2017 wurde der geneigte King-Fan mit einer miesen Verfilmung namens DER DUNKLE TURM bestraft und wenige Monate später mit Teil 1 der ES-Verfilmung beglückt. Parallel dazu hat Netflix ebenfalls zwei King-Werke angeboten: „1922“ und den hier thematisierten GERALD‘S GAME.
Jessie (Carla Gugino – WATCHMEN, SUCKER PUNCH) und ihr Mann, der erfolgreiche Anwalt Gerald Burlingame (Bruce Greenwood – THIRTEEN DAYS, STAR TREK), fahren übers Wochenende in ihr abgelegenes Sommerhaus. Ihre Ehe ist in letzter Zeit in Routine erstarrt und beide hoffen, mit einer Belebung ihres Sexlebens auch die Beziehung wieder verbessern zu können. Gerald wirft eine Viagra ein und fesselt seine Frau mit echten Handschellen ans Bett. Jessie merkt jedoch sehr schnell, dass Handschellen und Rollenspiele nicht ihr Fall sind. Dies führt zu einem Streit, und bevor Gerald die Handschellen lösen kann, erleidet er einen Herzinfarkt und fällt tot vom Bett. Anfänglich hält Jessie das für einen Scherz oder Teil von Geralds Spiel, doch eine sich ausbreitende Blutlache macht ihr klar, dass sie nun ein Problem hat. Das nächste Haus ist meilenweit entfernt, das Personal hat über das Wochenende frei, das Handy liegt außer Reichweite und die Handschellen sind zu eng, um sie einfach abstreifen zu können.
Bald bekommt sie Besuch von einem durch die offene Haustür hereinstreunenden Hund, der sich hungrig über Geralds Leiche hermacht und irgendwann Appetit auf etwas Frischeres bekommt. Und – Realität oder Traum? –nachts hat sie noch einen weit unheimlicheren Besucher…
Nach seiner mysteriösen Fingerübung ABSENTIA und dem optisch sehr gelungenen Achtungserfolg OCULUS überraschte Regisseur Mike Flanagan 2016 gleich mit drei Werken: HUSH, BEFORE I WAKE und dem Prequel OUIJA: ORIGIN OF EVIL, das in jeder Beziehung besser war als es nach der miesen Vorlage des ersten Teils hätte sein dürfen.
Auch mit GERALD‘S GAME„Gerald’s Game“ erweist sich Flanagan erneut als hochtalentierter Autor/Regisseur, der aus überschaubaren Budgets und begrenzten Schauplätzen ein Maximum herauszuholen weiß.
Kings Roman lebt von vielen inneren Monologen, durch die ein Großteil der Geschichte erzählt wird. Flanagan bedient sich hier eines cleveren Tricks, indem er mit Jessies fortschreitender Entkräftung und Dehydrierung die inneren Stimmen des Buchs als Visionen beider Charaktere erscheinen lässt. Einen gehässigen und herablassenden Gerald und eine starke und ideenreiche Jessie. Gerade diese Szenen und Dialoge sind exzellent geschrieben und gespielt, besonders durch die subtile Unterschiedlichkeit, mit der Gugino beide Jessies darstellt. Überhaupt trägt Gugino den Film auf ihren Schultern und macht sowohl die Verzweiflung angesichts der Situation als auch den erwachenden Überlebenswillen ihrer Figur in jeder Szene glaubhaft. Die filmische Allzweckwaffe Bruce Greenwood ist eine exzellente Wahl als Gegenpart. Nebenbei sieht Greenwood, der seine Rolle fast durchgängig nur in Unterhose absolviert, mit 62 Jahren beneidenswert durchtrainiert aus.
Die Wortwechsel zwischen Jessie und ihren Visionen führen neben diversen Befreiungsversuchen auch zu tieferen psychologischen Verwundungen, die Jessie bereits in der Kindheit erlitten hat. In den entsprechenden Rückblenden überrascht Henry Thomas (E.T.), der für Flanagan schon in OUIJA: ORIGIN OF EVIL auftrat, mit der erstklassigen Darstellung eines ausgesprochen manipulativen Scheißkerls.
Die Kamera von Stamm-DP Michael Fimognari, die ruhig ihre Bahnen durch den Film zieht, ein sehr zurückhaltender und manchmal einfach auch nur stiller Score seiner Dauer-Komponisten The Newton Brothers und der ökonomische Schnitt von Flanagan selbst sorgen dafür, dass durchgängig eine unterschwellig bedrohliche Stimmung spürbar ist.
Das Finale wirkt ein wenig bemüht, tut aber dem sehr positiven Gesamteindruck nur wenig Abbruch. GERALD‘S GAME reiht sich damit ein in die Reihe der King‘schen Kammerspiele MISERY, „1408“, CUJO oder SHINING. Mike Flanagan wurde übrigens gerade mit der Verfilmung des SHINING-Sequels DOCTOR SLEEP beauftragt. Man darf gespannt sein.
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Gerald‘s Game, USA 2017 | Regie: Mike Flanagan | Drehbuch: Mike Flanagan, Jeff Howard nach dem Roman von Stephen King | Musik: The Newton Brothers | Kamera: Michael Fimognari | Schnitt: Mike Flanagan | Mit: Carla Gugino, Bruce Greenwood, Henry Thomas, Carel Struycken, Chiara Aurelia, Kate Siegel | Laufzeit: 103 Min.