Von Rudi Specht
In den 1990er Jahren machte sich der mexikanische Regisseur und Filmproduzent Luis Mandoki vor allem mit der Inszenierung melodramatischer Stoffe einen Namen, die nicht unbedingt als soziologische Studien oder wegen politischer und gesellschaftskritischer Inhalte auffielen. So finden sich in seiner Filmographie regelrechte Schmachtfetzen wie EINE FAST PERFEKTE LIEBE mit Meg Ryan und Andy Garcia, MESSAGE IN A BOTTLE mit Kevin Costner und Robin Wright oder gar ANGEL EYES mit Jennifer Lopez und Jim Caviezel.
Umso bemerkenswerter ist ihm die Inszenierung dieser kleinen filmischen Perle gelungen; gewachsen in den schlammigen Ufern des Rio Usumacinta, der mit seinen trüben wie undurchschaubaren Wassern eine Art natürlicher Grenze zwischen Guatemala und Mexiko bildet. Diesen Fluss gilt es zu überqueren, wenn man Guatemala verlassen möchte, um entweder dem Elend in Richtung Mexiko für immer zu entfliehen oder zumindest dort ein wenig Geld zu verdienen. So träumt auch die aus Honduras stammende, minderjährige Sabina Rivas von einer Flucht aus dem Teufelskreis der Gewalt und der Armut. Um Sängerin in den USA werden zu können, muss sie aber zuerst Mexiko passieren. Und so entpuppt sich der ständige Versuch, die mexikanische Grenze zu überqueren, den Fluss hinter sich zu lassen, als eine einzige Tour de Force. In Guatemala von der Leiterin des Bordells, in dem Sabina singt, aber auch sexuelle Dienstleistungen anbietet, mit gefälschten Papieren ausgestattet, wird sie bei der versuchten Ausreise von einem Grenzbeamten vergewaltigt und misshandelt, gerät an einen korrupten Grenzpolizisten, der ein Doppelleben als Zuhälter führt und sie zur Prostitution auf mexikanischer Seite zwingt und verliert ihren Freund Jovani, der als Mitglied einer Bande der gewalttätigen Mara Salvatrucha bei einem brutalen Übergriff auf wehrlose Flüchtlinge durch eine Messerattacke sein Leben lässt. Zuletzt endet Sabina wieder an dem Ort, dem sie zu entfliehen suchte und die Türen des heruntergekommenen Lusthauses schließen sich hinter hier, ähnlich der Tür eines Vogelkäfigs, in den der singende Kanarienvogel doch zurückkehren muss, wenn ihn der Hunger dazu treibt.
LEID UND LEBEN DER SABINA RIVAS ist ungemein eindrückliches Kino, niemals überzogen, immer bodenständig, authentisch und ehrlich. Fernab von jeglichen Hollywoodklischees werden hier das Elend und die Gewalt, die Armut und die Hoffnung, der Verlust und die Angst, aber auch die Liebe, unaufdringlich in Szene gesetzt, die flirrenden Bilder von fiebrigen, südamerikanischen Akustikgitarrenklängen effizient untermalt. Die Schauspieler sind allesamt brillant, allen voran die Darstellerin der minderjährigen Sabina Rivas, unglaublich zerbrechlich und authentisch verkörpert von Greisy Mena, die zuvor nur in einem einzigen Spielfilm und einigen Kurzfilmen ihr schauspielerisches Talent zeigen konnte. Aus dem Ensemble sticht auch Joaquín Cosio heraus, der hier den Grenzpolizisten und Zuhälter Burrona spielt und dem einen oder anderen aus dem Bond-Film EIN QUANTUM TROST aus dem Jahre 2008 in Erinnerung geblieben sein dürfte. Aktuell feiert er Erfolge mit der Verkörperung der Figur des Angel Guzman Hurtado in der US-Serie THE STRAIN.
Ein Film, der zu fesseln versteht, den Zuschauer in seinen Bann zieht und ihn auch über die gesamte Laufzeit von 111 Minuten keine einzige Sekunde loslässt. Was am Ende bleibt, sind das symbolhafte Bild des Flusses, der als schlammiges Band die Verheißung vom Elend trennt, und die düstere Erkenntnis, dass nach Regen noch lange nicht wieder eitel Sonnenschein herrscht. Der englische Titel könnte es nicht besser beschreiben: A LIFE WITHOUT HOPE.
___________________________________________________________
La vida precoz y breve de Sabina Rivas, Mexiko 2012, R: Luis Mandoki, D: Greisy Mena, Fernando Moreno, Joaquín Cosio, Angelina Peláez, Beto Benites
Anbieter: Mad Dimension