This is the End.

Ein mehr als zweieinhalb Stunden langes Kammerspiel, 800 Meter unter der Erde – was soll man davon erwarten? Wie kann so etwas enden, wenn nicht in einem Gemetzel? Und wie konnte ein Filmteam dafür Spitzendarsteller wie Tilda Swinton, George MacKay und Michael Shannon gewinnen?

Mit dem Plot seines neuen Werkes THE END ist Regisseur und Autor Joshua Oppenheimer einmal mehr ein Risiko eingegangen. Und einmal mehr hat er es geschafft, daraus eine filmische Überraschung zu machen.

In der ersten Szene hängt eine Frau ein Bild auf. Es ist eines der Meisterwerke des Impressionismus, aber sie fragt sich, ob es „an dieser Stelle nicht wirklich billig aussieht“, und bittet ihren Sohn um Rat. Der junge Mann verbringt seine Zeit damit, ein Diarama mit Eisenbahnen und Landschaften aus der Bürgerkriegszeit der USA zu bauen, und wenn er nicht seine Mutter beim Umhängen von Bildern berät, hilft er seinem Vater, seine Memoiren zu schreiben. Seine Eltern haben für ihn rauschende Weihnachtsfeste organisiert, Halloween und Silvester-Feuerwerke, und das alles in dicken Fotoalben festgehalten.

Dieses Familienidyll findet statt in einem Bergwerk 800 Meter unter der Erde, das der 20jährige noch nie verlassen hat. Damals zerstörte eine Apokalypse die Erde. Die Familie im Bergwerk ist durch sie reich geworden und gehört zu den wenigen Überlebenden, weil sie sich mit einem Diener, einem Arzt und einer Freundin der Familie dorthin gerettet hat. Sie haben sich Gewächshäuser und Fischzuchten aufgebaut, sogar einen Swimmingpool gibt es. Über das, was damals geschah, sprechen sie ungern, es bildet eine rote Linie ihrer mühsam erhaltenen Welt. Die Katastrophe bricht sich nur Bahn in ihren Albträumen, die sie durch Schlafmittel unterdrücken.

Dann finden sie in den Tunneln eine Geflüchtete und nehmen sie auf. Gleichzeitig lehnen die Eltern sie ab, denn sie überschreitet durch ihre Fragen und durch Erzählungen von der verbrannten Erdoberfläche die rote Linie. Sie hat Gewissensbisse, weil sie ihre eigene Familie zurückgelassen hat.

Das Setting, in dem das erzählt wird, ist alles andere als düster. Die Geschichte ist verpackt in einem Musical, in dem die Figuren davon singen, wie sie als Familie ihre Zukunft erschaffen, unter einem „blauen Himmel“. Sogar das Bergwerk wirkt groß und hell, ausgefüllt mit weißem Staub und Hallen von der Form einer Muschel. „Ich habe furchtbare Fehler gemacht“, sagt der Vater einmal zu der jungen Frau. „Ich habe mit einem großen Stück Eis nach meinem Hund geworfen. Kann so etwas jemals vergeben werden?“.

Regisseur Joshua Oppenheimer hat mit THE ACT OF KILLING die wahrscheinlich ungewöhnlichste und ästhetischste Studie eines Massenmordes der Kinogeschichte vorgelegt. Damit hat er gezeigt, dass es auch heute noch möglich ist, das Medium Film ganz neu zu interpretieren. Mit THE END bleibt er in den Genregrenzen nicht so sehr eines irdischen, sondern eher eines Weltraum-Katastrophenfilms. Gleichzeitig bricht er diese Grenzen, denn er nimmt der allgegenwärtigen Katastrophe ihre Endzeitstimmung. An ihre Stelle setzt er Hochkultur und Musical-Songs. Damit erzeugt er eine kognitive Dissonanz, die auf die Zuschauer verstörend wirkt.

Denn wer da unter der Erde den Weltuntergang abfeiert, das sind ja nicht die namenlosen Mitglieder einer reichen Familie, sondern wir alle. Wir, die wir um den Weltuntergang, Kriege und Klimawandel, das Massensterben der Geflüchteten und die Sklavensysteme im Kapitalismus wissen, uns aber aus Ratlosigkeit zurückziehen in ein fragiles, aber überschaubares privates Glück. Wir alle, in der Skurrilität unseres Tuns, wir sind gemeint. Das so gezeigt zu bekommen, berührt auf einer tiefen, unangenehmen Ebene. Es macht diesen Film zu einem der wichtigsten im anbrechenden neuen Jahr.

The End
Dänemark / Deutschland / Irland / Italien / Großbritannien / Schweden 2024
Regie
: Joshua Oppenheimer

Drehbuch: Rasmus Heisterberg, Joshua Oppenheimer
Kamera: Mikhail Krichman
Musik: Marius De Vries, Josh Schmidt
Darsteller: Tilda Swinton, George MacKay, Moses Ingram, Michael Shannon, Bronagh Gallagher, Tim McInnerny, Lennie James u.a.
Laufzeit: 148 min.

Fotos: ©
© Felix Dickinson / NEON / Mubi Deutschland,