Wer hätte gedacht, dass Timur Bekmambetov (BEN HUR, ABRAHAM LINCOLN VAMPIRJÄGER) noch so einen spannenden Film hinkriegt, und erst noch einen mit Anspruch. Zumal das Anwerben europäischer Teenager für den Islamischen Staat jahrelang lediglich ein Thema der Feuilletons und Dokumentarfilme war und man zum Thema wohl eher einen langfädigen Studiofilm drehen würde. Aber Bekmambetov spielt eine konzeptionelle Trumpfkarte: Den ganzen Film hindurch starren wir nur auf den Computer-Bildschirm der Protagonistin. Der Suspense, den er mit dieser stilistischen Reduktion erzeugt, ist enorm.
Amy eröffnet ein neues Profil, einen neuen Facebook-Account. Als Melody Nelson meldet sie sich bei vermeintlichen Sympathisanten des IS und gerät schnell ins Visier des gutaussehenden Kämpfers Bilel (Shazad Latif), ein charmanter Kindskopf mit Kalaschnikov. Am liebsten postet er Katzenfilme und Hinrichtungsszenen. Äußerst schnell geschieht auch Amys Transformation von der frechen Journalistin zur demütigen, vom Islam und dessen Kampf faszinierten Hijabträgerin, wobei die Multitaskerin vor Kopftuchpannen nicht gefeit ist. Doch ihre Spontaneität und ihre trickreiche Art, mit der virtuellen Fernbeziehung umzugehen, machen einiges wett.
Flink jagt Amy durch die gängigen Programme: Facebook, Skype, iTunes, Youtube und natürlich einen Browser für Recherchen. So flink, dass man eine ironische Note Bekmambetovs zum Zustand des heutigen Journalismus vermuten darf. Amys Chefredakteurin Vick (Christine Adams) ist jedenfalls genauso digital präsent wie Amy, mit leicht parodistischer Note. Schnell ein Briefing von einem VIP-Anlass aus, schnell etwas abgesegnet, kurz über den Job gesprochen. Investigativer Journalismus aus der Hüfte geschossen.
Wie einst Hitchcock in DAS FENSTER ZUM HOF (1954) die Monoperspektive zu dramaturgischen Zwecken perfekt einsetzte, aber gleichzeitig als einseitige Perspektive des Protagonisten reflektierte, zeigt Bekmambetov den monoperspektivischen Blick auf die vielen geöffneten „Fenster“ (Windows) des Computerbildschirms. In PROFILE bedeutet das Private nicht mehr ein Eindringen in eine unzulässige Sphäre, sondern jeweils eine Direktverbindung in ein anderes Fenster. Von Fenster zu Fenster, ohne öffentlichen Raum. Die private Kommunikation zwischen Amy und ihren Freunden, ihren Arbeitgebern, aber auch zu ihr und dem Terroristen Bilel ist nicht öffentlich. Indem sie so privat bleibt, hinterfragt Bekmambetovs Film die eigentliche „Öffentlichkeitsarbeit“ der Journalistin, ihren Beruf in einer Gesellschaft, die auf entmediatisierter Kommunikation beruht. Damit einher gehen „digitale“ Themen wie leichtfertig affirmative Haltung, ständige Gehetztheit, Hass, Selbstausbeutung. PROFILE dreht sich mehr um diese Themen als um den Islamischen Staat und sein Verhältnis zu Frauen. Darum aber auch.
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Profile, USA/UK/Russland/Zypern 2018 | Regie: Timur Bekmambetov | Drehbuch: Britt Poulton, Olga Kahrina, Timur Bekmambetov, basierend auf: Anna Erelle „In the skin of a Jihadist“ | Schnitt: Andrey Shugaev | Darsteller: Valene Kane, Shazad Latif, Christine Adams, Morgan Watkins, Amir Rahimzadeh | Laufzeit: 105 min.