Im subversiven Cronenberg-Remake RABID machen die Twisted Twins Jen und Sylvia Soska einer Veganerin Lust auf Menschenfleisch – und entblößen die Subversion des Body Horrors zugleich als Teil unserer totalitären Verhältnisse.
RABID gehört zu einer Reihe von Horrorfilmen seiner Zeit, die neue Bilder monströser Weiblichkeit kreierten, die wesentlich unmittelbarer und physischer daherkamen als die promisken und intrigierend über Leichen gehenden femme fatales im Thriller-Kino der 1940er und 1950er Jahre. Nach wie vor handelt es sich um (von Männern geschaffene) Schreckensbilder einer ungezügelten, zerstörerischen weiblichen Sexualität. So nimmt der Horror hier oft mit der Geschlechtsreife seinen Anfang. Zum Eintritt in die Pubertät fährt der Teufel in William Friedkins THE EXORCIST (1973) in die junge Regan; mit der ersten Periode beginnt das Martyrium von Brian DePalmas CARRIE (1976), das schließlich zum berüchtigten Massaker beim Abschlussball (ein weiterer Initiationsritus) führt, bei dem nicht mehr nur Menstruationsblut fließt.
War schon bei Cronenberg also ein feministisches Anliegen spürbar, gibt es vier Jahrzehnte später nun ein Remake, das von zwei Frauen inszeniert und geschrieben wurde. Die Zwillingsschwestern Jen und Sylvia Soska, die sich als Twisted Twins (wie sie ihre eigene Produktionsfirma nannten) in den letzten zehn Jahren mit einer handvoll eigenwilliger, blutrünstiger kleiner Filme einen Namen gemacht haben, scheinen als Kanadierinnen mit einem Faible für Body Horror geradezu prädestiniert für die Nachfolge eines David Cronenberg.
In ihrem Debüt DEAD HOOKER IN A TRUNK (2009) kombinierten sie einen bei aller grellen Überdrehtheit auch melancholischen Blick auf die Lebenswelten junger Erwachsener in der kanadischen Suburb mit einem immer abstruser freidrehenden Thriller-Plot, in dem sie selbst zwei der vier Hauptrollen spielten. Während die Soskas hinter der Kamera den Jungs das Nerdtum streitig machten, verpassten sie vor der Kamera jedem Bully, der in ihnen leichte Opfer sah, eine Kugel in den Kopf. Mit einem in der Body-Enhancement-Szene angesiedelten Splatterfilm (AMERICAN MARY), dem schönen Sequel eines eher mittelmäßigen Neo-Slashers (SEE NO EVIL 2) und dem vielleicht brutalsten und physischsten (Männer-)Knastfilm der 2010er Jahre (VENDETTA) formulierten sie ihren Stil und ihre Themen weiter aus. Freundschaft und andere Formen zwischenmenschlicher Allianzen spielen bei den Soskas immer eine große Rolle: Machen die technischen Möglichkeiten der Körpertransformation das physische Sein der Menschen immer prekärer, brauchen diese umso dringender Beziehungen, die ihnen im Außen Halt geben.
Dass ein solcher vermeintlicher Gefallen gegenüber einer introvertierten Außenseiterin furchtbare Folgen haben kann, wissen wir seit CARRIE. Hier führt er dazu, dass Rose irgendwann tief verletzt auf ihrem Roller davonfährt und in ihrer Wut einen nahenden LKW übersieht. Nach einer Notoperation ist von ihrem Gesicht nur noch eine vollkommen entstellte Fratze übrig. Nur eine auf Transhumanismus spezialisierte Klinik unter der Leitung von Dr. William Burroughs (!, Ted Atherton) kann die Spuren beider Unfälle tilgen – um den Preis allerdings, dass die Veganerin Rose einen extremen Hunger nach menschlichem Fleisch entwickelt.
Das Körperliche im Kino der Soskas offenbart sich zunächst daran, dass bei der gegenüber dem Original ergänzten Vorgeschichte eines ersten Unfalls in der Vorgeschichte nicht die Retraumatisierung und damit die Psychologie der Figur im Vordergrund steht. Vielmehr geht es darum, das Gesicht der Protagonistin zunächst immer weiter zu entstellen – um schließlich die Erscheinung der normschönen Laura Vandervoort hinter der Maske hervorzuzaubern. Durch diese Re-Konstruktion wird Schönheit selbst als gesellschaftlich vermitteltes Bild erkennbar, als eine weitere Maske, die nicht nur dafür sorgt, dass Rose nunmehr mühelos am Türsteher angesagter Clubs vorbeikommt, sondern basale Voraussetzung für ihre Selbstverwirklichung in der Modewelt ist.
Bei solchen (nicht sonderlich neuen) Erkenntnissen fangen die Soskas aber gerade erst an. Denn nicht nur weibliche Schönheit ist ein Riesengeschäft, sondern auch Bilder monströser Weiblichkeit. Günter ist begeistert von Roses neuen Arbeiten, in denen die vorher zurückhaltende Frau, die sich immer darum bemühte, möglichst lieb zu sein, nun ihre dunklere Seite offenbart, aus ihren Traumata Modedesigns macht (sehr deutlich etwa in einer Art metallenen Gitter vor dem Gesicht, das zu einem von ihr entworfenen Kleid gehört, und in dem visuell ihre nach dem Unfall frei liegenden Unterzähne nachhallen).
Brad, der Rose beständig zu retten versucht, Günter, der ihre Arbeitskraft (und die ihrer Kolleginnen) offen ausbeutet und das Mastermind, der große Strippenzieher hinter den Kulissen, den ein finaler Plot Twist ans Licht bringt, sind Agenten desselben Systems, das der Frau schließlich jeglichen Handlungsspielraum nimmt. Aber das ist noch nicht alles. Denn auch die Soskas selbst wissen um ihre Rolle in diesem abgekarteten Spiel. Das offenbart ihr Cameo, in dem sie als in verführerisch knappes Weinrot gehüllte, koksende Vamps, die andere Frauen wegen ihres Aussehens verhöhnen, die Tragödie in Gang setzen. Wie Günter, der sich in einer Szene vor Fernsehkameras vehement dagegen wehrt, dass seine Modeschau abgesagt werden soll, nur weil ein tödliches Virus grassiert, sind auch sie schließlich dem über allem stehenden gesellschaftlichen Imperativ verpflichtet: The Show must go on!
___________________________________________________________________
Rabid, Kanada 2019 | Regie: Jen Soska, Sylvia Soska | Drehbuch: John Serge, Jen Soska, Sylvia Soska | Musik: Claude Foisy | Kamera: Kim Derko | Darsteller: Laura Vandervoort, Benjamin Hollingsworth, Ted Atherton, Hanneke Talbot, Stephen Huszar, Mackenzie Gray, Stephen McHattie, Kevin Hanchard, Heidi von Palleske, Joel Labelle | Laufzeit: 107 Min.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erschienen auf critic.de