Ein perkussionsgetriebener Rockbeat tönt, die Szenerie dampft bereits auf den ersten Filmmetern. Zwei Männer mustern ein junges Mädchen, Typ ‚Uschi Obermaier‘. Sie bringen sie nach Hause, es ist früher Sommermorgen, München ist wie leergefegt. Nur die beiden Männer sind unterwegs – und es wird nicht das letzte Mädchen sein, das sie nach Hause bringen. Doch was zwischen Tag und Morgen passiert, dass erzählt uns MÄDCHEN MIT GEWALT – ein flirrender, glühender, faszinierender Film!
Es ist diese ganz eigentümliche Atmosphäre, von einem München um ’68-’69; sonnendurchflutet und im Umbruch. Eben noch Millionendorf, doch jetzt steht Olympia vor der Tür. Und in Schwabing kocht eine Gruppe von Filmemachern etwas zusammen, dass einzigartig ist: das Hemdsärmelige neben dem Nadelstreifen, Kunst neben Kommerz, Genre neben Arthouse. Studientreiber wie Fassbinder, Wenders und die anderen vom Filmverlag der Autoren filmen direkt neben jungen Wilden des Publikumskinos: Gosov, Spils, Thomé. Und irgendwo dazwischen Roger Fritz, der für Artur Brauner Plotten wie EROTIK AUF DER SCHULBANK – ZWEITER FALL: SYBILLE (1968) dreht, um dann MÄDCHEN, MÄDCHEN (1967) aus dem Hut zu zaubern. MÄDCHEN MIT GEWALT ist sein wohl bester, schnörkellosester und vor allem konsequentester Film – nie um eine Antwort verlegen, immer direkt dran am Kern der Sache. Was Roland Klick mit DEADLOCK (1970) in der Negev-Wüste auf die Beine stellte, gelingt auch Fritz in einer simplen Kiesgrube: menschliche Charakterdarstellung mit minimalem Cast auf engstem Raum, alles in eine publikumswirksame Form gebracht. Ein formidabler Großstadtwestern á la Fritz!
… und die Darsteller. Arthur Brauss, der lange schlaksige Tormann noch vor seinem Wenders-Elfmeter; in Bestform – ein eisgekühlter Vulkan. Helga Anders zeigt die ganze Palette ihrer Fähigkeiten; alles das, was Opas Kino ihr nicht abverlangte. Ein ungeschliffener Diamant ist sie hier und spielt um ihr Leben. Ihr Leidensweg hat das Ally McGraw-Syndrom: je ärger die Pein, desto schöner der Schein – am Ende schaut sie so wundervoll traurig drein. Dazwischen Klaus Löwitsch, ein Bär von einem Kerl. Immer auf der Kippe – ein Wort zu viel und der Mann haut dir eine rein. Was später zur Masche wurde ist hier noch urtriebische Energie, der brodelnde Vulkan. Daneben Sidekicks aus der Szene: Henry van Lyck, Werner Enkes ‚Passmann‘ aus ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN (1967) – Monika Zinnenberg, jenes mit unsichtbarem Vampirgebiss versehenes feenhaftes Wesen, in dessen Arme sich schon Dieter Geissler für 48 STUNDEN BIS ACAPULCO (1967) zum Sterben legte – Rolf Zacher, dessen Streben nach Authentizität ihn schon immer überkandidelt und doch lebensnah machte und der hier mit einer diebischen Freude Löwitsch vom Kart kegelt. Man könnte so viel sagen!
Dass es das krächzige ‚Soul Desert‘ zur leitmotivischen Hymne brachte – so etwas ging nur damals und nur dort. Die ihrer Zeit immer etwas im Voraus arbeitende Gruppe CAN zeigt hier auf, was ein Studium bei Stockhausen kombiniert mit dem bayerischen Som-mer von ’69 bewirken kann. Nachzuhören auch auf dem CAN-Album ‚Soundtracks‘, als Ergänzung unbedingt noch die sehr empfehlenswerte Box ‚CAN – The Lost Tapes‘ eintüten!
Wer diesen Film nicht kennt, hat ganz gewiss ein ganzes Stück wichtigen deutschen Kinos versäumt – Psychothriller der abgebrühtesten Spielart. Wie schon Hans Hirschmüller in Fassbinders HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN (1972) rief: „Kauft, Leute, kauft!“ – Elaborate wie die EDV sind die letzte Chance des deutschen Genrefilms früherer Tage!
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Mädchen mit Gewalt, D 1969, R: Roger Fritz, D: Helga Anders, Klaus Löwitsch, Arthur Brauss, Rolf Zacher, Henry van Lyck, Monika Zinnenberg
Anbieter: Subkultur Entertainment