Von Bodo Traber
„Endlich kann meine Seele Ruhe finden,“ sagt der Lykanthrop Waldemar (in der deutschen Fassung „Wolfmar“) Daninsky vor seiner Pfählung in der Pre-Title-Sequenz von RETORNO DEL HOMBRE LOBO. Es bringt anno 1981 die Tragik der Figur noch einmal auf den Punkt – der polnische Edelmann, der sich bei Vollmond in einen Werwolf verwandelt, ist ein gepeinigter Verfluchter, den überirdische Mächte zum Töten zwingen. In der Begegnung mit der Liebe und der Konfrontation mit dem Bösen kann er sich gegen sein Schicksal stellen. Im Alter Ego Paul Naschys seit den späten 1960ern fand der Wolfsmenschen-Mythos zu einer neo-klassischen, legendären Verkörperung. Waldemar Daninsky gehört in jedem Fall zu den langlebigsten Horrorfilm-Charakteren, die je von einem einzelnen Darsteller verkörpert wurden – und nicht nur das… Das Phänomen Paul Naschy besteht vielleicht darin, dass sich in ihm eine ganze Epoche des europäischen Horrorfilms inkarniert hat. Nicht so sehr, dass sein Leben selbst ein Filmstoff sein könnte, wie es in Ángel Agudos liebevollem Dokumentarfilm THE MAN WHO SAW FRANKENSTEIN CRY (2010) heißt, sondern dass es selbst ein Stück Filmgeschichte ist – mehr vielleicht als das der meisten anderen berühmten Stars des düsteren Genres. Jacinto Molina Alvarez (1934 – 2009) war nicht nur Hauptdarsteller und Stuntman, meist auch Drehbuchautor und in späteren Jahren zudem Regisseur, sondern fast durchweg vor allem auch die treibende Kraft hinter seinen Produktionen – und damit hinter einem wesentlichen Teil europäischer Genre-Geschichte – , die ohne ihn nicht nur nicht denkbar, sondern faktisch nie entstanden wären.
Die seit einigen Monaten laufende, umfangreiche Reihe „Legacy of a Wolfman“ von Subkultur Entertainment, die im letzten Jahr mit Agudos Dokumentarfilm begann und einen großen Teil des Gesamtwerks Naschy für den deutschen Zuschauer neu erschließt, legte bisher drei Filme des (rund ein Dutzend Filme umfassenden) Waldemar-Daninsky-Zyklus vor, die ihrerseits Schlüsselwerke seines Oeuvres und damit des spanischen Horrorfilms darstellen: LA MARCA DEL HOMBRE LOBO (DIE VAMPIRE DES DR. DRACULA) eröffnete 1968 Naschys Leinwandkarriere, LA NOCHE DE WALPURGIS (NACHT DER VAMPIRE, 1971) markierte den Beginn seiner Zusammenarbeit mit dem argentinischen Regisseur Leon Klimovsky, EL RETORNO DEL HOMBRE LOBO (DER WERWOLF, 1981) ging aus einer von Naschy in die Wege geleiteten, erfolgreichen Zusammenarbeit mit japanischen Co-Finanziers hervor, die zu einem bemerkenswerten Revival des Gothic-Horror-Motivs führte. Ebenso wie das Bekenntnis zum phantastischen Film und dessen sexuellen Untertönen unter der vom Katholizismus geprägten Franco-Diktatur durchaus eine politische Dimension hatte, war die Rückkehr zur schwarzen Romantik in einer bereits von Slashern und Zombies beherrschten Epoche eine Liebeserklärung an das klassische Gruselkino.
Die Legende geht, dass es der deutsche Co-Produzent war, der dem jungen Drehbuchautor Jacinto Molina 1967 dessen athletischen Körperbaus wegen nahelegte, die Rolle des Wolfsmenschen selbst zu übernehmen, als sich kein geeigneter Darsteller dafür finden ließ. Mit LA MARCA DEL HOMBRE LOBO gewann der spanische Horrorfilm, der sich erst einige Jahre zuvor überhaupt etabliert hatte, internationale kommerzielle Bedeutung. Im Wesentlichen epigonal, folgte der in 70mm und 3-D gedrehte Film dem üppigen visuellen Stil der britischen Hammer-Produktionen wie Jesus Francos GRITOS EN LA NOCHE (1962) den aktuellen Trendsettern I VAMPIRI und LES YEUX SANS VISAGE oder der Ur-Klassiker des spanischen Gruselkinos, Edgar Nevilles LA TORRE DE LOS 7 JOROBADOS (1944), den amerikanischen Universal-Filmen nachgebildet waren. Selbst der Plot entstammt klassischen Vorbildern, die inhaltlichen Parallelen zu Universals FRANKENSTEIN MEETS THE WOLF MAN, der Paul Naschy bei einem Kinobesuch im Kindesalter nachhaltig beeindruckt haben soll, sind auffällig. Wie seinerzeit Lon Chaneys unglücklicher Wolfsmensch und das von Bela Lugosi verkörperte Frankenstein-Monster am Ende einer verschlungenen Abfolge von Ereignissen auf einander losgelassen wurden, bricht in LA MARCA das Übel nicht allein durch den Biss eines ungarischen Werwolfs über die tragischen Helden herein, sondern zudem durch die Ankunft eines düsteren Vampir-Paares, von dem man sich eigentlich Hilfe erhofft hatte. Überhaupt sollte die Konfrontation verschiedener phantastischer Charaktere, in der sich der Kampf zwischen Gut und Böse entlädt, zum narrativen Prinzip sämtlicher Werwolf-Filme Naschys werden. Und wie sich die Filme dabei visuell zunehmend von den klassischen Folien lösen, so bekommt der Daninsky-Zyklus auch eine eigene, durchaus ebenso religiöse wie erotische Interpretation der überkommenen Motivik. Denn obwohl von einem Fluch belastet, der ihn bei Vollmond in eine mörderische Bestie verwandelt, bleibt der Wolfsmensch im Grunde schuldlos, ja charakterlich integer, so dass er in freier Entscheidung seine übernatürliche Kraft zum Kampf gegen die diabolischen Vampire nutzen kann, die das absolut Böse verkörpern. Ohne diese mörderische Macht, die der Fluch ihm verleiht, wäre Daninsky auch nur ein hilfloses Opfer der Höllenmächte. Mehr noch wird der Fluch zur moralischen Katharsis der Figur, die sich von sexueller Bedrohung zum Beschützer unschuldiger Tugend wandelt und dabei zur Erlösung findet. Ihren Gegenpart findet sie in der reinen, liebenden Frau, die meist in Kontrast zur (auch sexuell) aggressiven Vampirin steht, und in ihrem Verhältnis spiegelt sich durchaus die märchenhafte Liebe zwischen „La Belle“ und „La Bete“.
Sehr bewusst lehnt sich der Film an die Tradition der Hammer-Produktionen an, um sich gleichzeitig davon zu lösen, wenn er mit einem Ball im historischen Ambiente eines Schlosses beginnt, der sich jedoch als Kostümfest entpuppt. LA MARCA DEL HOMBRE LOBO spielt in der Gegenwart, wenn auch nicht in Spanien (die Zensur verbot jeden spanischen Bezug), sondern im transsilvanischen „Dunchenstadt“, in dem einst ein ungarischer Adliger, der im fernen Tibet von einem Werwolf gebissen wurde, sein Unwesen als Wolfsmensch trieb, ehe er mit einem Silberkreuz gepfählt wurde. Hierher zurück gekehrt sind die Honoratiorenkinder Hyazinth und Rudolph, deren Väter, ihrerseits Graf und Richter, sich eine züchtige Ehe der beiden versprechen. Der Einbruch des Fremden, sexuell Aggressiven kommt schon während des Festes, als der polnische Playboy Waldemar Daninsky im Satanskostüm erscheint und die keusche Hyazinth mit sexueller Verlockung bedroht. Bald schon wird sie sich vom weichen Jüngling Rudolph abwenden, um der Attraktion Waldemars zu erliegen. Und ebenso bald wird dieser vom wieder erstandenen Werwolf, dem grabräubernde Zigeuner das silberne Kruzifix aus der Brust gezogen haben, gebissen werden – das Tier im Manne wird aus ihm herausbrechen, so dass die unschuldige Hyazinth vor ihm geschützt werden muss. Ihre Liebe wird erst rein, als er sie nicht mehr berühren darf, und in klarer Konsequenz ist sie es, die die Bestie mit Silberkugeln erschießt. Währenddessen gerät der weiche Rudolph unter den Bann der dominanten Vampirin Wandesa.
LA MARCA DEL HOMBRE LOBO wurde zum internationalen Erfolg (in den USA wurde er unter Addition eines animierten Vorspanns, der die „Wolfsteins“ als Nachfahren der „Frankensteins“ auswies, als FRANKENSTEIN’S BLOODY TERROR verliehen) und legte zusammen mit Klimovskys Schlüsselwerk LA NOCHE DE WALPURGIS den Grundstein für eine spanische Genre-Tradition in der Spätphase der Franco-Diktatur, denen entscheidende Werke wie Jorge Graus CEREMONIA SANGRIENTA oder Amando de Ossorios LA NOCHE DEL TERROR CIEGO folgten. In loser Folge (und inhaltlich unverbunden) entstanden bis 2003 zwölf weitere Filme um die Figur des Wolfsmenschen Daninsky, der im Lauf der Zeit auf japanische Samurai, Dr. Jekyll und den Yeti trifft, vor allem aber auch auf immer neue Verkörperungen der Vampirin Wandesa, in der sich die „Blutgräfin“ Bathory widerspiegelt, die in RETORNO DEL HOMBRE LOBO letztlich auch selbst als Figur erscheint.
In LA NOCHE DE WALPURGIS wird Wandesa in einer Szene wieder belebt, die als klares Zitat aus dem bekanntesten Trendsetter des europäischen Gothic-Horrorfilms, Mario Bavas LA MASCHERA DEL DEMONIO, zu verstehen ist: Als Waldemar Daninsky auf der Suche nach dem Silberkreuz, mit dem sie gepfählt wurde und das er für seine eigene Erlösung braucht, ihr Grab freilegt, tropft das Blut der ahnungslosen Archäologie-Studentin Geneviève auf den Mund ihres Skeletts und lässt die Vampirin wieder erstehen. Genevìève wird bald darauf ihr Opfer. Um okkulte Forschung für ihre Studien zu betreiben, sind sie und ihre Freundin Elvira in die abgelegene Gegend in den nordfranzösischen (!) Bergen gekommen, in die sich Daninsky zurück gezogen hat, bis er seinem Fluch entkommen kann. Seine Schwester kettet ihn bei Vollmond an die Wand, damit er niemanden töten kann. Doch in der zarten Elvira findet er seine wahre Liebe, während sich im nahen Dorf die blutleeren Leichen häufen.
Die Bedeutung der Regisseure Leon Klimovsky, Carlos Aured und Javier Aguirre für den bis dato nicht existenten spanischen Horrorfilm kann kaum überschätzt werden. Vor allem Leon Klimovsky (1906-1996), mit dem Naschy eine langjährige Zusammenarbeit und persönliche Freundschaft pflegte, gab mit LA NOCHE DE WALPURGIS entscheidende Impulse für die neue Blüte, zu der das Genre vor dem Hintergrund der ‚Transición’, dem Übergang der Diktatur zur Demokratie, im Spanien der 70er Jahre finden sollte. Bis heute umstritten, gilt der gebürtige Argentinier (und, wie gern kolportiert wird, ehemalige Zahnarzt) den einen als Kultfilmer, den anderen als Dilettant, der inszenatorische Sorgfalt des öfteren dem Zeitdruck des Drehplans opferte. Dennoch nahm sein innovativer Stil, der etwa dem deutlich statischeren und antiquierteren LA MARCA DEL HOMBRE LOBO eine furiose Mischung aus realistischen Settings, wilder Fotografie und delirierender Atmosphäre gegenüberstellte, nachhaltigen Einfluss auf das neue ‚Cine de Teror’ spanischer Prägung. In Klimovskys Filmen gingen moderne ‚Psychedelik’ und Mario-Bava-inspirierte Motivik des ‚Gothic’ (erstmals bewegen sich die Vampire in Zeitlupe und wirken damit umso unirdischer) eine funktionelle Symbiose mit Sex und Gewalt ein. Vor allem letzteres sollte bekanntlich die 70er Jahre prägen. Blut floss ab jetzt in Strömen und das – wie im Vorspann zu LA NOCHE DE WALPURGIS – gern über nackte Brüste. Wurde die sexuelle Revolution auch auf der Leinwand in den legendären Filmen der ‚Destape’ (in Jorge Graus LA TRASTIENDA war erstmalig eine nackte Frau von vorn auf einer spanischen Leinwand zu sehen) zum Symbol der Befreiung von den kulturellen Zwängen der bröckelnden Diktatur, so war etwa die Darstellung entblößter Brüste im Horrorfilm noch kurz zuvor ein Tabu, dem man durch die Erstellung verschiedener Filmfassungen entging: Dieselben Szenen etwa für LA NOCHE DE WALPURGIS oder EL ESPANTO SURGE DE LA TUMBA wurden mit bekleideten Darstellerinnen für den spanischen Markt und nackten Darstellerinnen fürs Ausland gedreht.
Die Rückkehr Waldemar Daninskys 1981, erstmalig unter Naschys eigener Regie, lässt sich durchaus als frühes Exempel postmoderner Nostalgie verstehen. (Nicht umsonst gibt es Figuren, die „Rotwang“ oder „Mircalla“ heißen.) Das Drehbuch legt im Wesentlichen ein Remake von LA NOCHE DE WALPURGIS vor, und wesentliche Motive sind klassischen Hammer-Filmen, darunter (die Wiederbelebung des Vampirs) Terence Fishers DRACULA – PRINCE OF DARKNESS sowie wiederum LA MASCHERA DEL DEMONIO nachempfunden: Im mittelalterlichen Ungarn wird der polnische Fürst Daninsky, der in Wolfsgestalt schreckliche Verbrechen begangen hat, zusammen mit Elisabeth Bathory hingerichtet, deren Sklave er war – vor seiner Pfählung mit einem silbernen Kreuz setzt man ihm wie der Hexe in Bavas Klassiker die Satansmaske aufs Gesicht. Jahrhunderte später, in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, entfernen Grabräuber das Kreuz aus seiner Brust und erwecken ihn damit ungewollt zu neuem Leben. Daninskys Weg kreuzt sich mit dem der drei jungen, hübschen Anthropologie-Studentinnen Erica, Karen und Barbara, die eine Forschungsreise in die Karpaten unternommen haben. In Karen findet Daninsky die wahre, reine Liebe. Erica allerdings ist eine moderne Hexe und vom Okkultismus besessen, deren Ziel es ist, auch die Blutgräfin Bathory, die eine wahrhaftige Vampirin ist, aus dem Jenseits zurückzuholen.
Trotz kommerziellen Misserfolgs war die melancholisch getönte Rückkehr zu den Wurzeln des Mythos und bereits achte Film des Daninsky-Zyklus kein Abgesang auf eine versunkene Ära, sondern leitete eine weitere produktive Schaffensphase Naschys ein, die anhalten sollte, bis er 2009 verstarb. Seinen letzten Gastauftritt gab er in LA HERENCIA DI VALDEMAR (sic!), der Besetzungscoup war bereits eine Verneigung vor einem Monument der Filmgeschichte.
Die wunderbare Subkultur-Edition präsentiert die Filme in integralen Versionen und bestmöglicher Qualität, derer man habhaft werden konnte, in edlen Combos als DVD und Blu-ray sowie sorgfältiger Ausstattung. Die Tonqualität ist unterschiedlich; der deutsche Ton zu RETORNO stammt wohl von der VHS und ist trotz sorgfältiger Bearbeitung naturgemäß etwas dumpf, auch die spanische Tonspur von LA MARCA war nicht mehr bis zu völliger Brillanz restaurierbar. LA NOCHE DE WALPURGIS enthält zwei längere Dialogszenen, die in der deutschen Fassung fehlten und hier untertitelt eingefügt sind; zwei ähnliche Szenen aus EL RETORNO DEL HOMBRE LOBO, die es nicht in die endgültige Schnittfassung geschafft hatten, sind unter dem Bonusmaterial zu finden. Insbesondere WALPURGIS wird von umfangreichen Beigaben begleitet, die neben einer deutschen Super-8-Fassung des Films ein Videointerview mit Paul Naschy von 2003 sowie eines mit der in München lebenden Hauptdarstellerin Gaby Fuchs umfassen, das exklusiv für diese Veröffentlichung entstand und so charmanten wie faszinierenden Einblick in die Entstehung des Films bietet. Als amüsant erweisen sich Vergleiche zwischen Original- und deutscher Fassung, da die klassischen Synchronisationen nicht nur oftmals sehr frei übersetzten Dialog und manch unfreiwillige Komik bieten, sondern im Fall von WALPURGIS auch ein leicht überemphatisches viehisches Grunzen in sämtlichen Werwolfszenen, das es im Original nicht gibt. Allen Filmen liegen zudem umfangreiche (und jeweils andere) Booklets mit Beiträgen verschiedener kompetenter Autoren bei, die alles an Hintergrund-Informationen über Paul Naschy und seine Werwolf-Filme enthalten, was man sich erträumen kann.
Eine der wichtigsten Editionen zur europäischen Genre-Geschichte der letzten Jahre überhaupt. Als weiterer Titel der Reihe ist bereits BLUTMESSE FÜR DEN TEUFEL erschienen.
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La Marca del Hombre Lobo (Die Vampire des Dr. Dracula), BRD / Spanien 1968, R: Enrique L. Eguiluz, D: Paul Naschy, Dianik Zurakowska, Manuel Manzaneque, Julian Ugarte, Aurora de Alba, u.a.
La Noche de Walpurgis (Nacht der Vampire), BRD / Spanien 1971, R: Leon Klimovsky, D: Paul Naschy, Gaby Fuchs, Barbara Capell, Paty Shepard, u.a.
El Retorno del Hombre Lobo (Der Werwolf), Spanien 1981, R: Jacinto Molina, D: Paul Naschy, Julia Saly, Sylvia Aguilar, Beatriz Ellorieta, Azucena Hernandez, u.a.
Anbieter: Subkultur Entertainment