Nicht-Chauvinisten auf Pussy Island.

In vielen Passagen von BLINK TWICE wird klar, dass Regisseurin Zoe Kravitz einfach weiß, wie der Hase läuft an den dekadenten Parties der Reichen und Schönen. Nicht zuletzt kann sie als Tochter von Rockstar Lenny Kravitz und Schauspielerin Lisa Bonnet die einschlägigen Erfahrungen, wie man sich in Anwesenheit der reichen Oberschicht verhält oder eben nicht, und wer sich da weshalb aufhält und amüsiert, in ihren Erstling als Regisseurin einfließen lassen. Sie weiß, was im Lear Jet eines Milliardärs, im Flug auf dessen Insel so abgeht. Wie die Frauen, die zur Belustigung der Männer eingeladen werden, mit einem vorgeschriebenen Einheitslook zu einer eigenen Klasse innerhalb der Gruppe degradiert werden. Überhaupt verarbeitet Kravitz einige schöne kleine Beobachtungen in einen Film, der wie ein Märchen beginnt und immer finsterer wird. Der Film wurde unter dem Arbeitstitel „Pussy Island“ produziert. Honi soit qui mal y pense.

Frida (Naomi Ackie) ist Kellnerin für einen Catering-Service, arm und auf das Geld angewiesen. Trotzdem ist sie durchaus eigenwillig – ihr Boss mahnt sie immer mal wieder mit einem „immer schön lächeln“ zum richtigen Verhalten in den vornehmen Umgebungen, in denen sie serviert. Als sie sich nach ihrer Schicht mit ihrer Mitarbeiterin Jess (Alia Shawkat) in elegante Robe stürzt und sich an der Party des geläuterten (Gutmenschen-) Milliardärs Slater King (Channing Tatum) noch ein bisschen amüsiert, passiert ein wundersames Missgeschick. Wie Coralie Fargeat in THE SUBSTANCE benutzt auch Kravitz einen märchenhaften Kniff, um die Story in Gang zu bringen. In diesem Fall handelt es sich um Aschenbrödel. Frida bricht der Absatz ihres High Heels ab, sie fällt – doch, oh Wunder, taucht CEO und Multimilliardär Slater King auf und bricht ihr auch den Absatz des anderen High Heels ab. Was uns als charmante Geste eines Nicht-Chauvinisten erscheint (Schöne Frau, du musst nicht auf hohen Hacken gehen!), erhält im Freudschen Sinn eine ganz andere Bedeutung: erst eine (unfreiwillige) Selbstkastration, gefolgt von einer Kastration (bzw. Slater King nimmt Frida den bedrohlichen Penis ab). Der vermeintliche Märchenprinz lädt sie und Jess spontan auf die Insel ein.

„Ihr werdet hier zu nichts gezwungen, das ihr nicht wollt.“ Klingt schon nach einem Framing. Trotzdem werden die Smartphones eingesammelt, und die rund 10 Frauen sind einen Moment lang überrascht, dass sie alle in die gleichen weißen Kleider gehüllt werden. Jungfräulichkeit, Reinheit, alles ist gut.

Ewiges Nichtstun ist angesagt. Dumme Spiele wie am Hof des Sonnenkönigs, Rauchen, Drogen und Drinks mit bunten Schirmchen am Pool – und eigentlich denkt man sich: Wollen so ein Geschäftsmann wie Slater King und seine männlichen Freunde (u.a. Kyle MacLachlan und Christian Slater) sich tatsächlich mit dummen Gören abgeben oder mit den mit Tieren bemalten Fingernägeln von Frida („Ich nenne sie aNAILmals“)? Unter anderem ist da ein Trash-TV-Star, Sarah (Adria Arjona), deren Sendegefäß abgesetzt wurde: Sie ärgert sich darüber, dass Bikinigirls-Survivalism im Dschungel neuerdings nicht mehr produziert werde. Am meisten treffen Männer und Frauen abends zu den gemeinsamen Tischgesellschaften zusammen, die unbeschwerte Routine vorgaukeln. Es darf auch getanzt werden – und (wie man es von Lenny Kravitz’ Tochter erwartet) mit cleverer Popmusik-Auswahl. Zum Beispiel Candi Statons 1974er Hit „Young Hearts run free“: „What’s the sense in sharing this one and lonely life / Ending up just another lost and lonely wife?“

Tatsächlich sind die wilden, unkontrollierten, ausschweifenden Zeiten vorbei. „Wir feiern immer noch, nur anders. Die Therapie hat mein Leben verändert“, wiegt Slater King Frida in Sicherheit. Er ißt auch kein Fleisch mehr, lediglich Drogen sind noch ein Thema. „Desideria“, funktioniert als Parfüm, das wiederum von allen Frauen gleichsam eingesprayt wird. Als Frida eines Abends einen roten Fleck auf ihrem Kleid hat und am nächsten Morgen in einem sauberen weißen Kleid aufwacht, wundert sie sich kurz. Tatsächlich sind diese weißen Kleider ein Sinnbild für die heutige Gesellschaft, die heutige Oligarchie, die heutigen Verhältnisse. Die Frauen sind verkleidet als Unschuld, damit der Mythos der schönen Welt fortbestehen kann. Die Frauen werden zu „heiligen Objekten“ (Priesterinnen), die aber entmachtet sind.

Als Fridas Freundin Jess von einer giftigen Schlange gebissen wird, ist das der Auslöser für Frida, die Insel etwas genauer zu erkunden. Ihre Freundin Jess, von einer Schlange gebissen, ist danach nämlich unauffindbar. Sie findet seltsame Gebäude, wird offenbar von einer einheimischen, alten Frau gewarnt, doch deren Worte versteht sie nicht. So langsam dämmert es auch der Trash-TV-Queen, die den Jeffrey-Epstein-Trip auf den Punkt bringt: „Verrückt ist, dass wir in ein Flugzeug eingestiegen sind mit Typen, die wir überhaupt nicht kennen.“ Das Problem ist nur: Was genau stimmt nicht? Werden die Frauen ausgenutzt oder misshandelt? Und wenn ja, wie?

Dann beginnt die langsame Bewusstseinswerdung, bei der Schlangen und flüssigen Substanzen eine wichtige Rolle zukommt (auch hier eine Parallele zu THE SUBSTANCE). Beide Symbole können ambivalent sein, gleichzeitig zerstörerisch und heilend. Es entspinnt sich die Story zweier Frauen, die sich gegen eine scheinbar unlösbare Situation wehren. Sie befinden sich auf einer einsamen Insel, nicht mal wissend, wo, und sie sind unter lauter klugen und unangreifbar reichen Alphamännern. Immerhin kommt Trash Queen Sarah ihre Survival-Experience etwas zugute.

Der Film mag in der zweiten Hälfte ein paar Durchhänger haben, bleibt aber überaus unterhaltsam und spannend. Und mit der von Jeffrey Epstein beeinflussten Story nimmt Kravitz gleich zwei große Filmthemen unserer Zeit auf. Zum einen widerspiegelt der Film die Skepsis an der Oligarchenklasse des „Westens“, wie sie in unzähligen Filmen von TRIANGLE OF SADNESS oder WHITE LOTUS bis hin zum Horror von THE MENU oder INFINITY POOL durchgespielt wird. Andererseits ist er auch ein Abgesang auf reiche, selbstzufriedene, weiße Männer, die geläutert und unter falschen Vorzeichen agieren.

Blink Twice
USA 2024
Regie: Zoë Kravitz
Drehbuch: Zoë Kravitz, E.T. Feigenbaum
Musik: Chanda Dancy
Darsteller: Naomi Ackie, Channing Tatum, Alia Shawkat, Adria Arjona, Christian Slater, Kyle MacLachlan. Geena Davis etc. u.a.
Laufzeit: 103 min.

Fotos: ©
Warner Bros.