Die-Hard Raver in the Desert.

Hier wird mit der großen Metaphernkelle angerührt. Und mit der großen Kinokelle. SIRAT ist ein Kinoerlebnis erster Güte, ein Must-See im Kino. Aber keins für schwache Nerven. Die Story ist einfach (eben, eine große Metapher), aber gleichzeitig brutal und berührend – eine vielleicht seltsame Bezeichnung für einen Film dieses Kalibers.

Großes Kino. Beginnt mit einer riesigen Soundanlage, die inmitten der Wüste, vor einer noch beeindruckenderen Felswand, aufgestellt wird. Mit ihren offroadfähigen Fahrzeugen erscheinen die hartgesottenen Raver, die gern in den abgelegensten Orten der Welt tanzen. Raver’s Delight, eben: Wenn Goa-Raves sich schon vor Jahrzehnten aus Nachtclubs in Wälder verschoben, so sind für Day- oder Nightraves inzwischen auch längst Bergplateaus, abgelegene Täler, leerstehende Hotels ab vom Schuss beliebt. Orte, an denen man tagelang durchtanzen und sein Leben ohne störende Einflüsse genießen kann. Die Wüste von Marokko bietet sich da geradezu an als idealtypische Location.

Über der Wüste brettert und hallt ein düsterer Technotrack des Komponisten Kangding Ray (aka David Letellier). Unter dem Beat ein knirschender, sich reibender repetitiver Basston. Und auf einmal ist dieser erhabene Soundfleck mitten im Nichts der marokkanischen Wüste gefüllt mit einer tanzenden Crowd. Einfach Körper, die sich bewegen und zufrieden sind. Keine Mätzchen, keine Exzesse, keine eitlen Gecke, keine Smartphone-Selfies. Just dance, minutenlang. Der einzige Hinweis auf eine sich anbahnende Geschichte bietet ein Vater mit einem kleinen Jungen, die ein Foto ihrer vermissten Tochter herumzeigen. Die soll an einem dieser abgelegenen Raves sein. Hier ist sie aber nicht.

Dann geschieht die Überraschung: Militärfahrzeuge tauchen auf. Eine nicht näher definierte militärische Eskalation, die eher nach Drittem Weltkrieg denn nach Westsahara-Konflikt klingt, bringt die Armee dazu, den Rave zu evakuieren und die Menschen zurückzuschicken. Der Abzug aller Raver und der Organisatoren wird vom Militär beaufsichtigt, es heißt: zurück in die Zivilisation. Zufällig sind Vater Luis (Sergi Lopez) und Bub Esteban (Bruno Nunez) gerade in der Nähe von ledergegerbten älteren Die-Hard-Ravern, die ihnen von einem anderen Rave an einem noch abgelegeneren Ort tief im Wüstengebiet erzählen. Weil hinter Luiz’ kleinem Funken Hoffnung, die Tochter dort zu finden, ein Tsunami der Verzweiflung hervorquellen würde, wenn er die Suche aufgäbe, entscheidet er sich, mit seinem nicht sonderlich wüstentauglichen Minivan dem gut ausgerüsteten, auf Mad-Max-Level hochgepanzerten Wohnmobil der fünf Raver zu folgen.

Auf dem Weg zum mythischen anderen Rave, der wie eine Fata Morgana über der Reise schwebt, entsteht natürlich eine Annäherung zwischen den älteren Ravern, deren Lebensinhalt die Flucht aus der Welt ist, und der verzweifelten bürgerlichen Vater-Sohn-Kombi, die ihr Familienmitglied an diese Welt verloren haben. Beide Gruppierungen scheinen aus unterschiedlichen Gründen nicht von der geopolitischen Großwetterlage beeindruckt. Doch immer wieder werden sie davon tangiert. Jade (Jade Oukid), Steffi (Stefanian Gadda), Josh (Joshua Liam Henderson), Tonin (Tonin Janvier) und Bigui (Richard Bellamy) sind bereits vom Leben gezeichnet – einigen fehlen Gliedmaßen (z.B. ein Bein). Trotzdem wird aus dem Weg der Annäherung ein Weg in die Hölle. „The only thing here is dust.“ Oder anders: Das Wort As-Sirat bezeichnet im Islam eine Brücke, die überquert werden muss, um ins Paradies zu gelangen. Sie sei so dünn wie ein Haar und so scharf wie ein Messer, und wer abstürzt, stürzt in die Hölle. SIRAT ist eine spektakuläre Metapher, an die man nur zu ungern andockt – und für mich vermutlich der Film des Jahres.

Sirāt
Spanien, Frankreich 2025
Regie: Oliver Laxe
Drehbuch: Santiago Filol, Oliver Laxe

Kamera: Mauro Herce
Musik: Kangding Ray
Darsteller: Sergi Lopez, Bruno Núñez Arjona, Richard Bellamy, Stefania Gadda, Joshua Liam Henderson, Tonin Janvier, Jade Oukid etc.
Laufzeit: 115 min.


Fotos: ©
Pandora