Mario Bavas DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU (1963) ist ein ästhetisches Experiment. Der ganze Film spielt in der Dämmerung, in der Nacht oder in abgedunkelten Zimmern. Es gibt keinen Tag und keine hellen Szenerien. Bavas Film setzt das Gothicgenre ästhetisch mit größtmöglicher Konsequenz um.
Die Nacht übernimmt hier erst einmal eine psychologisch-dramaturgische Funktion: In der Nacht erwachen Ängste, Wunsch- und Alpträume zum Leben. Regisseur Bava und Drehbuchautor Ernesto Gastaldi erschafften damit eine Welt, in der Dunkelheit, in der Traum und Realität nicht unterscheidbar scheinen, ein ‚Gothic Tale‘, das manchmal wie ein Traum funktioniert oder zumindest traumhafte Stimmungen und Szenen aufweist.
Im Gegensatz zum ‚Gothic Horror‘ von Terence Fisher, der sich an Bram Stoker orientiert, oder dem von Roger Corman, der sich Edgar Allan Poe vornimmt, ist DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU vor allem auch eine originäre Geschichte. Hier wurde eine Story zusammengebastelt, die sich aus verschiedenen Versatzstücken der schwarzen Romantik des 19. Jahrhunderts zusammensetzt, die aber gleichzeitig wie eine melodramatische, leidvolle und gewalttätige Familiengeschichte à la Poe funktioniert und von einer für die Zeit unglaublichen Drastik des schmerz- und lustvollen Auspeitschens getragen wird. Dementsprechend übrigens auch die Originaltitel LA FRUSTA E IL CORPO aka THE WHIP AND THE BODY. Auch das Auspeitschen hat übrigens seine Wurzeln in der dekadenten, gotischen Literatur des 19. Jahrhunderts und war als „The English Vice“, das englische Laster, bekannt. Praktiziert an den Eliteunis im England des 19. Jahrhunderts wurde es vor allem in den Gedichten des englischen Lyrikers Algernon Charles Swinburne zu einem wiederkehrenden erotischen Thema.
Dabei ist interessant, dass der Zerfall des Adels in den Horrorfilmen der späten Fünfziger und frühen Sechziger ein derart großes Thema war. Möglicherweise spiegelt sich darin der Zerfall der „steifen Ordnung“ der Nachkriegszeit. Die Menliffs sind eine Adelsfamilie, die von Streit und Verfall zerfressen und gespalten ist, aber die Etikette der familiären Ordnung aufrecht hält. Das Problem ist ihre Unfähigkeit, die gesellschaftlichen Konventionen aufzubrechen und anzupassen, obwohl offensichtlich ist, dass die jüngere Generation ganz andere Wünsche hat, vor allem was ihre emotionalen und sexuellen Wünsche betrifft. Kurt Menliff (Christopher Lee) wurde verbannt, weil er eine Beziehung zur Tochter der Haushälterin hatte, obwohl er doch als Erbe Nevenka (Daliah Lavi) versprochen war. Als die Affäre aufflog und sich das Hausmädchen umbrachte, wurde er enterbt und in Verbannung geschickt.
Jetzt taucht er wieder auf, um der neuen (Zwangs-) Heirat seines Bruders und neu eingesetzten Erben Christian (Tony Kendall) mit ebenjener Nevenka beizuwohnen. Auch keine Liebesheirat, war Christiano doch eigentlich mit Katia (Ida Galli) verlobt. Die familiäre Ordnung bröckelt, denn der alte, verblassende Graf Menliff kann seine Autorität kaum noch ausspielen und den Verlauf der Intrigen lenken. Und was sich in der Folge abspielt, lässt sich in den Worten des dunklen Romantikers Lord Byron so zusammenfassen: „Als wühlten in der Seele schwarzer Nacht / Gefühle, furchtbar, doch nur halb erwacht.“ Kurt und Nevenka haben eine verborgene Liebes- und Hassbeziehung. Am aufgewühlten, nächtlichen Meeresstrand küsst und peitscht sie ihn zuerst, lässt sich dann von ihm auspeitschen, gefolgt von einem Kuss.
In der Folge wird die Beziehung im wahrsten Sinne des Wortes noch dunkler. Kurt, die zentrale Person des Films, wird umgebracht und in der Familiengruft begraben. Doch das Verhältnis zwischen Kurt und Nevenka geht weiter. Er taucht nachts auf, während sie im Bett liegt. Vielleicht träumt sie das alles also nur. Faszinierend ist allerdings die Inszenierung. Oft haben wir ein völlig schwarzes Bild, aus dem plötzlich eine Hand ins Licht hervorkommt. Oder aus dem schwarzen Nichts taucht Kurts Gesicht auf. Christopher Lee ist dabei grün beleuchtet, bis die Ausleuchtung, dramaturgisch noch unheilvoller, auf Rot wechselt.
Was eigentlich klingt wie die verengte Perspektive einer psychisch verwirrten Frau, ‚a woman under influence‘ sozusagen, wird jedoch von Bava/Gastaldi viel breiter inszeniert. Vielleicht ist Nevenka nicht irre, sondern Tote leben. Die anderen Familienmitglieder, so sie denn noch leben, sind bald alle der Meinung Christians: „Ich kann nicht glauben, dass es Geister gibt. Ich glaube, dass Kurt noch lebt.“
Inwiefern Kurt noch lebt, darüber gibt der Namen des Adelsgeschlechts Auskunft: Menliff. Oder gelesen, wie es ein Engländer hört: „Men live“. „Men live“ bedeutet, dass selbst Tote keine Toten sind, dass die ganzen Psychologien und Probleme der Menschen untereinander im Schatten der Nacht zu Leben erweckt werden. Die Menschen (man darf „Men“ 1963 durchaus mit „Menschen“ gleichsetzen) leben ständig mit ihren toten Familienmitgliedern. Es muss nicht einmal zwingend eine sadomasochistische Beziehung sein – oder sind all diese Beziehungen, die wir zu den Nachtmenschen pflegen, ob bewusst oder unbewusst, sadomasochistisch?
Dazu gehört auch, dass Nevenka, wenn sie am Ende des Films Kurt „noch einmal“ umbringt, sich selbst umbringt.
La frusta e il corpo
Italien 1963
Regie: Mario Bava (als John M. Old)
Darsteller: Daliah Lavi, Christopher Lee, Tony Kendall, Ida Galli, Harriet Medin, Gustavo De Nardo u.a.
Laufzeit: 86 min.