und nur so ließen sich viele seiner künstlerischen Visionen auch verwirklichen.
Ulli Lommel fühlte sich als Hollywoodregisseur, blieb dort jedoch ein Außenseiter. Den Sprung ins Studiosystem hatte Lommel, abgesehen von den Auftragsarbeiten für LionsGate, niemals geschafft. Vielleicht wollte er es im Innersten auch nicht, vielleicht hätte er niemals seine Freiheit aufgeben wollen. Hollywood war und ist, wie letztendlich ganz Amerika, ein „Melting Pot“ verschiedenster Nationalitäten. Die Liste aus Deutschland immigrierter Regisseure ist lang und mit prominenten Namen besetzt.
Einen wie Ulli Lommel, einen Wanderer zwischen den Kulturen, einen Wanderer zwischen den Inszenierungsprinzipien, einen Wanderer zwischen Kunst und Kommerz, gab es jedoch nur einmal. Er fühlte sich überall Zuhause, und musste doch daher überall ein Fremder bleiben.
„Ich habe in meinem Leben 22 Millionen Dollar durchgebracht – es gab Phasen, da konnte ich aus dem Vollen schöpfen, und Phasen, da wusste ich kaum meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch wie schon damals, als ich mein Auto verkaufte, um Fassbinder den ersten Film zu ermöglichen, galt mein ganzes Leben lang, dass alles, was da war, in Film investiert wurde. Und irgendwie ging es immer weiter, es gab niemals Stillstand“
Die notwendige Herzoperation hätte ein Anhalten bedeutet, passte somit nicht ins Lebenskonzept und wurde ignoriert.
Squitteri, Metzger, Alessandroni, Capitani, Milian, Ballhaus, Avildsen, Zeno, Romero, Hooper, Lenzi, Lovelock, Berling, Bacalov, Manson, Lommel – es war kein gutes Jahr.
Eine Generation tritt ab und überlässt ihren Nachfolgern das Feld.
Doch die Lücken werden sich nicht schließen lassen.

___________________________________________________________

Marian Dora, 10. Dezember 2017

Alle Zitate aus „Marian Dora: Interview Ulli Lommel, 2014