SCHREI IN DER STILLE und MANCHMAL KOMMEN SIE WIEDER.
Anfang der 1990er Jahre erschienen zwei Spielfilme, die sich mit der Zerstörung einer Kindheit auseinandersetzen. SCHREI IN DER STILLE (THE REFLECTING SKIN, 1990, Regie: Philip Ridley), ein Drama mit Elementen des Psychothrillers und der Horrorfilm MANCHMAL KOMMEN SIE WIEDER (SOMETIMES THEY COME BACK, 1991, Regie: Tom McLoughlin) handeln von der intensiven Beziehung zu einem älteren Bruder und von furchtbaren Gewalttaten im ländlichen Bereich der USA, die die vermeintliche Harmonie zerstören. In SCHREI IN DER STILLE geht es auch um die Grausamkeit, die Kindern anderen antun können.
SCHREI IN DER STILLE
Seth Dove (Jeremy Cooper) ist fasziniert und verängstigt zugleich von seiner neuen Nachbarin Dolphin Blue (Lindsay Duncan), der er und seine beiden Freunde Eben (Codie Lucas Wilbee) und Kim (Even Hall) zu Beginn des Films einen grausamen Streich spielen. Der etwa acht oder neun Jahre alte Seth lebt mit seiner Familie in einem abgeschiedenen Dorf in Idaho. Beeinflusst durch Erzählungen seines Vaters über blutsaugende Wesen in Comics und Dolphins eigener Aussage, sie wäre bereits mehrere Jahrhunderte alt, ist Seth schließlich überzeugt, die Nachbarin sei ein Vampir, die seinen eben vom Militärdienst im Koreakrieg zurückgekehrten Bruder Cameron (Viggo Mortensen) aussaugt. Cameron ist nach dem Suizid des Vaters nach Hause gekommen. Dieser wurde verdächtigt, einen von Seths Freunden getötet zu haben, dessen Leichnam in einem Brunnen geborgen wurde. Cameron ist möglicherweise schwer erkrankt, da er Atombombentests beigewohnt hatte und zeigt Seth die Fotografie eines verstrahlten Säuglings, dessen Haut unnatürlich silbern verfärbt ist (daher der Originaltitel). Seth beobachtet, wie mehrere junge Männer Kim in einen schwarzen Cadillac zerren, auch er wird kurz darauf ermordet in den riesigen Kornfeldern gefunden. Der Junge fasst daraufhin einen furchtbaren Entschluss.

MANCHMAL KOMMEN SIE WIEDER
Unmittelbar nachdem der Lehrer Jim Norman (Tim Matheson) in seinem Geburtsort zu unterrichten beginnt, kommt es zu einer seltsamen Todes-Serie unter den Jugendlichen in seiner Klasse. Jeweils wird die verstorbene Person durch einen neuen Schüler ersetzt. Jim erkennt in ihnen Mitglieder einer Gang, die seinen älteren Bruder Wayne (Chris Demetral) vor Jahrzehnten mit einem Messer getötet haben und daraufhin selbst bei einem Unglück verstorben sind. Ihr schwarzer Wagen war von einem Zug erfasst worden, nachdem Jim fliehen konnte und sie den Fahrzeugschlüssel verloren hatten. Aufgrund einzelner Details – niemand außer Norman sah, wie der Schüler Billy (Matt Nolan) von einem schwarzen Auto verfolgt wurde, bevor er mit dem Fahrrad von einer Brücke stürzte, aufgrund eines Albtraums schlug Norman vor, nach der vermissten Schülerin Kate (Tasia Valenzia) in einer verlassenen Feldscheune zu suchen, wo diese erhängt vorgefunden wurde – gerät er selbst unter Verdacht. An Waynes Grab bittet Jim seinen Bruder, ihm gegen die Untoten beizustehen. Diese haben zwischenzeitlich seine Ehefrau Sally (Brooke Adams) und seinen Sohn Scott (Robert Hy Gorman) in ihre Gewalt gebracht und bringen sie zu dem alten Eisenbahntunnel.
Unterschiede zur Vorlage
Die Erzählung „Manchmal kommen sie wieder“ von Stephen King erschien erstmals 1974, später wurde sie in den Sammelband „Nachtschicht“ aufgenommen. Jim Norman ist verheiratet, hat aber keine Kinder. Der Mord an seinem Bruder liegt nicht so lange zurück und die Mörder starben erst etwa ein halbes Jahr nach der Tat bei einem Verkehrsunfall. Einer von ihnen überlebte, taucht aber in der weiteren Handlung nicht mehr auf, während McLoughlin mit der Figur Mueller (William Sanderson) ein ehemaliges Gang-Mitglied präsentiert, das sich von den anderen distanziert. Im Unterricht bespricht Norman „Herr der Fliegen“ (1954) von William Golding, einen Roman, aus dem King den Begriff Castle Rock als fiktiven Ort übernommen hat. Von den übersinnlichen Elementen abgesehen, beschreibt der frühere Lehrer King durchaus realistisch den Schulalltag. Dies ist auch der Verfilmung gelungen. So sind der aufsässige, den Unterricht störende, aber auch sensible Chip (Chad Nyerges) und die mit Norman solidarische, lernwillige Kate durchaus glaubwürdig gezeichnet, ebenfalls der gegen Norman eingestellte Direktor (William Kuhlke). Die Geschichte endet im Klassenzimmer, wo Norman sich mit einem okkulten Ritual zur Wehr setzt.[1] Bei McLoughlin findet sich hier die stärkste Abwandlung.[2]

Vergleich
Seth und Jim erleben unterschiedliche Varianten des Todes. Zu Beginn von SCHREI IN DER STILLE blasen die Jungen einen riesigen Ochsenfrosch auf. Seth tötet ihn mit einem Schuss aus seiner Steinschleuder. Dabei betrachtet er fasziniert die Reaktion der mit Blut bespritzten Nachbarin. Später erlebt er mit, wie sein Vater bei der Explosion der Tankstelle stirbt. Jim ist traumatisiert von der Ermordung seines Bruders, die er immer wieder in Albträumen erlebt. In einer Rückblende wird auch ersichtlich, dass es Jims Vorschlag war, durch den alten Eisenbahntunnel zu gehen. Ebenso sieht Jim die Explosion des Fahrzeugs der Täter. 27 Jahre nach den Ereignissen – wir denken an Stephen Kings ES – erlebt Jim das Trauma seiner Kindheit erneut. Es wäre interessant, in einer Fortsetzung zu erfahren, wie Seth als Erwachsener mit den Ereignissen umgeht. SCHREI IN DER STILLE endet mit dem passend gewählten deutschen Verleihtitel: Seth läuft schreiend durch die Felder in der Abenddämmerung – eine der wenigen Momente die nicht im Hellen fotografiert sind, offenbar eine Reminiszenz an die Schlussszene aus Pasolinis TEOREMA – GEOMETRIE DER LIEBE (TEOREMA, 1968). Seth begreift, selbst mitschuldig am Tod eines Menschen zu sein und mit dieser Erkenntnis wird er ein Erwachsener werden, einsam und auf sich allein gestellt, wie er es die gesamte Handlung eigentlich war. Das Publikum kann sich mit Jim identifizieren, während es schwieriger ist, Seths Perspektive einzunehmen. Zu abstoßend ist bereits die Tierquälerei am Anfang und die kindlich-naive Argumentation, es sei ja nur ein Frosch gewesen oder als Seth und Kim Eben wegen des Todes seiner Mutter verspotten. Kims Mutter bezeichnet Seth sogar einmal als Monster. Ein wichtiges Element, das beide Filme miteinander verbindet, sind die vier heranwachsenden Täter, die laut der Kritikerin Barbara Buhl wie schwarze Engel in den abgelegenen Ort ein- und ausschweben. In SCHREI IN DER STILLE erfahren wir nichts über ihre Hintergründe, deren aufgesetzte Freundlichkeit erscheint jedoch bereits bei dem ersten Erscheinen als bedrohlich. Die Gewalttaten gegen Kim bzw. von Billy und Chip werden von schwarzen Autos aus verübt – in MANCHMAL KOMMEN SIE WIEDER wird das Fahrzeug zusätzlich mit höllischen Flammen gezeigt – dies ist die stärkste Parallele beider Filme. Die Polizei ist mit der Aufklärung der Verbrechen deutlich überfordert und sucht bequeme Lösungen. Religiöse Vorstellungen werden bei Ridley als Aberglauben verworfen, etwa wenn Seth einen verwesenden Embryo für einen Engel hält. Bei McLoughlin können die Untoten die Kirche nicht betreten und Wayne eilt tatsächlich seinem Bruder zu Hilfe.

Die Aufnahmen des Malers Philip Ridley von wogenden, endlos wirkenden Kornfeldern und verlassenen Häusern und Scheunen wirken wie Landschaftsgemälde des Realisten Andrew Newell Wyeth. Auch wenn Tom McLoughlin diese Intensität nicht gelingt, kreiert er jedoch eine unheimliche Atmosphäre mit Bildern der ländlichen Umgebung, Feldern, einer Kirche sowie einem alten Friedhof. SCHREI IN DER STILLE könnte auch die freie Adaption einer Stephen-King-Geschichte sein über den Verlust der Kindheit und den schmerzhaften Reifungsprozess zum Erwachsenen. Beide Filme verdeutlichen auch, dass einmal verübte Handlungen nie zurückgenommen werden können und wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen kann. Unschuld kann die Hölle sein, so fasst Dolphin die Kernaussagen beider Filme zusammen.
[1] MANCHMAL KOMMEN SIE WIEDER 2 (SOMETIMES THEY COME BACK … AGAIN, 1996, Regie: Adam Grossman) ist weniger eine Fortsetzung als vielmehr eine Neuinterpretation, in der die Täter als dämonische Wesen direkt aus der Hölle kommen. Der durchaus gelungene Horrorfilm zitiert auch aus Kings Geschichte DER RASENMÄHER-MANN.
[2] McLoughlin drehte bereits 1986 mit FREITAG DER 13. TEIL VI – JASON LEBT (FRIDAY THE 13th PART VI: JASON LIVES) einen interessanten Beitrag zu der gleichnamigen Horrorfilm-Reihe. Jason Vorhees wird zwar am Ende im Crystal Lake versenkt, ist aber weiterhin aktiv, was eine spannende Parallele zu der Erzählung Der AFFE (1980) von Stephen King darstellt, in der eine Spielzeugfigur die durch Zimbeln-Klimbern Todesfälle verursachen kann, in den Crystal Lake geworfen wird.
Verwendete Literatur:
Buhl, Barbara (1998): Schrei in der Stille. In: Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker Band 4 1982 – 1996. S. 330 – 333. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Stuttgart.
King, Stephen (1987): Der Fornit – Unheimliche Geschichten. Zweite Auflage. München.
King, Stephen (1994): Nachtschicht. Bergisch-Gladbach.
Loderhose, Willy (1993): Das große Stephen-King-Film-Buch. Zweite Auflage. Bergisch-Gladbach.

The Reflecting Skin
USA 1990
Regie & Drehbuch: Philip Ridley
Kamera: Dick Pope
Musik: Nick Bicat
Darsteller: Viggo Mortensen, Lindsay Duncan, Jeremy Cooper u.a.
Laufzeit: 96 min.

Sometimes They Come Back
USA 1991
Regie & Drehbuch: Tom McLoughlin
Drehbuch: Lawrence Konner, Mark Rosenthal
Kamera: Bryan England
Darsteller: Tim Matheson, Brooke Adams, Chris Demetral, William Sanderson u.a.
Laufzeit: 97 min.