John rechnet ab – Diamanten haben keine Kinder.

Ein Knabenchor singt, schuluniformierte Jungens spielen, tollen umher. Dazu die Credits aus Bauklötzern mit dicken, bunten Buchstaben – diesen Bauklötzern werden wir im Laufe der Handlung nochmals begegnen, doch nun unter gänzlich anderen Vorzeichen. Denn der kleine Junge, der im Internat von finsteren und reichlich skrupellosen Gestalten entführt wird, ist der Sohn von MI6-Agent John Tarrant (Michael Caine) und dessen Frau Alex (Janet Suzman). Mithin versucht eine anonyme Person namens ‚Drabble‘ den Staatsdiener zu erpressen – ungeschliffene Diamanten soll die Regierung ihrer Majestät als Lösegeld bereitstellen. Dumm nur, dass ‚Drabble‘ Tarrant kompromittiert hat und dessen Chef Harper (Donald Pleasence) den Deal daher platzen lässt. Daher geht Tarrant auf eigene Faust gegen ‚Drabble‘ vor, um nicht nur das Leben seines Sohnes zu retten, sondern auch den unbekannten Verräter in den eigenen Reihen des MI6 dingfest zu machen.

Oftmals sind es kleine Dinge, die einen Film aus dem Gros emporheben; diese kleinen Dinge entheben auch Don Siegels Elaborat dem üblichen ‚Schema F‘ der Krimiunterhaltung. Denn trotz eines Streiks der Drehbuchautoren – ein Umstand, den man dem fertigen Skript anhand manch dramaturgischer Untiefen durchaus anmerkt – drehte Siegel mit DIE SCHWARZE WINDMÜHLE nicht nur seinen ersten Kinofilm außerhalb der amerikanischen Heimat, sondern zeigte wiederum sein ganzes Talent im Fertigen temporeich und hochgradig stringent erzählter Reißer. Zwar moserten die Fachleute, dass die Geschichte besser in die Hochzeit der Bondomania und sonstiger Filmspione gepasst hätte, doch dank der mitunter selbstironischen Inszenierung und dem thematischen Andocken an Selbstjustizfilme der Zeit, überschreitet der Streifen mitunter gar die Grenze zum Paranoiathriller, wie er in den 1970ern en vogue war.

Hat DIE SCHWARZE WINDMÜHLE auch bis heute mit dem Makel zu kämpfen, neben dem ikonischen Klassiker DIRTY HARRY (1971) und dem einst sträflich unterbewerteten, nun jedoch wieder im Bewusstsein verankerten, kleinen Meisterwerk DER GROßE COUP (1973) immer als etwas zu ‚konventionell‘ verschrien zu sein, so lohnt doch eine genauere Wiederbetrachtung. Denn die Ansicht, ausgerechnet Vollblutschauspieler Michael Caine sei in seiner Rolle fehlbesetzt, sollte relativiert werden. Nicht nur, dass Caine bereits durch ‚seine‘ Harry-Palmer-Trilogie im Genre erprobt war – IPCRESS – STRENG GEHEIM (1965), FINALE IN BERLIN (1966), DAS MILLIARDEN-DOLLAR-GEHIRN (1967) – sondern auch seine schiere Präsenz und sich im Laufe der Handlung immer weiter entfaltende Hardboiled-Attitüde geben seiner Figur starke Kontur und erweitern das Spektrum eines Mimen, der zu den ganz Großen seiner Generation gehört. Dem famosen Donald Pleasence dabei zuzusehen, wie er mit feingeistigem Humor und skurrilem Charme immer neue Alleinstellungsmerkmale aus der Tasche zieht, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken, hat besonderen Reiz, ebenso die wie immer souveräne Leistung eines John Vernon, den Siegel aus Amerika mitgebracht zu haben schien.

Neben den unter Hochdruck stehenden Actionsequenzen und den teils artifiziellen Set-Pieces ist es vor allem die durch und durch britische Atmosphäre, die diesen Siegel-Film zu etwas Besonderem macht – dass sein ohnehin unamerikanischer, hintergründiger und im besten Sinne als ‚sophisticated‘ zu bezeichnender Humor hier besonders zum Tragen kommt, zeigt die handwerkliche Souveränität des Inszenators. Kameramann Ousama Rawi, den Michael Caine dank der guten Zusammenarbeit bei MALTA SEHEN UND STERBEN (1972) empfohlen hatte, wechselt munter zwischen statischen, mit fließenden Schwenks aufgemöbelten Panoramaaufnahmen und vitalen Handkamerabildern, die insbesondere aus Kniehöhe geschossen sind und somit durch die eigenwillige Perspektive besondere Reize der Inszenierung freilegen.

Zum sichtbar britischen Flavour gesellt sich hörbar international konkurrenzfähiges Kolorit. Und doch täte man Roy Budd Unrecht, würde man ihn einfach als “britischen Lalo Schifrin” abtun – denn das im Nachruhm hochgeschätzte Tonsetzerwunderkind, das per kleinem Besteck schon Caines JACK RECHNET AB mit signifikantem Sound versehen hatte, taucht DIE SCHWARZE WINDMÜHLE in einen jazzbetonten Groove aus Weltklang. Mit einem flirrenden Tabla-Klackern Chris Karans, mit sphärischem Spinett aus der Echokammer, so schafft der früh zur Meisterschaft gelangte Budd großen Spannungskinosound, wie ihn nur die 70er Jahre hervorzubringen wussten. Jeder Anschlag der Bassgitarre sitzt wie eine Kugel aus der 9 mm, ein Streicheransatz haucht dahin wie ein sich im landaufwärts pfeifenden Wind drehender Windmühlenflügel. Mit der Weiterentwicklung seines GET CARTER-Sounds, erweitert um mit Elektronik vermähltes, großes Orchester, schafft Budd saftige Klänge – von schnurrenden Fender Rhodes über sonores Bläserflimmern bis zu elegisch düsteren Liebesthemen für Soloklavier wird das ganze Instrumentarium bemüht. Der Soundtrack, zum Glück auf Tonträger und im Stream zu bestaunen, kann auch zum separat-vom-Film-in-die-Gehörgänge-der-Zuschauenden-wandern empfohlen sein.

Koch Media veröffentlichte DIE SCHWARZE WINDMÜHLE als Slim-Mediabook mit zwei Covervarianten, wobei der Bildtransfer – der mit seinem Bildseitenverhältnis 2,25:1 große Diagonalen empfiehlt – sich scharf und detailreich präsentiert. Neben der in einzelnen Parts etwas hölzernen Synchronbearbeitung kann auch der Originalton angewählt werden, der nicht zuletzt durch Caines eigentümliche Artikulation sehr wertvoll ist. Als Extras spendiert man einen erhellenden Audiokommentar von Filmhistoriker und Sam Peckinpah-Biograph Mike Siegel – trotz Namensgleichheit ist jedes Verwandtschaftsverhältnis mit dem Regisseur des Films ausgeschlossen – der detailliert auf die Hintergründe des Films und die Karriere der Beteiligten eingeht. Außerdem werden drei Interviewbeigaben gereicht, wobei das Panel mit Michael Caine anlässlich einer Podiumsdiskussion beim 31. Filmfest München 2013 aufgenommen wurde – es ist zwar nicht filmspezifisch, doch ist ein Gespräch mit Sir Michael immer ein Erlebnis. Darsteller Joss Ackland erwähnt besonders den Regiestil lobend, während Kamerachef Ousama Rawi sich detailliert an die Dreharbeiten und die Zusammenarbeit mit Don Siegel und Donald Pleasence erinnert. Neben deutschem und englischem Trailer, Radio Spots und einer Bildergalerie enthält die Veröffentlichung ein vierundzwanzigseitiges Booklet von Nicolai Bühnemann.

Einer Wiederentdeckung und vielleicht sogar milden, kontextualisierten Neubewertung von DIE SCHWARZE WINDMÜHLE steht somit nichts mehr im Wege. Denn statt Don Quijote heißt unser Held Don Siegel; der Kampf gegen Windmühlenflügel ist demnach schon jetzt gewonnen.

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The Black Windmill | GB 1974 | Regie: Don Siegel | Darsteller: Michael Caine, Donald Pleasence, Delphine Seyrig, John Vernon, Clive Revill, Joss Ackland u.a.

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