Wenn ein Mörder stirbt, ist keine Zeit für Tränen.

Filme brennen sich ein. Sie lassen uns mitzittern, legen Gefühle frei, begeistern uns, machen nachdenklich. Sie können den Zuschauer aber auch geradezu ‚überfahren‘ – Mario Imperolis fast vergessene, in Deutschland einst nicht gezeigte Filmperle COME CANI ARRABBIATI – WIE TOLLWÜTIGE HUNDE ist so ein Film. Selbst den vorbereiteten, genreerprobten Italoaficionado macht dieser Film staunen – und ziemlich platt!

come.cani.arrabiati.1976.cover Im Zentrum der Handlung stehen mit Rico, Tony und deren Freundin Silvia drei Teenager der situiert-satten römischen Oberschicht. Nicht nur des allzu risikolosen, behüteten Lebens überdrüssig, sondern durch die Elterngeneration massiv psychisch verblendet, setzen sie in Ihrer Freizeit zum verbrecherischen Rundumschlag an: Banküberfälle, Vergewaltigungen und Leichen pflastern Ihren Pfad. Das Aufbegehren gegen die Gesellschaft entlädt sich in grundlosem Sadismus, in feistem Morden, in zielloser Hast nach Adrenalin und Machtgefühl. Kommissar Muzi, selbst kein Kind von Traurigkeit und missgestimmt über das unfähige Rechtssystem, setzt sich auf die Spur dieses Trio Infernale – mit allen Mitteln, die ihm das Gesetz gibt; und wo das Gesetz an seine Grenzen stößt, geht Muzi furchtlos darüber hinaus. Die Jagd auf die tollwütigen Hunde hat begonnen.

Ein Film, der weder mit kultisch verehrten Schauspielern noch mit Drehstabmitgliedern vom Bekanntheitsgrad eines Mario Bava aufwarten kann, muss auf andere Weise viel in Petto haben – und dahingehend bleibt COME CANI ARRABBIATI – WIE TOLLWÜTIGE HUNDE nichts schuldig. Es ist der exploitative Kommentar zur Zeit des aufkeimenden Terrorismus in Italien, der die Zivilgesellschaft überrollenden Gewalt, der ‚meuternden‘ Jugend, die gegen die Väter aufbegehrt. Das Trio Infernale wird dabei jedoch nicht als Ausstellungsobjekt vorgeführt, sondern Regisseur Imperoli leistet sich vereinzelt sogar sympathisch ausgearbeitete Szenen für diese blutige Ménage-à-trois. Dagegen wirken die meisten Sequenzen des Films umso abgründiger, sind sie doch von Boshaftigkeit und schier ungezähmtem Machtausleben durchsetzt. Vergleiche mit Stanley Kubricks A CLOCKWORK ORANGE (1971) lassen sich ziehen, jedoch gleitet COME CANI ARRABBIATI – WIE TOLLWÜTIGE HUNDE nie ins Aberwitzige ab und bleibt so stets erdig. Und doch schaltet der Film, immer wenn sich der Zuschauer sicher fühlen könnte, noch mal einen Gang runter – um anschließend das Gaspedal bis zum Boden durchzutreten.

Die Schauspieler sind – so zeigt sich im kenntnisreichen und unterhaltsamen Audiokommentar – selbst für Kenner wenig bekannte Gesichter. Aber von diesem ‚Makel‘ abgesehen, spielen Sie hier die Rollen ihres Lebens und zünden stets im richtigen Augenblick den Nachbrenner. Die wunderbare Fotografie von Romano Albani, der sich neben den typischen Italo-Ingredienzien auch sonst reichlich Gedanken zur filmischen Ausfertigung gemacht hat, setzt die Ereignisse sehr gelungen um.

come.cani.arrabiati.1976.still2 Das Ende des Films setzt den Zuschauer dann endgültig unter Strom, denn es ist weder überhastet noch unlogisch – und doch so völlig überraschend, dass es selbst dem ermittelnden Kommissar die Füße wegreißt. „Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder“; mit diesem Vergniaud-Satz lässt sich der Schlusstwist wohl am besten umschreiben. Die den Film abschließende Schrifttafel „Wenn ein Mörder stirbt, ist keine Zeit für Tränen“ erweist sich als folgerichtig und äußerst passend.

Die Musik von Mario Molino wirkt im ersten Moment fast schon konterkarierend. Zu Beginn des Films erklingt ein poppiger Vokalsong, den auch die de Angelis-Brüder für einen schenkelklopfenden Spencer-Hill-Streifen hätten komponieren können, zu den verbrecherischen Untaten erklingen stampfende Softsex-Beats mit Loungecharakter oder im Folkrock wildernde Funkjazznummern. Doch – und das ist das eigentlich Erstaunliche – es funktioniert. Die Musik lässt manche Szenen für den Zuschauer fast erst erträglich werden, macht die Grausamkeit auf der Leinwand durch die Tonspur goutierbar. Leider ist eine Soundtrackveröffentlichung dieser Musik bisher weder erfolgt noch in Sicht – aber man weiß ja nie.

Dank des rührigen Camera Obscura-Labels ist dieses kleine, dreckige Meisterwerk vor kurzem in formidabler Qualität auf DVD und Blu-ray erschienen. Der Transfer im originalen Breitbild zeigt sich in blitzblanker Verfassung und macht richtig Spaß, der lediglich vorliegende italienische Originalton wird ergänzt durch optionale deutsche und englische Untertitel. Bonus gibt es reichlich: neben Interviews/Featurettes mit Kameramann Romano Albani, Regieassistent Claudio Bernabei und Filmhistoriker Fabio Melelli setzt es den bereits erwähnten Audiokommentar des Gespanns Christian Keßler & Dr. Marcus Stiglegger; ein Booklet von ‚The Mighty‘ Kai Naumann, der den Streifen ansprechend und gekonnt decodiert, sowie Trailer und Bildergalerie runden das Paket ab.

Man lasse also die tollwütigen Hunde aus dem Zwinger, lehne sich zurück und berausche sich an Mario Imperolis Opus Magnum – der Maulkorb kann für diese schwer unterhaltsamen 1½ Stunden durchaus im Schrank bleiben!

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Come Cani Arrabbiati, Italien 1976, Regie: Mario Imperoli, Mit: Jean Pierre Sabagh, Paola Senatore, Annarita Grapputo, Cesare Barro, Luis La Torre, Gloria Piedimonte u.a.

Anbieter: Camera Obscura