TV Nasty.

Früher gab‘s in England die böse Deklaration „Video Nasties“, heute wird sowas von der BBC produziert. Der (wie es aussieht) Abschlussfilm zur sehr guten Detektivserie rund um John Luther funktioniert etwas anders als die Serie. Weniger psychologisierend, dafür hart und brutal. Tatsächlich bräuchte es nur ein paar grafische Einstellungen mehr voller physischer Gewalt, und wir würden uns in einem spekulativen Slasherfilm befinden. Ganz soweit sind wir dann aber doch nicht.

Der Londoner Detective Chief Officer John Luther (Idris Elba) hat gerade erst begonnen, einen noch unidentifizierten Serienmörder aufzuspüren, als er wegen seiner vielen juristisch unsauberen Vorgehensweisen ins Gefängnis gesperrt wird – und zwar gleich auf die harte Tour. Im Knast bei den harten Jungs, die den Meistercop allesamt hassen. Wie das so schnell so weit kommen konnte, liegt am außergewöhnlichen psychopathischen Killer David Robey (Andy Serkis), dessen erste kriminelle Tat jeweils darin besteht, im Internet nach Lastern und Vergehen seiner zukünftigen Opfer zu suchen, um dieselben dann zu erpressen. Luther schickt er so ins Gefängnis. Seine anderen Opfer zwingt er so, wiederum andere Menschen zu quälen oder umzubringen. Um diese Situationen geht‘s, denn in diesen Situationen veranstaltet Robey eine Live-Tötungsshow in einem Red Room in den Untiefen des Darknets. Die kranken Zuschauer zuhause dürfen dabei über die Tötungsart abstimmen. Den ganzen Tötungsraum hat Robey nach Norwegen verlagert, wo hoch im verschneiten Norden bereits eine überaus ansehnliche Menge Leichen unter dem Wasser in gefrorenen Seen herumtauchen und man bisweilen den Eindruck erhält, Robey veranstalte einen kleinen Völkermord.

Die neue Polizeichefin Odette Raine (Cynthia Erivo) begrüsst es, dass sich Luther hinter Gittern befindet, doch – wie zu erwarten – kommt sie allein nicht weiter in diesem Fall. Luthers Vertrauter Martin Schenk (ja, Martin und Luther!) (Dermot Crowley) kann ein paar Erkenntnisse Luthers auf der Polizeistation in richtige Bahnen leiten. Denn Luther kann aus der Zelle heraus Rückschlüsse auf den Serienmörder ziehen, weil der mittels einer gehackten UKW-Frequenz mit Luther ein Spiel zu spielen beginnt.

Irgendwann geht‘s dann schnell: Gefängnisrevolte, Ausbruch, ein paar Adressen und Hinweise mit gewaltsamen Aktionen und schon ist Luther auf dem Weg ins weiße, kalte Norwegen zum psychopathischen Investmentbanker Robey und seiner Tötungsarena. Klar, wie das ausgeht, denn der Bösewicht ist schon sehr früh im Film als solcher erkennbar und hat nicht mehr zu bieten als das Klischee vieler gutsituierter Film- und Serien-Serialkillers: Er sucht den Kick im Tod anderer und liebt es, mit Menschenschicksalen zu spielen. In der Tiefe seines Unterbewussten steht übrigens auch ein menschliches Schicksal, seine entstellte Ex-Frau.

Neu ist lediglich, dass Robey den Hang von Serialkiller-Filmen, Serienmorde als Kunst-Skulpturen zu inszenieren, erweitert – indem er seine Morde als Live-Kunst-Performances transformiert. Natürlich hatte bereits der Ur-Serienmörderfilm der Achtziger, HENRY – PORTRAIT OF A SERIAL KILLER, die Komponente, dass die Morde gefilmt und später von Henry und seinem Freund visioniert wurden, doch damals ging es um ein persönliches Ritual, nicht um eine künstlerische Show. Der Hang zu immer ausgefalleneren Mordinszenierungen entwickelte sich filmhistorisch erst im Nachgang zu HENRY so richtig ausgeprägt heraus. Die Serie TWIN PEAKS war vermutlich eine der ersten, die ihr ermordetes Opfer zu einem Kunstwerk machte (die „schönste Leiche“ Laura Palmer in TWIN PEAKS war allerdings noch eher ein Gemälde, John Everett Maillais’ „Ophelia“ nachempfunden – allerdings auch mit einer Geheimbotschaft: Buchstaben unter den Fingernägeln). Die hochgradig inszenierten Leichen nach TWIN PEAKS wurden deshalb Kunstwerke, weil sie – wie moderne Kunst – nicht einfach verständlich sind, sondern eine Interpretation verlangen, die nur möglich ist, wenn sich gewisse Kontexte erschließen lassen. Dazu leisten die mörderischen Kunst-Performances von Robey im zweiten Teil der Story, im Red Room, aber relativ wenig, sind sie doch nur Wiederholungen sadistischer Folterrituale, wie man sie schärfer, origineller und expliziter von den alten Splatter-Klassikern wie ILSA – SHE WOLF OF THE SS oder BLOOD SUCKING FREAKS kennt. Auch insofern ist LUTHER – THE FALLEN SUN ein enttäuschender Film.

Übrigens: Vom Performance-Aspekt her interessanter wären da die (ungezeigten) Kunstmorde im ersten Teil des Films gewesen, die eine erpresste Person an einer anderen begeht, weil hier an Beziehungsperformances à la Ulay / Marina Abramovich angeknüpft werden könnte. Leider bleibt es aber beim „könnte“.

Luther: The Fallen Sun
United Kingdom 2023
Regie: Jamie Payne
Drehbuch: Neil Cross
Kamera: Larry Smith
Musik: Lorne Balfe
Darsteller: Idris Elba, Andy Serkis, Cynthia Erivo, Dermot Crowley, Thomas Coombes u.a.
Laufzeit: 129 min.

Anbieter:

Netflix