Von Rudi Specht
Bei DIE GEHEIMNISVOLLE INSEL handelt es sich um eine TV-Verfilmung aus dem Jahre 2005, die sich nur sehr lose bis überhaupt nicht an der bekannten literarischen Vorlage Jules Vernes aus dem Jahre 1874/75 orientiert, die als Fortsetzung der Romane „20.000 Meilen unter dem Meer“ und „Die Kinder des Kapitän Grant“ gesehen werden kann. Am ehesten findet diese in Thailand gedrehte Produktion Anlehnung an den 1961 realisierten Film gleichen Namens, der unter der Regie von Cy Endfield entstanden ist und in der ebenfalls, anders als im Roman, ins Monströse gewachsene Tiere den Protagonisten das Leben schwer und die Lust aufs Sonnenbaden an einsamen Südseestränden mies machen. Niemand anderes als Ray Harryhausen, Legende der Stop-Motion-Tricktechnik und Schüler Willis O’Briens, zeichnete für dieses Werk für die Spezialeffekte verantwortlich.
Nordstaaten-Offizier Cyrus Smith, dargestellt von Kyle MacLachlan (DER WÜSTENPLANET, 1984, BLUE VELVET, 1986, TWIN PEAKS, 1990/91), flüchtet zum Ende des amerikanischen Bürgerkriegs per Nachrichtenballon aus einem Gefangenenlager der Südstaatler, begleitet von Jane (Gabrielle Anwar) und ihrer Tochter Helen sowie drei weiteren Gefangenen. Nicht in der Lage, den Ballon zu steuern, werden sie über den Pazifik getrieben, um dort auf der titelgebenden geheimnisvollen Insel zu landen, die von allerlei Getier bevölkert wird, das in seiner Körpergröße weit über das uns bekannte Maß hinausgeht. So bekommen die Gestrandeten es hier mit überdimensionierten Gottesanbeterinnen, Ratten, Skorpionen, Schlangen, Krähen, Ameisen, Moskitos, Kraken und Spinnen zu tun. Des Weiteren finden sie ein Medaillon, das die eine Hälfte einer Schatzkarte darstellt, auf die eine Schar von Seeräubern unter der Führung von Piratenkapitän Bob, dargestellt vom britischen Ex-Fußballprofi Vinnie Jones, scharf ist und die zusätzlich zu den tierischen Störfaktoren für Unruhe sorgt. Die Piraten werden mit Hilfe Kapitän Nemos, der etwas lustlos von Patrick Stewart verkörpert wird, in die Flucht geschlagen, der mit seinem Butler Joseph (Roy Marsden) auf der Insel residiert, um hier an dem Vorläufer einer Atombombe zu werkeln, durch deren Einsatz und abschreckende Wirkung er sich ewigen Frieden auf Erden verspricht. Der Schatz wird gefunden, was einer der Gestrandeten mit dem Leben bezahlt, da ihn eine riesenwüchsige Spinne als Abendmahlzeit auserkoren hat, muss aber auf der Insel zurückgelassen werden, da diese durch einen Vulkanausbruch zerstört wird. Nemo verlässt die Insel nicht und stirbt in seiner Nautilus, die in einer Grotte mit Meereszugang vor Anker liegt. Der Gruppe der Gestrandeten gelingt in einem Beiboot, das die Piraten zurückgelassen haben, die Flucht.
Der australische Regisseur Russell Mulcahy, dessen größter Erfolg sicherlich der Kultstreifen HIGHLANDER (1986) ist, lässt sich hier für diese dramaturgisch doch recht simple Geschichte knappe drei Stunden Zeit, die der Film eigentlich nicht braucht. Als Zweiteiler fürs Fernsehen produziert und entsprechend familiengerecht gedacht, werden die Protagonisten weder eingeführt noch weiter entwickelt. Der Einfluss der Produzenten und ein offenbar sehr geringes Budget führten leider dazu, das von Mulcahys ansonsten sehr deutlicher Handschrift hier nichts mehr zu sehen bleibt. Während die Landschaft Thailands durchaus optisch zu überwältigen weiß und vor allem die Szenen am Strand zu einem Augenschmaus geraten , der eher einem Kinofilm als einer Fernsehproduktion entspricht, sind die allesamt digital animierten Inselmonster doch mehr als misslungen. Und die Animationen, die ebenfalls ausnahmslos in thailändischen Effektstudios entstanden sind, werden sogar im Laufe des Films noch schlechter. Während die Protagonisten aus Fleisch und Blut zu Anfang noch halbwegs den Versuch der Interaktion mit dem gigantischen Getier unternehmen, findet dies später nicht mehr statt. Die Schauspieler sind dermaßen schlecht aus dem farbigen Hintergrund der, in diesem Fall, Bluebox ausgestanzt, dass sie in Szenen mit Spezialeffekten eine ständige Aura blauen Lichts umgibt, die den Anschein erweckt, dass sich gleich der verstorbene Jedimeister Yoda zu ihnen gesellen könnte. Geradezu scherenschnittartig wird beispielsweise die junge Helen in die Klauen einer Riesenkrähe, die sie in ihr Nest entführt, eingeklebt.
Und doch ist es gerade diese Unbeholfenheit in der Animation, dieses Unperfekte in der Tricktechnik, was Gefühle der Nostalgie und der Vertrautheit erweckt. Regisseur Russell Mulcahy nennt als Inspiration zu DIE GEHEIMNISVOLLE INSEL den bereits erwähnten gleichnamigen Film von 1961 sowie JASON UND DIE ARGONAUTEN (1963, Regie: Don Chaffey), der ebenfalls mit Stopptrickanimationen des Großmeisters Ray Harryhausen aufwarten kann. Und genau an diese Filme fühlt man sich erinnert, sowohl in der dramaturgischen Ausarbeitung der Geschichte, der flachen Zeichnung der Charaktere und eben begrenzten Möglichkeiten der zur Verfügung stehenden Tricktechnik. Und auch, wenn sich zwischenzeitlich der Eindruck aufdrängt, man wolle mit diesem Film alle Anstrengungen unternehmen, um der Geschichte Jules Vernes den Garaus zu machen, erreicht der Film dann doch nach einer gewissen Zeit das genaue Gegenteil. Man bekommt Lust, das Buch in die Hand zu nehmen, um in Vernes Fantasiewelt hinabzutauchen, man bekommt Lust, sich einen alten Film mit Ray- Harryhausen-Effekten anzusehen, so wie man ihn damals, frisch gebadet im bunten Frotteebademantel Samstag nachmittags auf dem Sofa sitzend, gesehen hat. Mit kindlicher Unschuld, unverdorbenem Blick und einem unverhohlenen Spaß an der doch so unglaublichen, fantastischen Welt, die sich darbot. Das Zurückbringen dieses Gefühls kann man Mulcahy nicht hoch genug anrechnen.
Zur Blu-ray sei noch gesagt, dass die Synchronisation, die sich alt gedienter und bekannter Sprecher bedient, hervorragend ist, wenn auch der arg elektronische Synthi-Score in der Originalfassung doch das eine oder andere Mal ziemlich nervt. Als Extras gibt es Interviews mit dem Regisseur und den Schauspielern, u.a. auch Patrick Stewart und Kyle MacLachlan, und eine kleine Dokumentation über das Set-Design vor Ort, die aber nicht besonders aufschlussreich ist und sich oftmals wiederholt. Einen Originaltrailer gibt es auch noch, der sehr actionreich geschnitten ist und den tatsächlichen Film in keinster Weise wiedergibt.
Am Ende ist eines Gewissheit: Ob tief unter dem Meer oder am Mittelpunkt der Erde – Jules Verne lebt.
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Die geheimnisvolle Insel, USA/Thailand/Deutschland 2005, R: Russel Mulcahy, D: Kyle MacLachlan, Danielle Calvert, Nadia Gabrielle Anwar, Patrick Stewart, Jason Durr
Anbieter: Koch Media