Schade, dass Jeremy Saulniers REBEL RIDGE nicht im Kino, sondern nur auf Netflix zu sehen ist. Aber besser dort als gar nicht, denn Saulnier (GREEN ROOM, BLUE RUIN) hat hier einen zwar 131 Minuten langen, aber dennoch knackigen und rundum unterhaltsamen Thriller auf die Beine gestellt, der fast nicht zustande gekommen wäre. Erst verzögerte Corona die Dreharbeiten, dann sprang der ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehene John Boyega ab. Seinen Part übernimmt nun der ungemein charismatische Aaron Pierre (UNDERGROUND RAILROAD), was vielleicht sogar ein Glücksfall ist, da ich mir Boyega mit dieser Präsenz kaum vorstellen kann.
Die Handlung von Rebel Ridge ist simpel und wurde in ähnlichen Variationen schon zigmal verfilmt, was dem Spaß aber keinen Abbruch tut. Terry Richmond (Aaron Pierre) fährt mit seinem Fahrrad in die ländliche Stadt Shelby Springs in Alabama, als er absichtlich von einem Polizeiwagen angefahren wird. Zwei weiße Polizisten (Emory Cohen und David Denman) schikanieren ihn und nehmen ihn unter fadenscheinigen Vorwänden kurzzeitig fest. Dabei konfiszieren sie 36.000 Dollar Bargeld aus Terrys Rucksack, sind aber an Erklärungen über die Herkunft des Geldes wenig interessiert. 10.000 Dollar sollen als Kaution für seinen inhaftierten Cousin hinterlegt werden, bevor dieser ins Staatsgefängnis gebracht wird.
Dieser Vorfall löst die eigentliche Geschichte aus, in deren Verlauf der Ex-Marine mit dem korrupten Sheriff Sandy Burnne (Don Johnson – mit offensichtlichem Spaß bei der Sache) aneinandergerät, Hilfe von der Gerichtsangestellten Summer McBride (Anna-Sophia Robb) bekommt, sich mit dem ebenfalls korrupten Richter (James Cromwell) anlegt und schließlich die gesamte örtliche Polizeitruppe aus den Angeln hebt.
Nichts davon klingt besonders neu, aber Jeremy Saulnier, der auch für Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnet, hat ein Händchen für handgemachte Action, die von Kameramann David Gallego in erstklassige Bilder umgesetzt wurde. Viele Nahaufnahmen konzentrieren sich auf die Gesichter der Protagonisten, vor allem auf das von Aaron Pierre mit seinem intensiven Blick.

Als reiner Genrethriller wäre der Film überzeugend, aber die gängigen Klischees werden hier subtil unterlaufen oder nur angedeutet. So köchelt der typische Südstaaten-Rassismus die ganze Zeit auf kleiner Flamme unter der Oberfläche und blitzt nur in bestimmten Momenten auf, etwa wenn der Drogenhandel angedeutet wird oder der Sheriff von Terry mit „Sir“ angesprochen werden will.
Was den Film aktuell macht, ist der Umgang mit einer Besonderheit des amerikanischen Rechts bei der Beschlagnahmung von zivilem Eigentum – in diesem Fall die 36.000 Dollar aus dem Rucksack. Dieses Verfahren ermöglicht es der Polizei, Geld und Eigentum von Personen zu beschlagnahmen, die lediglich krimineller Aktivitäten verdächtigt werden. Diese Regelung hat zu einer Flut von Gerichtsverfahren geführt, und in vielen ländlichen Gebieten haben sich die Gemeinden an dem Geld bereichert, da der Prozess der Rückgabe beschlagnahmter Gelder so kompliziert zu sein scheint, dass sie in vielen Fällen nie zurückgegeben werden.
Jeder Liebhaber von Actionfilmen wird inzwischen den Zusammenhang mit dem ersten RAMBO von 1982 hergestellt haben, der im Gegensatz zu seinen lächerlich bombastischen Nachfolgern auch heute noch hervorragend funktioniert. Bei der Figur des Terry Richmond habe ich mich auch oft an JACK REACHER erinnert gefühlt, der ähnlich intelligent, scharfzüngig und schlagkräftig ist. REBEL RIDGE ist ein eleganter Actionthriller mit Köpfchen, schwarzem Humor und ausgefeilten Dialogen, der eigentlich ins Kino gehört. Saulnier zeigt hier, was man mit einem überschaubaren Budget von knapp 30 Millionen machen kann, wenn das Geld in den richtigen Händen ist. Und Aaron Pierre sollte man sich auf jeden Fall merken.

Rebel Ridge
USA 2024
Regie: Jeremy Saulnier
Darsteller: Aaron Pierre, Don Johnson, AnnaSophia Robb, Emory Cohen, David Denman, Steve Zissis, Zsane Jhe, James Cromwell u.a.
Laufzeit: 131 min.