An einem sonnigen Sonntag hat sich unser Autor Adrian Gmelch mit dem österreichischen Regisseur und Autor Achmed Abdel-Salam getroffen, um über dessen Erstlingswerk HEIMSUCHUNG (2023) zu sprechen. Zu dem Horrordrama hat sich ein spannendes Gespräch entwickelt.
Es handelt sich bei HEIMSUCHUNG um dein Spielfilmdebüt. Was ist das für ein Gefühl, endlich sein vollkommen eigenes Filmprojekt auf der großen Leinwand zu sehen? Und bist du mit dem Resultat zufrieden?
Es ist ein total surreales Gefühl. Ich kann es noch immer nicht ganz glauben, dass wir diesen Film gemacht haben; es war eine sehr lange Reise. Ich bin sehr stolz darauf, was wir geschafft haben, unter welchen Bedingungen dieser Film auch entstanden ist. Die ersten Filme haben es ja generell, was das Budget betrifft, immer ein bisschen schwieriger als, wenn man schon etabliert ist. Wenn man einen Film selbst gemacht hat, dann fallen einem spätestens beim zweiten Mal, wenn man ihn im Kino sieht, immer wieder die Dinge auf, die vielleicht nicht so gut gelungen sind und wo man sich denkt: „Ach, hätte ich nur da irgendwie das gemacht oder jenes oder das anders.“ Aber ja, ich bin stolz darauf, wie der Film letztendlich geworden ist.
Ich glaube, da kannst du auch stolz darauf sein. Du hast es gerade selbst angesprochen: die Finanzierung von Filmen. Gedreht wurde ja im Sommer 2021, aber der Film kommt erst jetzt in die Kinos. Warum? Und ich denke, es war auch schwer, die Finanzierung des Projekts zu sichern, richtig?
Ja, generell einen Film finanziert zu bekommen ist immer schwer, unabhängig davon, ob es ein Debüt ist oder nicht. Bei uns hat es aber tatsächlich drei Anläufe gebraucht – und drei Anläufe sind auch das Maximum. Also, wenn ein Film beim dritten Versuch nicht gefördert wird, dann war’s das. Bei uns hat es dann Gottseidank beim dritten Mal geklappt. Das heißt, da ist schon mal wirklich viel Zeit verstrichen. Wir hatten zum Beispiel die großen Rollen schon fast drei Jahre vor Drehbeginn besetzt! Wir kannten den Cast schon, das war also eine gute Vertrauensbasis. Warum der Film dann so spät ins Kino gekommen ist, hat zwei Gründe. Der erste: Unseren Dreh hat die Pandemie zwar nicht mehr so extrem betroffen, weil wir mit Maske und Tests drehen konnten, aber es gab einen Rückstau bei Projekten, vor allem in der Postproduktion. Das heißt, es war gar nicht so einfach, Termine zu finden, zum Beispiel für das Sounddesign. Und der zweite Grund war, dass wir natürlich auch versucht haben, den Film international bei Festivals unterzubringen. Und das hat einfach eine Zeit lang gedauert, bis er seine Runden gedreht hat. Schlussendlich sind wir dann aber in Österreich mit unserer Welturaufführung gelandet, weil es ein bisschen schwierig war, den Film zu platzieren. Ich glaube, das liegt auch daran, wie der Film im Endeffekt geworden ist. Er ist sehr schwer einzuordnen.
Also lief er dann letztendlich auf einigen Festivals?
Er ist nur in Österreich bei der „Diagonale“ gelaufen und in Deutschland in Regensburg beim HARD:LINE Film Festival. Das waren unsere zwei Festivals.
Nachdem man den Film gesehen hat, hat man das Gefühl, dass du etwas sehr Persönliches, etwas sehr Eigenes zu erzählen hattest. Michi, also die Mutter im Film, leidet an einer Alkoholsucht. Ich habe gelesen, ich weiß jetzt nicht mehr genau wo, dass das auf eigener Erfahrung basiert. Wenn ich richtig liege, hängt das mit deiner Mutter zusammen. Jedenfalls würde mich interessieren, wie du deine persönliche Erfahrung in diesen Film eingebracht hast. Denn ich finde, dass man das schon sehr spürt in dem Film. Was natürlich gut ist.
Da hole ich jetzt ein bisschen aus, wenn ich darf. Also, das stimmt. Es war auch so, dass meine Mutter lange mit Alkohol zu kämpfen hatte. Aber nicht nur sie, sondern das war einfach in der Familie ein Thema, so in der weitläufigeren Familie und auch sonst in meinem Umfeld. In Österreich ist es ja tatsächlich so, dass man, wenn man mit Menschen ins Gespräch kommt, sehr oft hört, entweder der Vater, die Mutter oder ein Onkel usw. sei alkoholabhängig. Als ich die Presse-Tour mit dem Film gemacht habe, haben mich nach unseren Screenings immer Leute angesprochen oder angeschrieben und gemeint, dass sie diese Suchtthematik sehr gut herausgearbeitet fänden und dass sie da Dinge einfach wiedererkannt hätten. Ich glaube, wenn man als Kind solche Sachen mitbekommt, sei es jetzt die Suchterkrankung eines Elternteils oder psychische Erkrankungen, dann wird es einen einfach lange Zeit beschäftigen. Mir ging es aber vordergründig gar nicht so darum, etwas für mich zu verarbeiten. Das heißt, dieser Film stellt für mich auch nicht eine Selbsttherapie oder so dar, sondern ich habe ihn einfach nur als Anlass genommen, diese Erfahrungen, die schon in der Kindheit da waren, zu thematisieren. Ich habe versucht, zu erzählen, was das mit mir als Erwachsenen gemacht hat, weil mich das sehr fasziniert, dieses Weitergeben von Neigungen zu einer Suchterkrankung. Genauso wie das Weitergeben von Traumata. All diese Dinge, welche man von den Eltern oder von einer Generation darüber oder noch einer darüber mitbekommt, ohne dass es einem bewusst ist. Dass man das vielleicht selber auch seinen eigenen Kindern weitergibt, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Ich bin ja auch selbst, kurz bevor ich das Drehbuch geschrieben habe, das erste Mal Vater geworden und da sind dann diese ganzen Gedanken und Sorgen wieder hochgekommen. Und dann habe ich mir irgendwie gedacht: „Okay, vielleicht ist es ein guter, der richtige Zeitpunkt, mich mit diesem Thema zu befassen und das auch niederzuschreiben.“
Du bist Regisseur und Drehbuchautor gleichzeitig. Viele junge Filmemacher, so mein Gefühl, machen das heute so. Man hat wirklich den Eindruck, dass sie quasi Herr der eigenen Geschichte sein möchten und nicht mehr unbedingt Auftragsregisseure oder Regisseure, die das Drehbuch eines anderen umsetzen. Da gibt es jetzt viele Beispiele aus der jüngeren Zeit, unter anderem auch aus dem Horror-Genre, wie Ari Aster, Robert Eggers oder David Robert Mitchell. Auch in Österreich zum Beispiel mit dem Duo Veronika Franz und Severin Fiala. Wenn sie zusammenarbeiten, dann schreiben sie auch das Drehbuch und führen dann selbst Regie. Du hast das auch gemacht. Warum? Möchtest Du das auch in Zukunft so machen?
Ich wusste immer, dass ich Regie führen möchte. Ich habe aber an der Filmakademie in Wien Drehbuch studiert und nicht Regie. Selbst habe ich auch Schauspielerfahrung, und ich wusste, dass mir die Arbeit mit Schauspielerinnen und Schauspielern sehr liegt und dass das Inszenieren mir Freude bereitet. Und dann ist es letzten Endes auch ein bisschen eine praktische Entscheidung. Es ist natürlich sehr viel einfacher, den eigenen Stoff zu schreiben, den man dann verfilmen kann, als jetzt darauf zu warten, dass irgendjemand einem ein Drehbuch anbietet. Weißt du, es gibt so viel Nachwuchs, Regisseure, so viele tolle Talente, überall Menschen, die beim Fernsehen arbeiten. Ich hätte keine Chance gehabt, da jetzt noch irgendwie einen Fuß in die Tür zu kriegen, ohne überhaupt eine Visitenkarte, ein filmisches Referenzprojekt zu haben, das ich präsentieren kann. Und deswegen war völlig klar, dass ich von diesem Kurzfilmschaffen-Denken wegkommen musste, das auf den Filmschulen vorherrscht, und hin zum langen Erzählen. Was mich auch viel mehr anspricht und wo ich mich auch sehe und zu Hause fühle.
Beeindruckt hat mich in HEIMSUCHUNG auch vor allem die Besetzung von Michi mit Cornelia Ivanka. Du meintest, dass die Besetzung schon lange im Voraus stand. Drei Jahre davor. Ich finde, dass sie wirklich eine sehr starke Leinwandpräsenz hat, also absolut eine gute Besetzung war. Und es bildet sich dann auch eine tolle Mutter-Tochter-Beziehung heraus. Das ist für den Film essentiell, ansonsten hätte der wahrscheinlich nicht funktioniert. War es schwer, die passende Darstellerin zu finden und auch das passende Duo für diese Mutter-Tochter-Beziehung?
Ja, das war eine ziemliche Herausforderung; Cornelia stand schon lange fest, aber dann mussten wir parallel noch nach dem geeigneten Mädchen suchen. Mithilfe einer Kinderagentur und unserer Casterin haben wir um die 200 Mädchen gecastet, im Alter zwischen sechs und elf Jahren. Mit ein paar von ihnen haben wir dann mehrere Runden gedreht. Mit einigen haben wir Cornelia gematcht. Das heißt, Cornelia und das Mädchen haben sich getroffen und gemeinsam Szenen ausprobiert und wir haben geschaut, ob die Chemie stimmt. Es war in zwei Fällen nicht so, da hat es entweder vom Alter der Kinder nicht gepasst oder optisch oder die Chemie war einfach nicht da. Dann haben wir Lola Herbst getroffen. Sie war noch ganz jung, erst sechs, als sie das erste Mal beim Casting war, aber sie hat schon so eine geistige Reife mitgebracht; sie hat das alles total verstanden und auch emotional begriffen, was wir von ihr wollten. Sie hat einfach eine natürliche Spielfreude mitgebracht. Dann haben sich die beiden zuerst einmal persönlich kennengelernt und nach und nach sind wir so in Improvisationen gegangen und haben uns den Rollen angenähert und auch der Thematik des Films. So haben wir schnell gemerkt, dass das super funktioniert. Aber es war ein langer Prozess.
Das kann ich mir gut vorstellen. Beim Ansehen des Films musste ich immer wieder an drei Werke aus der jüngeren Filmgeschichte denken: THE BABADOOK (2014), UNDER THE SHADOW (2016) und ICH SEH ICH SEH (2014). Dabei handelt es sich auch um Horrorfilme. Und es geht immer um eine Mutter-Kind-Beziehung. Inwiefern haben dich diese Filme beeinflusst? Oder hast du auch an andere Filme gedacht oder hattest andere Einflüsse?
THE BABADOOK hatte wahrscheinlich den größten Einfluss, weil mich daran zwei Dinge total fasziniert haben. Das eine ist, dass es so kammerspielartig an einer Location stattfindet und wirklich einfach diese Mutter-Sohn-Beziehung. Also dass da kein Gramm Fett drum herum war. Der Film ist sehr geradlinig und er hat eine sehr starke Struktur. Auch wie mit dem vermeintlich Übernatürlichen umgegangen wird. Diese Ambivalenz, die dieser Film hat und wie mit Metaphern und Symbolik einfach über ein psychologisches Problem der Protagonistin erzählt wird, das hat mich tief beeindruckt und war sicher eine Inspiration. ICH SEH ICH SEH war filmisch und erzählerisch kein Einfluss für mich. Ich bin jetzt nicht so ein Fan dieses Films, weil er mich sehr kalt lässt gegenüber den Figuren, da immer diese kühle Distanz herrscht. Mir fällt es da immer schwer, gerade bei Horrorfilmen, einen Zugang zu finden. Das ist bei THE BABADOOK zum Beispiel gar nicht der Fall und bei UNDER THE SHADOW auch nicht. Finde ich sehr cool, dass du den auch kennst und nennst, weil er tatsächlich auch in allen unseren Unterlagen, die wir für die Förderung eingereicht haben, als Beispiel genannt war. Denn er hat auch ein sehr gutes Drehbuch und ist auf das Nötigste reduziert. Auch das Übernatürliche kommt erst nach und nach dazu und es ist einfach dieses Spiel mit der Ambivalenz des Horrors, das mir sehr gefallen hat. Du hast noch gefragt, welche anderen Filme mich vielleicht noch beeinflusst haben könnten, richtig?
Genau!
Da gab es tatsächlich noch kurz, bevor wir gedreht haben, einen anderen Film. Das war dann eher ein visueller Einfluss oder wie man durch Bilder Atmosphäre schafft. Bei dem Film handelte es sich um RELIC (2020).
Ah, finde ich auch sehr spannend, dass du den erwähnst, weil er für mich auch so ein typischer Art-Horrorfilm ist, den ich sehr gerne mag. Habe den Film lustigerweise auch hier bei Splatting Image besprochen.
Ich mag ihn auch wirklich sehr gerne.
Du spielst viel mit Licht und Schatten. Viele Szenen sind extrem wenig ausgeleuchtet, so dass man die Bedrohung im Hintergrund eigentlich kaum erkennt. Tut man es aber doch, ist der Schrecken umso größer. Das hat mich an HEREDITARY von Ari Aster erinnert, wo der Schrecken auch im Hintergrund lauert, es dem Zuschauer aber nicht erklärt wird und der Zuschauer das irgendwann selbst entdeckt und er dann umso mehr erschrickt. Wieso hast du dieses Spiel mit Licht und Schatten so intensiv gespielt? Und was hast du dir davon erhofft?
Ich habe in meinem Leben selbst unzählige Horrorfilme konsumiert. Da sind wir uns, glaube ich, sehr ähnlich. Ich mag das Genre total. Was ich aber gemerkt habe, vor allem die letzten Jahre, ist, dass mir die Filme mit Ausnahme der sogenannten Art-Horrorfilme oft zu deutlich waren. Also ich rede jetzt vor allem von Mainstream-Horror-Filmen. Sie waren mir zu auserzählt; ich hatte einfach nicht genug Raum, um Dinge zu entdecken oder zu sehen. Und für mich persönlich sind immer schon die Dinge am unheimlichsten gewesen, die eben im Kopf entstehen. Weißt du, wo ich mir nicht sicher bin, was ich sehe, wo auch Fragen unbeantwortet bleiben! Und das war sehr früh ein Ansatz für unseren Film. Alexander, der die Kamera gemacht hat, und ich, wir wollten genauso eine Bildsprache. Und da war natürlich ein Ansatz, dieses sehr bewusste Setzen von Licht. Wir wollten somit einen Mut zur Dunkelheit mitbringen und ich bin sehr froh, dass wir das durchgezogen haben. Denn ich glaube, was du in die Köpfe des Publikums bringen kannst, ist so wirkungsvoller; erzeugt eine andere Art von Unheimlichkeit.
Ja, das ist sehr schön gesagt: ‚Mut zur Dunkelheit‘. Ich schließe daraus, dass du auch ein definitiver Horrorfilm-Fan bist. Bedeutet das, dass du bei deinen nächsten Projekten im Genre bleibst oder wirst du vielleicht auch mal was anderes versuchen?
Sowohl als auch. Ich glaube, die Vielfalt im künstlerischen Schaffen ist extrem wichtig, auch für den Künstler oder die Künstlerin selbst. Dass man einfach frisch bleibt und irgendwie die Antennen in alle möglichen Richtungen ausfährt, seine Sinne schärft und einfach auch eine Flexibilität im Schaffen hat. Ich finde das sehr wichtig. Aber ich habe tatsächlich schon eine Idee für einen viel härteren Horrorfilm, die mich sehr reizt. Und an der schreibe ich gerade. Also entweder das ist das nächste Projekt oder eine Komödie, also eine ganz andere Richtung.
Entweder Horror oder Humor – sehr schön. Es hat mich gefreut, dass du heute für mich Zeit hattest.
Hat mich auch gefreut.
Dann bin ich schon auf das nächste Projekt gespannt!
Ich hoffe, es dauert nicht wieder so lange, bis wir das finanziert kriegen!
Ich drücke die Daumen.
Vielen Dank!
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Copyright Foto: Achmed Abdel-Salam