Manche britische Filme schienen ein besonderes Talent zu haben: von den eigenen Produzenten gehasst und halbherzig vermarktet, vom Publikum im Nachruhm umso inniger geliebt und verehrt. Robin Hardys THE WICKER MAN (1973) ereilte dieses Schicksal, Brian Clemens CAPTAIN KRONOS (1974) traf es ebenso. Obwohl von ihm für Hammer Films produziert, konnte deren Chef Michael Carreras mit Clemens‘ wilder Genremischung nicht viel anfangen und verlieh den Film eher notgedrungen an die Kinos. Ein folgenschwerer Irrtum – und doch fast schon Auszeichnung für einen Streifen, der am Puls der Zeit und zugleich dieser schlicht schon um Jahre voraus war.
Während des frühen 19. Jahrhunderts geht in einer Grafschaft des englischen Hinterlandes das Grauen um. Mehrere junge Mädchen werden – schlagartig um Jahrzehnte gealtert – auf unerklärliche Weise tot aufgefunden. Landarzt Dr. Marcus (John Carson) holt sich Hilfe bei seinem alten Freund Captain Kronos (Horst Janson), ehemaliger Armeeoffizier und zusammen mit dem kauzigen Professor Hieronymus Grost (John Carson) als Vampirjäger unterwegs. Gemeinsam mit der aufgelesenen Zigeunerin Carla (Caroline Munro) kommen sie schnell hinter das grausame Geheimnis: Vampire saugen nicht das Blut, sondern die Jugendlichkeit aus den Körpern junger Frauen. Doch die Zeit drängt, denn immer mehr Leichen werden gefunden –das Auftreten des Killers Kerro (Ian Hendry) und die Schatten einer alten Familientragödie sorgen für zusätzliche Gefahr. Mit Pfahl und Degen, Kreuz und Knoblauch zieht Captain Kronos in einen Kampf auf Leben und Tod!
Wäre es nach Drehbuchautor Brian Clemens gegangen, hätte CAPTAIN KRONOS wohl noch um einiges satirischer ausgesehen. Clemens, damals Stern am britischen Fernsehfirmament und mit seiner Schöpfung MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE (1961 – 1969) zu Weltruhm gekommen, hatte als Second-unit-Regisseur genug Erfahrungen gesammelt um nun sein Kinodebüt zu inszenieren. Dank präziser Planung mit einem überschaubaren Budget zurechtkommend, lieferte Clemens nicht nur eine Geschichte, die in bester Comictradition einen Helden kreierte, der Eigenschaften schweigsamer Westernhelden mit hippiehaftem Auftreten verband, schmeckte die Story mit Italo-set-pieces und Samurai-Anleihen ab und würzte noch mit einem gehörigen Einschlag Gothic-Horror nach – fertig war einer der bizarrsten Filme im Werkverzeichnis der traditionsreichen Hammer Films. Aufgepeppt mit Ian Wilsons vitaler Kameraführung, die schaurig-schöne Bilder und Aufnahmen von gruseliger Finesse lieferte, und einer Unmenge an kunstvoll eingesetzten Inszenierungsideen und Szenenauflösungen, gelang Brian Clemens ein kleines Meisterwerk von immerwährender Schönheit und Faszination.
Horst Janson, spätestens seit DER BASTIAN (1972) als ‚Studentenliebling der Nation‘ abgestempelt, sah hier nicht nur aus wie zeitgleich Roger Moore, sondern spielte mit dem wortkargen und gnadenlosen Vampirjäger die Rolle seines Lebens. Caroline Munro, seit jeher eine Augenweide und eines der schönsten Gesichter des britischen Filmes, konnte ihrem Zigeunermädchen eine doppelbödige Faszination verleihen, während John Carson als buckeliger Freund Kronos‘ ein wunderbares Kabinettstückchen schwarzhumoriger Schauspielkunst ablieferte. Endgültig in den Olymp der Kultfilme abheben konnte CAPTAIN KRONOS dank seines fabelhaften Soundtracks von Clemens‘ langjährigem Weggefährten Laurie Johnson. Komponiert im Stile der britischen Symphoniker, hielten seine horrorerotischen Klänge alles zusammen und arbeiteten den Bildern in bester Weise zu. Dass Johnson mit seinem Kronos-Hauptthema auch noch einen echten Ohrwurm im Horrorgenre der 1970er beisteuerte, schien da fast obligat. Glücklicherweise hat es der Soundtrack in voller Länge ins digitale Zeitalter geschafft und kann auf CD bei BSK Records nachgehört werden.
Anolis präsentiert den Film als mit zwei Covermotiven erschienenes Mediabook in mustergültiger Veröffentlichung, wobei der neue Transfer blitzsauber ist und bei Farben und Körnung Bestwerte einfährt. Eine Standardveröffentlichung gibt es ebenso. Auch der Ton gibt sich für einen Film dieses Alters zünftig und in deutscher Synchronisation – die mit Janson selbst erst Anfang des 21. Jahrhunderts entstand – wie der Originalsprache rauscharm und detailliert. Bei den Extras geizt man nicht, stehen doch vier Audiokommentare zur Verfügung: in englischer Sprache sind Shane Briant, John Carson, Caroline Munro und Brain Clemens zu hören, wobei Brian Clemens im Verbund mit Ian Wilson nochmals in einem separaten Kommentar zu Wort kommen. Beide Sammlungen werden jeweils von Marcus Hearn moderiert. Zusätzlich finden sich in deutscher Sprache Dr. Rolf Giesen und Volker Konz am Mikro ein, Horst Janson und Uwe Sommerlad beschließen den Reigen. Mit Janson existiert außerdem ein langes Videointerview, eine Featurette über das Wiedersehen der Darsteller nach fast dreißig Jahren lässt Fanherzen höher schlagen. Fast schon als Selbstverständlichkeit gelten Kinotrailer aus England und den Vereinigten Staaten, ein animierter Comic, der britische Werberatschlag, US-Presseheft und Filmprogramm sowie umfangreiche Bildergalerien mit Set- und Aushangfotos. Das achtundzwanzigseitige, reich bebilderte Booklet mit Texten von Dr. Rolf Giesen und Uwe Sommerlad ist exklusiv nur im Mediabook enthalten, fehlt somit in der parallel erschienenen, regulär verpackten Kaufhausversion.
Eine von ihm intendierte Filmserie begründete Clemens mit seinem CAPTAIN KRONOS leider nicht; er blieb ein Solitär der Filmgeschichte und ist heute daher umso wertvoller. Ein Spagat zwischen den Genres, eine einmalige Bündelung von kreativer Energie. Besonders in der jetzt vorliegenden Veröffentlichung geeignet, auch Jahrzehnte später dem Vampirjäger auf den langen Eckzahn zu fühlen. CAPTAIN KRONOS ist übrigens Clemens einzige Kinoregie geblieben – und er ist nicht weniger als einer der wunderbarsten Filme, die bei Hammer Films je vom Band gerollt sind. Punktum.
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Captain Kronos – Vampire Hunter, GB 1974, R: Brian Clemens, D: Horst Janson, John Cater, Caroline Munro, John Carson, Shane Briant, Ian Hendry u.a.
Anbieter: Anolis Entertainment