Sechs Teenager stehen im Kreis und zielen mit Schleudern aufeinander. Die Kamera folgt ihren Blicken, schneidet zwischen ihnen hin und her, während alle darauf warten, wer den ersten Schuss abgeben wird. So beginnt Michael Matthews südafrikanische Westernvariante mit einer klassischen Einstellung, die man durchaus als Verbeugung vor Sergio Leone deuten darf. Bei den fünf Jungs und einem Mädchen handelt es sich um Julu, den intelligenten aber zurückhaltenden Anführer, Tau, den aufbrausenden „Löwen“, Unathi, den gläubigen Geschichtenerzähler, Bongani, den pummeligen „Pockets“, der nie mit leeren Taschen unterwegs ist, Luyanda, den „Gebrochenen“ und das einzige Mädchen Lerato, das Herz der Bande. Zusammen sind sie die Five Fingers, auch wenn es tatsächlich sechs sind. Sie hecken einen Plan aus, wie sie die Geldeintreiber der Apartheid-Regierung vertreiben können, die monatlich in dem heruntergekommenen Städtchen Marseilles auftauchen und die besonders armen Bewohner des Ortsteils Railway ausquetschen. Doch der Plan geht schief und im Verlauf einer Verfolgungsjagd tötet der draufgängerische Tau zwei Polizisten. Er flüchtet und schlägt sich in den folgenden Jahren mit Raubüberfällen durch, für die er schließlich zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wird.
Zwanzig Jahre nachdem er Marseilles verlassen hat, kehrt Tau in der Hoffnung auf ein friedliches Leben zurück. Zunächst unerkannt, sieht er, dass aus seinen ehemaligen Freunden in der Zwischenzeit unter anderem ein korrupter Bürgermeister, ein Priester und ein brutaler Polizist geworden sind. Über allen steht der unheimliche Gangster Sepoko, auch „der Geist“ genannt, der mit seinen Laufburschen, den Schatten, die Stadt in seiner Gewalt hat. Die Apartheid mag vorbei sein, aber die Ungerechtigkeit wirkt weiter und nach den Weißen haben andere Unterdrücker die Herrschaft übernommen. Als Tau Zeuge einer Gewalttat wird, schreitet er ein und entfacht damit einen Machtkampf um die Stadt. Und so vereinen sich die „Five Fingers“ erneut – wenn auch widerwillig – zu einem letzten, entscheidenden Kampf.
Eine stilvolle Kameraarbeit, schöne, sich bestens für einen Western eignende Landschaften und insgesamt gute Darsteller, allen voran Vuyo Dabula als Tau und Hamilton Dhlamini als Sepoko, tragen den Film über weite Strecken. Allerdings macht Regisseur Matthews es dem Zuschauer nicht leicht, den Überblick über die einzelnen Personen zu behalten. Zu kurz ist dafür die Einführung, zu lang der Zeitraum von zwanzig Jahren, in denen sowohl in der südafrikanischen Geschichte, als auch im Leben der „Fingers“ so viel passiert ist, was der Film schlicht übergeht. Die Charaktere bleiben daher überwiegend blass und eindimensional. Zudem ist das Ganze recht behäbig inszeniert. Zwar blitzen immer wieder intensive Sequenzen auf, insbesondere die Auftritte von Sepoko, aber insgesamt schreitet die Geschichte zu gemächlich voran und der Regisseur hält sich mit zu vielen Zeitlupen und langsamen Kamerafahrten auf. Selbst der finale Showdown ist so träge inszeniert, dass nur mäßige Spannung aufkommt. Die Länge von zwei Stunden wäre vielleicht bei besserer Charakterzeichnung und mehr Konzentration auf die Hintergründe gerechtfertigt, aber so wirkt das Werk unnötig gestreckt.
Dennoch ist der Film unterhaltsam genug und punktet mit der originellen Idee, die Probleme der Apartheid vor und nach ihrer Abschaffung in Form eines neuzeitlichen Westerns zu thematisieren. Die Darsteller überzeugen und technisch ist der Film ebenfalls professionell gemacht. Insgesamt zwar ein zwiespältiges Vergnügen, aber das interessante Setting und die Tatsache, dass Filme aus Südafrika rar gesät sind, dürfen trotzdem neugierig machen.
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Five fingers for Marseilles | Südafrika 2017 | Regie: Michael Matthews | Darsteller: Vuyo Dabula, Zethu Dlomo, Hamilton Dhlamini, Kenneth Nkosi, Mduduzi Mabaso, Aubrey Poolo, Anthony Oseyemi u.a.
Anbieter: Drop-Out Cinema/Donau Film