Dass die Weltgeschichte auch anders verlaufen könnte als sie verlaufen ist, wurde selten so interessant und aufwühlend gedacht wie von Philip K. Dick in dessen Dystopie THE MAN IN THE HIGH CASTLE (1962). Der Zweite Weltkrieg hätte auch anders ausgehen können: Die Achsenmächte könnten den Krieg gewonnen haben. Die USA sind aufgeteilt in einen großen östlichen Teil bis zu den Rocky Mountains unter nationalsozialistischer Flagge (Greater Nazi Reich), die Westküste ist japanisch (Japanese Pacific States). In den Rockies selbst liegt eine Art neutrale Zone.
Dicks Roman ist relativ kurz. Umso interessanter das Unterfangen, das Buch als Serie zu verfilmen. Doch die Grundprämisse von Dicks DAS ORAKEL VOM BERGE (dt. Titel) lässt das durchaus zu und dürfte jeden Leser von Anfang an zum Weiterspinnen der Geteilten Staaten von Amerika inspirieren. Nicht zuletzt versuchte sich Dick selbst 1974 an einer Fortsetzung, die jedoch unvollendet blieb.
Die erste Staffel hält sich eng(er als erwartet) an die Buchvorlage und versucht nicht, mit „Sensationen“ aufzuwarten, d.h. mit übertrieben schrägen, skurrilen Details, mit der das amerikanische Leben vernazifiziert bzw. verjapanisiert wird. Kein Volkssender-, Autobahn- oder SS-Klamauk. Im Gegenteil: In der deutschen Zone herrscht eine beunruhigende Normalität. Außer, dass der amerikanische SS-Obergruppenführer John Smith (Rufus Sewell) eine Nazi-Uniform trägt, unterscheiden sich seine Familie und sein Familienleben in nichts von der US-Idealfamilie der 50er und frühen 60er Jahre. Noch entspannter scheint das Leben in der japanischen Zone. Man hat sich daran gewöhnt, in einer Bar einen guten Sake zu trinken oder Aikido als Sport zu treiben – im Gegensatz dazu leuchtet die Leidenschaft reicher Japaner ein, leidenschaftlich Memorabilien amerikanischer Kultur zu sammeln.
Doch nicht alles ist eitel Sonnenschein auf dem nordamerikanischen Kontinent. Machtpolitische Gerangel zwischen den Deutschen und den Japanern, reichsinterne Neuaufstellungen und nicht zuletzt eine Resistance zur Befreiung des Landes trüben die Post-War-Idylle. Und mitten drin existieren diese seltsamen verbotenen Filme, die eine subversive Sprengkraft zu haben scheinen. Auf diesen offenbar sporadisch auftauchenden Filmspulen sieht man die verkehrte Geschichte: Szenen, in denen die Japaner kapitulieren und die USA den Krieg gegen die Achsenmächte gewinnen (in Dicks Buch handelt es sich um einen Roman, „The Grashopper lies heavy“).
Was so gefährlich an den Filmen sein soll, erfahren wir nicht konkret (der alternde Führer in Berlin jedoch ist erpicht auf deren Besitz) – möglicherweise ist es das reine Gedankenspiel, die Welt könne anders sein, was die Filme so subversiv macht. Die Vorstellung einer anderen gesellschaftlichen Utopie ist für den Faschismus untragbar. Gleichzeitig werden wir in die großen Machtkämpfe verstrickt. Der Kampf um die Nachfolge des Führers Hitler ist bereits in vollem Gang und ebenso wollen Teile der Nazi-Führung das japanische Kaiserreich ausschalten.
All diese Intrigen entdecken wir durch die eigentlichen Hauptpersonen des Films, die unverhofft in die Widerstandsbewegung gelangen. In San Francisco schliesst sich Juliana Crain (Alexa Davalos) dem Untergrund an, nachdem ihre Halbschwester Trudy von der japanischen Militärpolizei Kenpetai ermordet wurde. Zuvor erhielt Juliana von Trudy einige Filmrollen von „The Grashopper lies heavy“ und soll sie nun nach Cannon City (Colorado) in die neutrale Zone schmuggeln, um sie einer Kontaktperson des ominösen ‚Man in the High Castle‘ zu übergeben.
Im beinahe an eine Geisterstadt erinnernden Cannon City begegnet sie einigen seltsam verstockten Menschen, aber auch Joe Blake (Luke Kleintank), zu dem sie Vertrauen fasst. Joe kommt von der anderen Seite des Kontinents, hat in New York mit SS-Obergruppenführer John Smith einen Anschlag überlebt und arbeitet als Doppelagent für die Nazis. Natürlich möchte er Juliana näher kommen. In der Zwischenzeit plant Julianas Freund Frank Frink (Rupert Evans), der seine jüdischen Wurzeln verheimlicht, in San Francisco ein Attentat auf den japanischen Kronprinzen und dessen Frau.
Die politische Situation spitzt sich zu zwischen Japanern und Nazis, wie auch im Innern der Reiche. Reinhard Heydrich besucht Smith, um ihn zu einem Komplott gegen den an Parkinson leidenden Adolf Hitler zu überreden, Handelsminister Nobusuke Tagomi trifft sich insgeheim mit hochrangigen Nazis, um eine Eskalation des kalten Kriegs der beiden Achsenmächte in einen heißen zu verhindern.
THE MAN IN THE HIGH CASTLE ist alles andere als dramaturgisch auf sensationsheischende Action getrimmt. Die Bilder sind dunkel, oft mit Gegenlicht und in triste graue oder braune Farbwelten getunkt. Die Protagonisten agieren nicht geschwätzig – das Leben im Faschismus, der von Angst lebt, hat seine Spuren hinterlassen. Genauso gedämpft präsentiert sich das kulturelle Umfeld der USA: Wo wir in unserer Realität aus den Fünfzigern und frühen Sechzigern die lebensbejahende Popmusik von den Everly Brothers über Elvis bis zu den Ronettes oder den Supremes im Ohr haben, hören wir hier im Hintergrund oft ebenjene Musik – nur in einer sanft ins Düstere gewendeten Version. Die Songs aus der Zeit wurden von Sam Cohen und Danger Mouse mit Stars wie Sharon Van Etten, Beck, Angel Olsen, Norah Joanes oder Karen O neu aufgenommen (erhältlich unter dem Titel RESISTANCE RADIO).
Es scheint kein Zufall zu sein, dass die von Frank Spotnitz (Produzent von X-FILES) und Ridley Scott produzierte Serie gerade in den letzten Jahren realisiert wurde. Denn nicht zuletzt zeugt sie von der großen Entfremdung und den Gräben, die durch die US-Gesellschaft gehen. Sichtbar war das schon vor Trump, als die Serie geplant und gefilmt wurde.
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The Man in the High Castle, 1. Staffel |USA 2015 |Created by: Frank Spotnitz | Regie: Michael Slovis, Brad Anderson, Karyn Kusama u.a. | Darsteller: Alexa Davalos, Rupert Evans, Luke Kleintank, DJ Qualls, Rufus Sewell, Cary-Hiroyuki Tagawa | 10×60 min.
Streaming Dienst: Amazon Prime